68.39 Brief Samek an Justizrat Viktor Fraenkl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 6. September 1927
Betreff: Kraus – Kerr.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Justizrat Victor Fraenkl
Potsdamer Strasse 86b
Berlin W.57
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Justizrat!

Ich übersende Ihnen den Schriftsatz und Wider-klage vom 23./6.1927 und den Schriftsatz vom 21./7.1927.

Was den ersteren Schriftsatz betrifft, so mussich leider zugeben, dass mir bei Abfassung der Information insoferneein Irrtum unterlaufen ist, dass ich die Deutung des Pseudonyms„Gottlieb“ ‚als dem Schlachtengotte lieb‘, aus Seite 91 des Oktoberheftes1926 der „Fackel“, Herrn Kerr zuschrieb, was Herr Kraus bei Durch-sicht meines Briefes an Sie übersehen hat, während die Deutung undVerwertung in dem satirischen Gedicht Herrn Kraus zuzuschreiben ist.

Sonst sind ja die meisten Punkte des Schrift-satzes vom 23./6.1927 in meiner ersten Information bereits behandelt.Ich übersende Ihnen jedoch, damit Sie das Material vollständig haben,zwei Abschriften des Aufsatzes Kerr’sErinnerung an Paris“, welcherim „Berliner Tageblatt“ am 24. April 1926 erschienen ist. Dies beson-ders aus dem Grunde, damit das Gericht sich selbst ein Urteil bil-den kann, ob die Bemerkung über Hoesch, auf Seite 8 der Abschrift,zu der Verspottung Berechtigung gab, indem man das Wort „Saft“ eben-so deutete, wie es Herr Kraus getan hat und besonders zur Beurteilung

des Punktes XIX, auf Seite 11 der Abschrift, ob Herr Kerr darnacherwarten konnte, dass auf diese Stelle von Herrn Kraus nicht rea-giert werden würde.

Ferner übersende ich Ihnen zwei Exemplare des JuniHeftes der „Fackel“, aus der zwei Aeusserungen zur Widerklage be-nützt wurden.

Was nun die Frage der Zuständigkeit des Berliner Ge-richtes für die Widerklage betrifft, so kann ich dagegen gewiss nichtStellung nehmen. Ich habe übrigens schon in meinen ersten Schreibenan Sie darauf hingewiesen, dass im österreichischen Rechte eine Be-stimmung existiert, dass für alle durch ein Druckwerk begangene Hand-lungen als Tatort der Ort gilt, wo das Druckwerk erschienen ist, wennaber dieser Ort unbekannt oder im Auslande ist, als Tatort der Ortgilt, wo das Druckwerk verbreitet worden ist. Es wäre ja nur die Frageob die mir zitierten Paragraphe der Strafprozessordnung, trotz Fehlenseiner derartigen Bestimmung im deutschen Rechte, doch die Zuständig-keit schaffen würden. Die Argumentierung, dass Kraus auch Verleger seiund dass die Verbreitung der Druckschrift in Deutschland mit seinemWissen und seiner Kenntnis erfolge, halte ich nicht für ganz zutref-fend, weil nach § 21 des P.G. eine subsidiäre Haftung für den verant-wortlichen Redakteur, Verleger, Drucker und Verbreiter, soweit sie nichtals Täter oder Teilnehmer zu bestrafen sind ausgesprochen ist, wenndiese Personen nicht einen Täter namhaft machen, welcher in dem Bereichder richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaates sich befindet.Würde die Ansicht der Anwälte des Herrn Kerr’s richtig sein, dassdie Verantwortlichkeit vor dem deutschen Gericht schon damit entsteht,

dass ein im Auslande lebender Täter am Erscheinen oder Verbreitenin Deutschland beteiligt ist, so könnte es nie zu dieser subsidiärenHaftung des § 21 des P.G. kommen. Allerdings bitte ich Sie, dieseRechtsansicht nur als laienhafte zu betrachten, da mir die deutschenGesetze viel zu wenig vertraut sind. Wenn Sie noch irgend welcheAuskünfte wünschen, so bitte ich Sie, mir dies mitzuteilen.

Ich zeichne mit vorzüglicher kollegialerHochachtung

6 Beilagen.

Betr. KrausKerr exp. am 6. Sept. 1927