195.29 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 23. Februar 1935
Betreff: Kraus – Aufruf
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich bestätige Ihnen mit bestem Dank denEmpfang Ihres freundlichen Schreibens vom 20. Februar 1935. DieMöglichkeit, dass der Strafausschliessungsgrund des § 9 Ab-satz 2 auch dann zur Anwendung käme, wenn die Erregung durcheine Handlung des Gegners verursacht wurde, die nicht gegen denBeleidiger sondern gegen andere Personen gerichtet war, lassenes Herrn K. wünschenswert erscheinen, doch einen Vergleich ab-zuschliessen, weil der Freispruch respektive das Absehen von derBestrafung in den Blättern derartig ausgewertet werden würde, dasses wieder eine Menge von Berichtigungen erforderte, um den wirk-lichen Sachverhalt zur Kenntnis de Leser zu bringen. Allerdingskann man die von Herrn Dr. Reiner vorgeschlagene Fassung des Ver-gleiches nicht annehmen, zumal wegen der Gleichstellung derösterreichischen und deutschen Verhältnisse, was in der vorge-schlagenen Fassung den Eindruck erwecken würde, dass auch Herr K. zu diesen Verhältnissen eine gleiche Stellung eingenommen habe.Ausserdem hätte im letzten Absatz das Wort „trotzdem“ zu ent-fallen.

Die zu akzeptierende Erklärung hätte zulauten:

„In der Nummer 22 und 23 der Zeitschrift ‚Aufruf‘ habe ich unter dem Titel ‚Die Fackel schwelt‘ einen Artikel

veröffentlicht, welcher als Antwort auf den Inhalt desHeftes Nr. 890–905 der Zeitschrift ‚Die Fackel‘ anzusehen ist.In diesem Artikel habe ich hauptsächlich gegen die Beurteilungder österreichischen Ereignisse durch den Herausgeber derFackel polemisiert, nachdem sich Herr Karl Kraus durch einzelneBehauptungen meines erwähnten Artikels verletzt gefühlt hat,erkläre ich, dass ich keine Absicht hatte, ihn durch meine Aus-führungen persönlich zu beleidigen. Wenn er sich beleidigt ge-fühlt hat, bedauere ich es aufs Lebhafteste.“

Die Unterschiede zu der von Herrn Dr. Reiner vorgeschlagenen Fassung sind zwar nicht gross, aber von Wichtig-keit. Eine weitere Frage ist, wie die zu veröffentlichte Erklärungunterfertigt worden soll. Es wäre Herrn K. am liebsten, wenn esIhnen gelänge, durchzusetzen, dass sie mit Lucien Verneau (IngenieurEgon Butschowitz) unterfertigt wird. Sollte sich Herr Verneau je-doch weigern, seine Pseudonymität zu offenbaren, so könnte man sichdamit begnügen, dass nur das Pseudonym unterfertigt. Wenn HerrDr. Reiner auf die vorgeschlagene Abänderung nicht eingeht, so müssteman den Prozess weiterführen. In diesem Falle würde ich ihnen nocheine genaue Information zu einem Schriftsatz einsenden, der die geg-nerischen Aeusserungen behandelt. Allerdings wäre mir dies bis zum11. März 1935 schwer möglich, weshalb ich Sie bitte, gleichzeitigmit der Vorlage der Uebersetzung des beleidigenden Artikels dieGegenäusserung anzukündigen und dafür eine neuerliche Frist zuerbitten.

Indem ich Ihnen mit meinen eigenen Grüssen auch die desHerrn K. und seinen besten Dank übermittle, zeichne ich mit vor-züglicher kollegialer Hochachtung

Ihr ergebener