70.9 Brief Samek an RA Botho Laserstein

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 11. Oktober 1928
Betreff: Kraus – Kerr II.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Botho Laserstein, | Rechtsanwalt
Landsberger Allee Nr. 55
Berlin N.O. 18
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich habe in der Literatur und in denEntscheidungen Anhaltspunkte für die Erstattung des verlangtenRechtsgutachtens gesucht, aber keine gefunden. Mein Rechtsgutachtenentspringt daher meiner eigensten persönlichen Meinung.

Die Tatsache, dass die Fackel im Bezirke desLandgerichtes I Berlin vertrieben wird, die Drohungen mit der Ver-öffentlichung also im Bezirke des angerufenen Gerichtes erhobenwurden und voraussichtlich im Bezirke dieses Gerichtes vertriebenwerden soll, begründet keinen Gerichtsstand in Berlin. Auch nachösterreichischem Rechte würde ein solcher Gerichtsstand nicht ge-geben sein. Der Kläger scheint an den § 32 D.Z.P.O. zu denken.Eine ähnliche Bestimmung fehlt in der Oesterr. Z.P.O. Der Gerichts-stand wäre vielleicht gegeben, wenn die Veröffentlichung bereitserfolgt wäre. Dann könnte man von einer unerlaubten Handlung spre-chen. Es wäre aber immerhin noch fraglich, ob diese unerlaubteHandlung auch im Bezirke des Landgerichtes I Berlin begangen wurde,

da doch der Erscheinungsort der Fackel Wien ist. Ferner ist ja jetztnoch nicht sicher, dass diese Veröffentlichung als Sondernummer derFackel erfolgen wird, sie könnte auch als Buch erscheinen, die Be-stimmung des § 36 oest. Pressgesetz, dass als Tatort einer durch eineim Ausland erscheinende Zeitung begangenen strafbaren Handlung derOrt gilt, wo das Druckwerk verbreitet worden ist, kann für das Zi-vilverfahren nicht angewendet werden. Ich finde auch keine ähnlicheBestimmung im deutschen Gesetz, welches nach meinem Dafürhalten fürdie Zuständigkeit allein in Frage kommt.

Zweifelhafter erscheint mir die Rechtsfrage,ob der Vermögensgerichtsstand gegen Karl Kraus in Berlin gegebenist. Die Fackel wird, wie meine Erkundigungen aber ergaben, inDeutschland durch die Firma K.L. Köhler in Leipzig an die einzelnenBuchhändler geliefert, die Fakturen im Namen des Verlags der Fackel ausgestellt und eventuelle Zahlungsrückstände in dessen Namen ge-richtlich eingefordert. Da Herr Kraus allein Inhaber der prot. FirmaKarl Kraus Verlag der Fackel ist, ist es zweifellos, dass er For-derungen in Berlin besitzt und dass daher eine Voraussetzung für denGerichtsstand des Vermögens vorhanden wäre, nicht aber die zweiteVoraussetzung, da nach § 23 der D.Z.P.O. die Zuständigkeit nur wegenvermögensrechtlicher Ansprüche“ gegeben wird. Die vorliegende Klage kann nur im Punkt 1 des Klagebegehrens als vermögensrechtliche be-zeichnet werden, nicht aber im Punkt 2 und 3. Die Veröffentlichungvon Gedichten unter dem Namen eines Mannes, der sie nicht verfassthat, ist kein Eingriff in seine Vermögensrechte, die Veröffentlichungseiner eigenen Gedichte, die unter einem Pseudonym erschienen sindunter dem wirklichen Namen des Verfassers gleichfalls nicht. Es lie-

gen hier nur Eingriffe in ein sogenanntes Persönlichkeitsrecht vor.Der Vermögensgerichtsstand wäre also nur dann gegeben, wenn dasKlagebegehren lediglich dahin lautete, dass der Beklagte zu unter-lassen habe, Gedichte des Klägers zu vervielfältigen und die einzel-nen Exemplare der Vervielfältigung gewerbsmässig zu vertreiben. Diesist ein vermögensrechtlicher Anspruch. Da aber hier vermögensrecht-liche und nicht vermögensrechtliche Ansprüche in einer Klage vereinigtsind, die Zuständigkeit daher nicht für alle Ansprüche gegeben wäre,müsste nach meinem Dafürhalten, so lange das Klagebegehren in seinerGesamtheit aufrechterhalten bleibt, die Nichtzuständigkeit angenom-men werden.

Ob die einstweilige Verfügung oder das Urteilüber die österreichischen Grenzen hinaus wirkt, halte ich für denProzess für bedeutungslos und glaube nicht, dass das Gericht auf einesolche Frage überhaupt eingehen kann und wird. Wenn österreichischeHoheitsrechte durch das Urteil verletzt würden, könnte eben dieVollstreckung in Oesterreich inhibiert werden. Dies geschieht abernur dann, wenn noch den Gesetzen des Vollstreckungsstaates einausschliesslicher Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten dieser Artbesteht, oder wenn durch die Zwangsvollstreckung ein Rechtsverhält-nis zur Anerkennung oder ein Anspruch zur Verwirklichung gelangensoll, dem im Gebiet des Vollstreckungsstaates aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolg-barkeit oder Klagbarkeit versagt ist. Die Vollstreckbarkeit inOesterreich wäre aber auch dann ausgeschlossen, wenn sich der Be-klagte auf den Rechtsstreit nicht eingelassen hätte und ihm dieLadung oder die Verfügung, durch die das Verfahren eingeleitet

worden war, lediglich im Wege der Ersatzzustellung oder der öffent-lichen Zustellung zugestellt war, ferner, wenn für die Entscheidungdes erkennenden Gerichtes lediglich der Gerichtsstand des Vermögensgegeben war. Auf Grund des Vermögensgerichtsstandes in Deutschlandgefällte Urteile sind also in Oesterreich überhaupt nicht voll-streckbar, so dass also damit schon der Verbreitung der Fackel inOesterreich auf Grund des deutschen Urteils kein Hindernis im Wegestünde. Ueberdies sind Arreste und einstweilige Verfügung im Rechts-hilfevertrag von der Vollstreckbarkeit auf Grund der Gegenseitig-keit überhaupt ausgenommen.

Auf Grund des österreichischen Urheberrechts-gesetzes ist ebenso wie auf Grund des deutschen Urheberrechtsge-setzes die Veröffentlichung und Vervielfältigung verboten und straf-bar, ebenso auch die Veröffentlichung eines Literaturwerkes untereinem falschen Namen. Zu operieren ist also im vorliegenden Fallenicht damit, dass das, was Herr Kraus in der Fackel angekündigt hat,nach österreichischem Rechte erlaubt wäre, sondern, dass Herr Kraus selbstverständlich den Abdruck nur so weit geplant hat, als er imGesetze zulässig ist. Das österreichische Urheberrechtgesetz kennt,und zwar in einem etwas weiteren Ausmass als das deutsche dasZitierungsrecht. Nach § 25 Absatz 2 des österreichischen Urheber-rechtgesetzes ist als Nachdruck nicht anzusehen „die Aufnahme ein-zelner erschienener Werke in einem durch den Zweck gerechtfertigtenUmfang in ein grösseres Ganzes, wenn sich dieses nach seinem Haupt-inhalt als selbständiges wissenschaftliches Werk darstellt“. Nach§ 19, Absatz 2 des deutschen Urheberrechtgesetzes könnten nur ein-zelne Gedichte in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit aufge-

nommen werden. Nach österreichischem Rechte unterliegt die Anzahlkeiner wie immer gearteten Beschränkung. Es ist selbstverständlichniemals die Absicht des Herrn Kraus gewesen, einen blossen Ge-dichtband herauszugeben, sondern, wie sein ganzes Wirken zeigt, ineine Polemik gegen die Kriegsgedichte der Gottlieb’s und Peter dieerschienenen Gedichte einzuflechten und abzudrucken. Deshalb ist esauch ein juristischer Unsinn, wenn Kerr behauptet, dass der Abdruckseiner Gedichte in der Fackel Nr. 787–794 rechtswidrig gewesen ist.Dieser Abdruck nicht sowohl ist nach dem deuts<chen Urheberrechtgesetz,umsomehr aber nach dem österreichischen Urheberrechtgesetz erlaubt.

Geht man aber nun von der Annahme aus, dassHerr Kraus diese Veröffentlichung nur in der ihm vom Gesetz er-laubten Weise vornehmen wird oder zumindest, dass es jetzt nochnicht feststeht, dass er sie in einer vom Gesetz nicht erlaubtenWeise vornehmen will, so ist das Klagebegehren verfehlt, weil zuwenig präzis, denn es ist nicht unerlaubt Gedichte zu vervielfäl-tigen und die Vervielfältigung zu vertreiben, soweit dies in einemgrossen wissenschaftlichen Werke geschieht, sondern lediglich dieHerausgabe ohne Einkleidung wäre eine solche unerlaubte Handlung.Dies kommt aber im Klagebegehren nicht zum Ausdruck. Hinzuzufügenist noch, dass unter wissenschaftlichem Werke nicht nur ein sol-ches zu verstehen ist, welches sich mit der Aufstellung wissen-schaftlicher Thesen beschäftigt, sondern, dass nach der allgemeinenPraxis der österreichischen Gerichte auch jedes Werk, dem eineselbständige geistige oder ästhetische Bedeutung zukommt, alswissenschaftliches Werk anzusehen ist.

Ich halte es für unmöglich einem drohenden

Eingriff in Privatrechte durch eine Unterlassungsklage vorzubeugen,solange dieser nicht wenigstens ins Stadium einer Vorbereitungs-handlung getreten ist, umsoweniger aber im vorliegenden Falle, woder Eingriff nicht einmal konkretisiert ist, sondern ganz allgemein,bedingt und mehr der Drohung selbst wegen als aus Absicht derVerwirklichung in Aussicht gestellt wird. Gäbe es ein so weitge-hendes Recht auf eine Unterlassungsklage, so wären die ausführ-lichen Bestimmungen des unlauteren Wettbewerbsgesetzes überflüssig,ferner auch die Sicherungsbestimmungen des Urheberrechtgesetzes unddie Bestimmungen der Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen.Besonders aus den letzteren geht hervor, dass vorläufige Sicherungs-massregeln nur dann angewendet werden sollen, wenn ohne sie dieVerwirklichung des Anspruches vereitelt oder erheblich erschwertwürde. Das hat aber der Kläger nicht einmal behauptet. Die vorlie-gende Unterlassungsklage würde also auf ein Vorwegnehmen des Pro-zesses vor Setzung des Tatbestandes hinauslaufen.

Ich hoffe, dass Ihnen das Mitgeteilte zurBeurteilung der Rechtssache nach Österreichischem Recht genügt. Wennnicht, bin ich zu weiteren Auskünften stets gerne bereit. Wenn dieZeit, in der Sie die Erstattung verlangt haben, nicht zu kurz ge-wesen wäre, hätte ich Ihnen die zur Anwendung kommenden Paragraphenwörtlich zitiert. Auf Verlangen werde ich sie nachtragen.

Ich zeichne in kollegialer HochachtungIhr ergebener