196.148 Urteil [Übersetzung] des Strafkreisgerichts Brünn (G.Z. T IV 1135/36 bzw. To 24/37-21, Richter: Jaroslav Racek)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. Januar 1937
Seite von 8

Uebersetzung.

To 24/37 – 21.T IV 1135/36

Im Namen der Republik!

Das Strafkreisgericht in Brünn als Berufungsgerichthat am 21. Jänner 1937 zu Recht erkannt wie folgt:

I. Der Berufung des Angeklagten Hugo Sonnenschein gegenden Ausspruch über die Schuld im Urteil des Strafbezirksgerichtes in Brünn vom 9.XII.1936 Gesch.Zl. T IV 1135/36 – 14, insoweiter durch dieses Urteil schuldig erkannt wurde, dass er in Brünn am 18.II.1936 in einem vorbereitenden Schriftsatz, der in der SacheTl III 299/34 für das Strafkreisgericht in Brünn bestimmt war,Karl Kraus dadurch an der Ehre verletzt habe, dass er von ihm be-hauptete, es habe nach dessen Meinung angeblich das čsl. Volk keinenAnspruch auf Selbständigkeit, wodurch über den Privatkläger voreiner dritten Person Tatsachen angeführt worden sind, die ihn derVerachtung aussetzen oder in der öffentlichen Meinung herabsetzenkonnten, wodurch er die Uebertretung der Nachrede im Sinne des§ 2 des Gesetzes Nr. 108/33 Slg.d.Ges.u.Vdg. begangen hat, und wofürer nach § 2 des zitierten Gesetzes unter Benützung der §§ 266, 261Str.G. zu einer Geldstrafe von Kč 200.–, im Falle der Nichteinbrin-lichkeit zu einer Arreststrafe von 48 Stunden, nach § 389 Str.P.O. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens bedingt mit einer einjäh-rigen Bewährungsfrist verurteilt wurde,

wird nicht stattgegeben.

II. Demgegenüber wird der Berufung des Angeklagten gegenden Ausspruch über die Schuld aus dem gleichen Urteil, insoweit erdurch dieses schuldig erkannt wurde, dass er in Brünn am 18.II.1936in einem vorbereitenden Schriftsatz, der in der Sache Tl III 299/34 fürdas Strafkreisgericht in Brünn bestimmt war, Karl Kraus an der Ehredadurch beleidigt hat, dass er über ihn anführte, er habe die obengenannte Ansicht in der österr. Ausgabe der Zeitschrift „FackelNr. 912–915 veröffentlicht, wodurch gleichzeitig indirekt behaup-tet wurde, dass zwei Ausgaben der erwähnten Zeitschrift existieren,welche sich von einander unterscheiden und, je nach dem, in welchemStaate sie herausgegeben werden, verschiedene Standpunkt einnehmen,wodurch über den Privatkläger vor einer dritten Person Tatsachen an-geführt wurden, die ihn der Verachtung aussetzen oder in der öffent-lichen Meinung herabsetzen könnten, wodurch er die Uebertretung imSinne des § 2 des Gesetzes Nr. 108/33 Slg.d.Ges.u.Vdg. begangen hatund wofür er nach § 2 des zitierten Gesetzes zusammen für den Aus-spruch sub I, wie oben gesagt verurteilt wurde, und gemäss § 393/3Str.P.O. zum Ersatz der Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung desPrivatklägers im Betrage von Kč 480.50,

stattgegeben

und das angefochtene Urteil derart geändert, dass der Angeklagte HugoSonnenschein, geboren am 28.V.1889, Schriftsteller in Prag XII.,Šumavská 13, im Sinne des § 259, Zif. 2 Str.P.O. von der Anklagewegen der oben angeführten Uebertretung, die er angeblich dadurch be-gangen haben soll, dass er in Brünn am 18.II.1936 in einem vorbereiten-den, für das Kreis- als Strafgericht Strafkreisgericht in Brünn inder Sache Tl III 299/34 bestimmten Schriftsatz Karl Kraus an der

Ehre dadurch beleidigt habe, dass er über ihn anführte, er habe dieoben genannte Ansicht in der österr. Ausgabe der Zeitschrift „DieFackel“ veröffentlicht, wodurch gleichzeitig indirekt behauptet wurde,dass zwei Ausgaben der erwähnten Zeitschrift existieren, welche sichvon einander unterscheiden und, je nach dem, in welchem Staate sieherausgegeben werden, verschiedene Standpunkte einnehmen, wodurch überden Privatkläger vor einer dritten Person Tatsachen angeführt wurden,die ihn der Verachtung aussetzen oder in der öffentlichen Meinungherabsetzen könnten,

freigesprochen.

Zufolge dieser Entscheidung wird dem Angeklagten Hugo Sonnenschein nach § 2 des Gesetzes 108/33, Slg. der Ges.u.Vdg. unter Berücksichti-gung der §§ 266, 261 Str.G. eine Geldstrafe Kč 200.–, im Falle derNichteinbringlichkeit eine Arreststrafe von 48 Stunden neu ausgemessen.

Die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafewird auf diese Entscheidung des Berufungsgerichtes verwiesen.

Der Ausspruch über den bedingten Strafaufschub bleibt unberührt.

Im Sinne des § 390 St.P.O. ist der Angeklagte schuldig, die Ko-sten des Berufungsverfahrens zu ersetzen, der Privatkläger Karl Kraus hat jedoch im Sinne des § 34, Abs. 3 des Gesetzes Nr. 108/33 Slg.d.Ges.u.Vdg. gegen den Angeklagten keinen Anspruch auf Ersatz der Kostenseiner Rechtsvertretung, die in beiden Instanzen gegenseitig aufgeho-ben werden.

Gründe:

ad I. In der Frage der Schuld, soweit sie sich auf den inkri-minierten Ausspruch des Angeklagten in der Eingabe vom 18. Feber 1936an das Strafkreisgericht in Brünn in der Sache Tl III 299/34 bezieht,

dass nach Ansicht des Privatklägers das čsl. Volk keinen Anspruchauf Selbständigkeit gehabt habe, hat das Berufungsgericht nachUeberprüfung der Ergebnisse des Beweisverfahrens der I. Instanz beiVergleichung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteilsfestgestellt, dass der Berufung des Angeklagten in diesem Punkt keinErfolg beschieden sein kann.

Im vorliegenden Fall muss zwar die Einwendung des Angeklagten zugelassen werden, dass er den obenangeführten Ausdruck bei derAusübung seines Verteidigungsrechtes benützt hat, da er den inkri-minierten Ausdruck durch seinen Verteidiger in einer Eingabe anführ-te, mit welcher er in der betreffenden Strafsache den Beweis derWahrheit resp. des entschuldbaren Irrtums durchführte, aber trotzdemkann dieser Umstand nicht als Strafausschliessungsgrund im Sinnedes § 6 Ziff. des Gesetzes Nr. 108/33 Slg.d.G.u.Vdg. anerkannt wer-den, weil der Angeklagte durch den erwähnten Ausdruck die Grenzenseiner Berechtigung weit überschritten hat.

Als Beweis über die Berechtigung der Beschuldigung in dem in-kriminierten Ausdruck des Angeklagten führte der Angeklagte nämlichals einziges Beweismittel den Inhalt des letzten Absatzes des Artikelsdie Handschrift des Magiers“ in der Zeitschrift „Die FackelNr. 912–915 auf Seite 61, 62, welcher Beweis jedoch überhaupt nichtgelungen ist, denn das Berufungsgericht hat in dem Text, der durchden Angeklagten als Beweis an geboten wurde, nicht die geringste Er-wähnung der čsl. Nation und ihres Anspruches auf Selbständigkeit ge-funden und auch nicht festgestellt, dass der betreffende Text in seinemZusammenhang eine derartige Auslegung, wie sie dieser Stelle von demAngeklagten unterlegt wird, ohne gewaltsame Konstruktionen zulassenwürde.

Bei diesem Stand der Sache hat das Berufungsgericht als erwiesen angenommen, dass der Angeklagte, der auf gewaltsame Artdem betreffenden Text eine nicht zutreffende Auslegung gab, diein der Form der inkriminierten Beschuldigung geeignet, den Privat-kläger der Verachtung auszusetzen oder ihn in der öffentlichen Mei-nung zu erniedrigen, vom Angeklagten zu seiner Verteidigung benütztwurde, die Grenzen seines Rechtes überschritten hat, sodass derAusspruch des ersten Richters über seine Schuld hinsichtlich die-ses Ausdrucks voll begründet ist. Es wurde daher der Berufung desAngeklagten hinsichtlich des Ausspruches über die Schuld in dieserRichtung nicht stattgegeben.

ad II. Demgegenüber, soweit es die Behauptung des Ange-klagten in dem erwähnten Schriftsatz anlangt, dass der Privatanklä-ger die ihm vom Angeklagten unterlegte Ansicht über den Anspruch des čsl. Volkes auf Selbständigkeit,welche Ansicht ihm vom Angeklagten unterlegt wird, in der österr. Ausgabe der Fackel veröffentlicht habe, womit nach Ansicht des Pri-vatklägers indirekt behauptet wird, dass zwei Ausgaben der erwähntenZeitschrift existieren, welche sich voneinander unterscheiden und, jenach dem, in welchem Staate sie herausgegeben werden, verschiedeneStandpunkte einnehmen, hat das Berufungsgericht die Berufung des An-geklagten gegen den Ausspruch über die Schuld hinsichtlich der Bezeich-nung der genannten Zeitschrift begründet befunden, da in diesemPunkt aus der blossen Bezeichnung „österr. Ausgabe“, auch wenndas Wort „österreichische“ durch gesperrten Druck betont war, nichtgefolgert werden kann, dass der Angeklagte auf diese Weise den Privat-kläger beschuldigt hat, dass er zwei verschiedene Ausgaben jener

Zeitschrift herausgebe, von denen jede in ihren Ansichten den Ver-hältnissen jenen Staates angepasst ist, in welchem sie erscheint.Weil es hier um eine gezwungen konstruierte Auslegung von Seitendes Privatklägers geht, die objektiv aus der erwähnten Bezeichnungnicht bewiesen werden kann, stellt diese Bezeichnung nicht einmal nach derobjektiven Seite den Tatbestand der übeln Nachrede im Sinne des § 2des Gesetzes Nr. 108/33 Slg.d.G.u.Vdg. dar, da sie an und für sichnicht geeignet ist, den Privatkläger an der Ehre zu kränken, weilder beleidigende Sinn dieser Bezeichnung durch den Privatkläger blossgewaltsam unterlegt wurde. Es war daher der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Schuld in dieser Richtung stattzugeben unddas angefochtene Urteil in dem betreffenden Teil des verurteilenden Er-kenntnisses des ersten Richters in ein freisprechendes Urteil abzu-ändern.

Bei diesem Stand der Sache war es notwendig, dem Angeklagten dieStrafe nach § 2 des zitierten Gesetzes neu auszumessen. Bei der Straf-zumessung für den Angeklagten war nichts erschwerend, mildernd wardie Unbescholtenheit, Aufregung. Im Hinblick auf diese gewichtigen mil-dernden Umstände, die gleichzeitig besonders berücksichtigungswürdigeUmstände darstellen, wurde einerseits das ausserordentliche Milderungs-recht im Sinne des § 266 St.P.O. angewendet, andererseits das Recht dieFreiheitsstrafe in eine Geldstrafe im Sinne des § 261 Str.G., abzuändern.Die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe warsodann auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Ausspruch über den bedingten Strafaufschub blieb unberührt.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sichauf § 390 St.P.O. Da das Strafverfahren wegen zwei Fakten durchgeführt

wurde und der Angeklagte nur wegen eines verurteilt wurde, wurdendie Kosten der Rechtsvertretung der Parteien, welche die Parteieneinander gegenseitig zu ersetzen hätten, im Sinne des § 34 Abs. 3des Gesetzes Nr. 108/33 Slg. der G.u.Vdg., für beide Instanzen gegen-seitig aufgehoben.

Strafkreisgericht als Berufungsgerichtin Brünn den 21. Jänner 1937

Jaroslav Racek.

KrausArbeiterzeitung 10. FEB. 1937