195.28 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 20.II.1935
Betreff: Kraus – „AUFRUF“

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich bestätige mit Dank den Empfang Ihresgesch. Schreibens vom 18. d.M. und gestatte mir folgendes zu be-merken: Ich habe die vom Gegner angeführten Zitate erst nachder Uebersetzung des Schriftsatzes verglichen und die falscheZitierung zwar gleich bei der Uebersetzung konstatiert, abererst später mit Verwunderung festgestellt, dass sich Butschowitz und Dr. Bill gerade jene Stellen ausgesucht haben, die zur Begrün-dung des Strafausschliessungsgrundes des § 9 Absatz 2 des Ehren-schutzgesetzes meiner Ansicht nach nicht herangezogen werdenkönnen. Es gibt bisher nur sehr wenige Kommentare zum Ehren-schutzgesetze, in deutscher Sprache ist nur einer erschienen,der jedoch beinahe keine Entscheidungen enthält. Ich habe Ihnen,Ihrem Wunsche entsprechend, diesen Kommentar, resp. dieseGesetzesausgabe, einsenden lassen. In dem tschechischen Kommen-tar, den ich besitze, und in dem gleichfalls nur sehr wenigeEntscheidungen des Obersten Gerichtes enthalten sind, ist keineErläuterung zu der Bestimmung des § 9 Abs. 2 des Ehrenschutzgesetzes zu finden, aus der zu entnehmen, wäre, auf welchen Umfang diesegesetzliche Bestimmung eingeschränkt werden soll. Immerhin istin den Materialien zu diesem § ausdrücklich angeführt, dass demGerichte die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für

diesen Strafausschliessungsgrund gegeben sind, überlassenwerden muss. Die Nachsicht der Bestrafung gemäss § 9 Absatz 2 – und darum handelt es sich, nicht um einen wirklichen Strafaus-schliessungsgrund –, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit demFreispruch, im Gegenteil, das Gericht kann von einer Bestra-fung absehen, trotzdem der Angeklagte schuldig erkannt wurde,wenn eben die Voraussetzungen des § 9 gegeben sind. In einemsolchen Falle hat der Angeklagte gemäss § 34 des Gesetzes Abs. 5 die Kosten des Strafverfahrens zu tragen.

Da ich über die Annahme des von Dr. Reiner vorgeschlagenen Vergleiches nicht verhandelt, sondern mirden Inhalt der Satisfaktionserklärung bloss ad referendum notierthabe, habe ich auch die Frage des Kostenersatzes nicht berührt;es ist aber selbstverständlich, dass bei einem solchen Vergleichederjenige, der sich zur Veröffentlichung einer Satisfaktionser-klärung verpflichtet, auch die Kosten zu tragen hat.

Zur Vorlage der Uebersetzung habe ich eineFrist von 4 Wochen erhalten, welche am 11. März d.J. abläuft.

Ich verweise noch auf die Ausführungen desKommentars zum Gesetze über den Schutz der Ehre, welchen ichIhnen einsenden liess und zwar auf Seite 1006 und folgende,aus denen Sie, sehr geehrter Herr Doktor, leicht ersehen werden,dass durch das Gesetz und die bisherigen Entscheidungen nichtfestgestellt ist, ob die Voraussetzungen für das Absehen vonder Bestrafung gemäss § 9 auch dann als gegeben angesehen werdenkönnen, wenn die Aufregung, in welcher die strafbare Handlungbegangen wurde, durch eine Handlung des Klägers verursachtwurde, die nicht gegen den Beleidiger, sondern gegen anderePersonen, also zum Beispiel auch gegen seine Partei- und Gesinnungs-

genossen gerichtet war.

Vielleicht ist es Ihnen möglich, mirnunmehr mitzuteilen, ob über den von Dr. Reiner beantragtenVergleich verhandelt werden soll. Um eine baldige Mitteilungbitte ich deswegen, weil ich die Uebersetzung des inkriminier-ten Artikels nur dann in Angriff nehmen möchte, wenn ich weiss,dass es zu keinem Vergleiche kommen wird.

Mit vorzüglicher Hochachtungund besten Grüssen Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf21. FEB. 1935