70.10 Schriftsatz in Sachen Kerr ./. Kraus (RA Botho Laserstein an das Landgericht I Berlin, G.Z. Q 164/28)

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein,

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlicher Mitteilung
Datum: 15. Oktober 1928
Seite von 19

15. Oktober 1928.

Sehr verehrter Herr Kraus,hier mein Schriftsatz. DieKammer hat noch nicht entschieden,stand aber sehr ungünstig undpro Kerr, der selbst anwesend warund mit seinen Phrasen von „deutschfeindlichen Versen“ und von„Patriotismus“ grossen Eindruck machte. Nur als ich die Wolff-Klage ankündigte, zuckte er, der überhaupt sehr nervös war, merklichzusammen.

Ich rate für den Fall desUnterliegens zur Berufung, weil dasKammergericht die Sache ruhigerund sachlicher beurteilen dürfte.

Besten GrussGanz ergebenDr. Laserstein

An dasLandgericht I zu Berlin.

In SachenKerr ./. Kraus,38. Q. 164/28

begründe ich den Widerspruchunter Zusammenfassung meines heu-tigen Vortrags wie folgt:

I.

Das Landesgericht I Berlin istörtlich unzuständig.

1. Der Gerichtsstand des § 23ZPO ist nicht gegeben.

Erstens kann die vorliegendeeinstweilige Verfügung nur im Punkt 1als auf einem vermögensrechtlichenAnspruch beruhend bezeichnet wer-den, nicht aber in Punkt 2 und 3.Die Veröffentlichung von Gedichtenunter dem Namen eines Mannes, dersie nicht verfaßt hat, ist keinEingriff in seine Vermögenrechte,die Veröffentlichung seiner ei-genen Gedichte, die unter einemPseudonym erschienen sind, unterdem wirklichen Namen des Verfas-sers gleichfalls nicht. Es liegen

hier nur Eingriffe in ein persönliches Rechtvor.

Sodann hat der Antragsteller bisher über-haupt nicht glaubhaft gemacht, daß der Antrags-gegner im Bezirke des angerufenen Gerichts Ver-mögen besitzt. Er hat vielmehr nur durch eides-sattliche Versicherung des Antragstellers glaub-haft gemacht, daß die vom Antragsgegner heraus-gegebene Zeitschrift „Die Fackel“ im hiesigenBezirk verbreitet wird. Das aber ist offenkundigund kann nicht bestritten werden. Damit istaber noch nicht bewiesen, daß dem Antragsgegner Ansprüche gegen die hiesigen Verbreiter der Zeit-schrift zustehen. Vielmehr stellt das nur einevage Behauptung des Antragstellers dar, für die erbeweis-, im vorliegenden Verfahren also glaub-haftsmachungspflichtig ist. Die Behauptung desAntragstellers wird aber schon dadurch widerlegt,daß der Verlag „Die Fackel“ seine Verlagswerkeund auch die Zeitschrift in Deutschland durchdie Firma K. L. Köhler in Leipzig, ausliefert.Vermögenswerte Ansprüche des Verlages „Die Fackel“ befinden sich daher nur in Leipzig, da gerichts-bekanntermaßen die Verleger nicht mit den Buch-handlungen, sondern mit dem Kommissionär abrech-nen. / Vgl. Voigtländer-Fuchs § 36, Anm. 4; Gold-baum S. 225, Anm. E. /

2. Der Gerichtsstand des § 32 ZPO ist eben-falls nicht gegeben. Zuzugeben ist, daß nachder Rechtsprechung des Reichsgerichts eine durch

Verbreitung eines Preßerzeugnisses begangeneunerlaubte Handlung nicht bloß da begangen wird,wo dasselbe hergestellt und von wo es vorbereitetwird, sondern auch da, wo die Verbreitung selbststattgefunden hat. Aber:

a. Soweit die Klage auf die Verletzung der§§ 1, 36 Lit.Ur.Ges. in Verbindung mit § 1004BGB gestützt ist, vertagt § 32 ZPO schon deshalb,weil die quasi negatorischen Klagen auf Unter-lassung der Störung eines absoluten Rechts nichtauf der unerlaubten Handlung, sondern lediglich aufdem verletzten Rechte selbst beruhen. Das istin Literatur und Rechtsprechung anerkannt. / SieheAllfeld, Kommentar 1928, Vorbemerkungen zu § 36,Anm. 8, Stein-Jonas, Kommentar zur ZPO 1928 zu§ 32, Anm. III; Foerster-Kann, Kommentar zur ZPOzu § 32, Anm. 2, a; KGZ 10, S. 325, KGZ 24, S.394; OLG Kassel in Seuf. Arch. Band 60, S. 40. /

b. Das Gleiche gilt, soweit die einstweiligeVerfügung auf § 12 BGB gestützt wird, weil essich dabei ebenfalls um ein absolutes Recht han-delt.

c. Aber auch soweit sich die einstweiligeVerfügung auf § 826 BGB stützt, kommt der Gerichts-stand des § 32 ZPO nicht in Betracht. Hier bildetzwar eine unerlaubte Handlung den Klagegrund, je-doch nur eine drohende, in Aussicht stehende un-erlaubte Handlung, wie ja die ganze Klageschrift sich überhaupt nur auf die angebliche Ankündigungeiner unerlaubten Handlung auf Seite 123 und 191des letzten Hefts der „Fackel“ gründet. Voraus-

setzung für die Anwendbarkeit des § 32 ist aber,daß die Unterlassungsklage in einer vorausgegan-genen unerlaubten Handlung ihren Grund hat. DasReichsgericht setzt in Band 78, S. 256, wo esüber eine auf eine begangene unerlaubte Handlunggestützte Unterlassungsklage zu entscheiden hatund deren Zulässigkeit bejaht, um jedes Mißver-ständnis auszuschließen, ausdrücklich hinzu:„Ob das Gleiche gelten würde, wenn die Unter-lassungsklage angestellt würde zur Abwehr einerangedrohten oder in Aussicht stehenden unerlaub-ten Handlung, steht hier nicht zur Erörterung.“In OLG Rs Band 10, S. 404 wird die Frage aus-drücklich verneint. Dort klagte der allein Auf-führungsberechtigte eines Dramas gegen einenTheaterdirektor, der die Aufführung des Dramasangekündigt hatte. Das OLG wies in diesem dem vor-liegenden sehr ähnlichen Falle wegen örtlicherUnzuständigkeit ab und verwies den Kläger aufden allgemeinen Gerichtsstand. ÜbereinstimmendStein-Jonas, Kommentar zur ZPO 1928 zu § 32, Anm.III.

d. Hiernach ist zweifellos, daß das Gerichtals forum delicti commisse unzuständig ist. Aberes sei noch ein Übriges getan und die Hypothese§ 32 ZPO sei anwendbar verfolgt. Auch in diesemFalle müßte die einstweilige Verfügung wenigstensin ihrem jetzigen Umfang zum größten Teil wegen Un-zuständigkeit des Landesgerichts I aufgehoben wer-den. Denn der Antragssteller verlangt ja nichtnur, daß der Antragsgegner die Vervielfältigung

und Verbreitung der Gedichte im Bezirke desLandgerichts I zu Berlin unterlasse, sondernauch allgemein, daß er die Vervielfältigungund Verbreitung auch an allen sonstigen Ortender Welt unterlasse. Dieser Fall ist bereitsvom Reichsgericht Band 60, S. 363ff. entschie-den. Die dortigen Ausführungen des Reichsgerichts beziehen sich auf eine Schadenersatzklage wegeneines erschienen Artikels, gelten also erstrecht für die vorbeugende Unterlassungsklage, dieja anerkanntermaßen nur eine Vorausnahme desSchadensersatzprozesses sein soll. Es heißt inder Entscheidung: „Das angefochtene Urteil kannzu einem großen Teil nicht aufrecht erhaltenwerden … weshalb hierfür / für die Forderungauf Ersatz des durch die Verbreitung des Artikelsan allen sonstigen Orten her Welt verursachtenSchadens / das Landgericht I zu Berlin zuständigsein soll, ist nicht abzusehen. Nur die Verbrei-tung des fraglichen Artikels im Bezirke des ge-nannten Gerichts wurde diejenige unerlaubte Hand-lung sein, aus welcher bei einem geklagt werdenkann.“ Auf die weitere interessante Begründungdieser Entscheidung wird verwiesen.

e. Selbst wenn aber der Gerichtsstand derunerlaubten Handlung gegeben wäre, wäre er nurgegeben für die im Bezirke des angerufenen Ge-richts begangene unerlaubte Handlung, also fürdie Verbreitung, nicht aber für die Vervielfäl-tigung, die allein in Wien begangen ist, wie ichdurch eidesstattliche Versicherung des HerrnKraus und durch das Impressum der überreichten

Fackelhefte glaubhaft mache.

II.

Das angerufene Gericht ist aber auch sachlichunzuständig, soweit die einstweilige Verfügungauf die Verletzung der §§ 1, 36 Lit.Ur.Ges. inVerbindung mit § 1004 BGB gestützt ist. Dennder Kläger verlangt ganz allgemein, daß der Be-klagte die Vervielfältigung und Verbreitung derGedichte unterlasse. Da sich nun der Verlag der„Fackel“ und seine Druckerei in Wien befinden,muß die nach der Behauptung des Klägers drohendeRechtsverletzung vornehmlich in Wien, also imAuslande begangen werden. Das inländische Gesetzerstreckt jedoch seine Herrschaft nicht auf die imAuslande begangenen Rechtsverletzungen. Das er-gibt sich aus der Begründung zum Lit.Ur.Ges., S. 38„Der Schutz der deutschen Urheberrechte im Aus-lande kann, soweit er nicht schon von dem aus-ländischen Gesetz selbst gewahrt wird, ausschließ-lich auf dem Wege des Staatsvertrags erreicht wer-den. Ausländische Rechtsverletzungen können dahervor deutschen Gerichten überhaupt nicht verfolgtwerden. / Siehe Allfeld Kommentar 1928, S. 297,insbesondere auch Kohler, Zeitschrift für deut-schen Zivilprozeß, Band 10, S. 449, Zeitschriftfür internationales Privat- und Strafrecht, Band6, S. 243, Urheberrecht S. 393. / Stellt man sichaber auf den Standpunkt, daß wenigstens die imInlande drohende Störung vor dem inländischenGericht abgedeckt werden kann, so kann es sichimmer nur um solche Handlungen handeln, die ihre

Wirkungen nicht lediglich im Auslande haben,sondern sich auch aufs Inland erstrecken. / All-feld S. 298 / Das aber kann vorliegend lediglichvon der Verbreitung, nicht aber von der Verviel-fältigung behauptet werden. Zieht man auch letz-tere, obwohl sie vorliegend zweifellos in Wien,also im Ausland droht, vor das deutsche Gericht,so stellt sich dies auch als eine unzulässigeVerletzung der österreichischen Staatshoheits-rechte dar, deren sich das deutsche Gericht nachden geltenden Regeln des Völkerrechts und desinternationalen Privatrechts, die Artikel 4 derReichsverfassung zu deutschen Gesetzen erhebt,nicht schuldig machen darf.

Im übrigen besteht aber auch für eine der-artige einstweilige Verfügung aus Unterlassung imBezirke des Landgerichts I kein Rechtschutzbe-dürfnis, da der Antragsteller gemäß der revidier-ten Berner Übereinkunft vom 13. November 1908den Schutz der österreichischen Gerichte anzu-rufen Gelegenheit hat.

III.

Hält sich aber das angerufene Gericht wideralles Erwarten für zuständig, so fragt sich,welches Recht für die Beurteilung der unerlaubtenHandlung anzuwenden ist. Artikel 12 E.G. BGB schließt die Anerkennung des Grundsatzes an, daßunerlaubte Handlungen nach dem Gesetze des Orteszu beurteilen sind, wo sie begangen wurden. Dasist in Literatur und Rechtsprechung anerkannt.RG Räte 1928 zu § 823 Anm. 7: Staudinger Kommentar

zu Artikel 12 E.G; juristische Wochenschrift1906, 297 I; insbesondere RGZ Band 96, S. 98.Da nun hier für die angeblich drohende uner-laubte Handlung mehrere Tatorte in Betrachtkommen, ja gilt nach der Entscheidung des Reichs-gerichts vom 22.12.1902 VI. 280/02 das Gesetzdes Ortes, das für den Beklagten günstiger ist.Der Antragsteller möge daher, da er die einst-weilige Verfügung auf deutsches Recht stützt,dartun, daß das deutsche Recht das Mildere ist.Dies wird auf Grund diesseitiger Kenntnis desösterreichischen Rechts ausdrücklich bestritten.Es wird hierzu u.a. auch auf die Bestimmungder österreichischen Exekutionsordnung übereinstweilige Verfügungen verwiesen.

IV.

Die einstweilige Verfügung ist auch mate-riell unbegründet.

a. Der Antrag zu 3 ist völlig unhaltbar.Der Kläger wirft zu seiner Begründung ohne nä-here Ausführungen die §§ 7 Lit.Urh.Ges., 12, 826BGB in die Wagschale. Alle drei Bestimmungenkönnen den Antrag nicht rechtfertigen.

a. § 7 Lit.Urh.Ges. ist nur eine Vermutungzugunsten des als Verfasser Angegebenen, sie sollihn der Notwendigkeit überheben, noch besondersnachzuweisen, daß er das Werk wirklich verfaßthabe. Dagegen ist die Vermutung nicht auch zu-ungunsten des als Verfasser Angegebenen aufgestelltin dem Sinne, als ob er, falls das Werk sich alsNachdruck erweist, bis zum Beweise des Gegenteils

als Verfasser des Nachdrucks zu gelten hätte. / All-feld 1923, S. 95! / Wenn also der Antragsgegner wirklich Gedichte unter dem Namen des Antragstel-lers veröffentlichen sollte, die dieser nichtverfaßt hat, so entstehen dem Kläger auf Grunddes § 7 Lit.Urh.Ges. keinerlei Nachteile, sondernhöchstens Vorteile.

b. Weder § 7 noch eine andere Bestimmungdes bürgerlichen Rechts oder des Urheberrechtsverbietet, das Pseudonym eines Verfassers zulüften. Insbesondere ist es zweifellos zulässig,z.B. kleine Zitate aus pseudonymen Werken ineiner selbstständigen Arbeit unter dem bürger-lichen Namen ihres Urhebers veröffentlichen./ § 19 Ur.RG /

c. § 12 BGB hat in dem angegebenen Zusam-menhange ebenfalls nichts zu suchen. Das ergibtsich ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes.Durch § 12 wird 1. nur geschützt das Recht zumGebrauch des Namensund 2. nur verboten der unbefugte Gebrauchdes Namens des Berechtigten durch einen anderen.Der Antragsgegner wurde also, wenn er wirklichGedichte unter des Antragstellers Namen veröf-fentlichen sollte, die dieser nicht verfaßt hat,dadurch dem Antragsteller weder bestreiten, daßer berechtigt sei, den Namen Alfred Kerr zu tra-gen, noch würde er sich selbst mit dem Namen desAntragstellers schmücken.

d. Schließlich kann Antrag 3 auch nichtauf § 826 BGB gestützt werden. Denn „im Falle

des § 826 ist der gegenständliche Tatbestand vompersönlichen nicht zu lösen, so daß eine abweh-rende Unterlassungsklage nicht wohl anders alsauf Grund des erfüllten Tatbestandes der uner-laubten Handlung in der Vergangenheit denkbar ist.“/ RG Räte 1928 zu § 823, 6, III. /

Der Antragsteller stützt aber sein Begehrenauf einstweilige Verfügung lediglich auf dieangeblichen Drohungen des Antragsgegners, eineKollektion aller „Gottlieb“-Gedichte unter dem Na-men des Antragstellers herauszugeben –ein Unternehmen, das der Antragsgegner wederjemals begonnen, noch in die Tat umgesetzt hat.Dadurch daß der Antragsgegner versehentlich hierund da ein „Gottlieb“-Gedicht Alfred Kerr zuge-schoben, das dieser nicht vefaßt hat, ist derTatbestand einer vorsätzlichen unerlaubten Handlungnach § 326 BGB nicht verwirklicht worden.

2. Die gesamte einstweilige Verfügung aufUnterlassung ist aber unzulässig, weil die mate-riellen Voraussetzungen der vorbeugenden Unter-lassungsklage nicht gegeben sind. Da es sich beidieser Klage um einen besonders schwer wiegendenEingriff in die menschliche Handlungsfreiheithandelt, so kann die Möglichkeit einer Störungzu ihrer Begründung nicht ausreichen. Vielmehrmuß eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeiteiner solchen Störung, eine ernstliche Besorgnisvorliegen. / Alsfeld S. 292 /

Darüber hinaus führt das Reichsgericht inBand 101 S. 339/340 zutreffend aus: „Die vor-liegende Unterlassungsklage auf dem Gebiete derunerlaubten Handlung ist von der Rechtsprechungder abwehrenden Eigentumsklage des § 1004 BGB nachgebildet worden, dieser entsprechend wirdvon der Voraussetzung des Verschuldens abgesehen,andererseits aber auch eine erfolgte Beeinträch-tigung gefordert und vorausgesetzt, daß weitereBeeinträchtigungen zu besorgen sind. Solangeeine Beeinträchtigung noch garnicht stattge-funden hat, kann von einer Besorgnis weitererBeeinträchtigungen keine Rede sein. / Juristi-sche Wochenschrift 1911 Nr. 330. / Es hieße diewesentlichen Grundlagen dieser Rechtsweiterbil-dung völlig verlassen, wollte man für die vor-beugende Unterlassungsklage von jenem Erfordernisdes erfolgten Eingriffs schlechthin absehen.“

Beide Voraussetzungen liegen in den kon-kreten zur Beurteilung stehenden Fall nicht vor.

a. Der Antragsteller trägt selbst nicht vorund macht nicht glaubhaft, daß der Antragsgegner bisher schon sämtliche Gottlieb-Gedichte unterdem Namen Kerr veröffentlicht oder auch nur denAnfang zur Ausführung einer solchen Handlungunternommen hat.

b. Der Antragsgegner hat auch sonst die ur-heberrechtliche Rechtsphäre des Antragstellers niemals tangiert. Was er bisher zum Abdruck ge-bracht hat, waren nach § 19, Nr. 1 und 2 Urh.Ges. zulässige Kleinzitate. Er hat nämlich in seinen

selbstständigen literarischen „Fackel“-Aufsätzenlediglich wiederholt Texte von Kriegsgedichtendes Antragstellers zum Abdruck gebracht. Teilweisehat er allerdings auch – und zwar in ganz gerin-ger Zahl – vollständige Kriegsgedichte des An-tragstellers abgedruckt. Aber auch das ist zu-lässig. Die „Gottlieb“-Produktion bildet, wie derAntragsteller in seiner Klage selbst nicht be-streitet, eine durch den Kriegszweck zusammenge-haltene innere Einheit. Soweit der Antragsgegner einzelne dieser Gedichte zum Abdruck brachte,druckte er also kleinere Texte eines größerenGesamtwerks ab. / § 19, Nr. 1 Urh.Ges. / Nach § 19Nr. 2 Urh.Ges. ist es aber außerdem überhaupt zu-lässig, einzelne Gedichte in eine selbstständigewissenschaffentliche Arbeit aufzunehmen. Es istnun außerordentlich bestritten, ob eine satirisch-kritische Arbeit über andere Literaturwerke unterden Begriff der wissenschaftlichen Veröffentlichungfällt. Ich überreiche deshalb das glänzend begrün-dete Urteil des obersten Österreichischen Gerichts-hofs vom 12. April 1915, das in anliegender Nr.406/412 der „Fackel“ abgedruckt und in dem gesagtist, daß auch kritische Besprechungen, die Bos-heiten gegen die darin Besprochenen enthalten,unter den Begriff der wissenschaftlichen Arbeitfallen. Weil die „Fackel“ in Wien erscheint, istes wichtig, daß mindestens nach österreichischemRecht die Kerr-Publikationen kein Eingriff indie urheberrechtliche Sphäre des Antragstellers darstellen. Das Gleiche muß aber auch nach deut-schem Recht gelten.

Zur Glaubhaftmachung dafür, daß im Vorste-henden der Sachverhalt bezüglich der Kerr-Gedichtezutreffend wiedergegeben ist, überreiche ich8 Hefte der „Fackel“ aus den Jahren 1924 bis1928.

In der letzten Ausgabe der „Fackel“, diesich hauptsächlich mit dem Antragsteller beschäf-tigt, und auf die er im Wesentlichen seinen An-trag auf einstweilige Verfügung stützt, enthältüberhaupt keine Gedichte des Antragstellers, viel-mehr druckt hier der Antragsgegner ihm vom Antrags-steller zugestellte Schriftsätze ab, die Gegen-stand eines öffentlichen Gerichtsverfahrens ge-wesen sind, und in denen sich lediglich Bestand-teilsmäßig vom Antragsteller selbst zitierte Ge-dichte vorfinden. Das muß – argumentum e contra-rio § 17 Preßgesetzes – zulässig sein.

c. Die vom Antragsteller zur Stützung sei-nes Antrages benutzten Drohungen im letzten Heft der „Fackel“ sind aber keine ernstlich gemeinten.Vielmehr handelt es sich bei den beiden Sätzenauf Seite 123 und 191 des September-Hefts 1928 der „Fackel“, in denen neue Publikationen vonGedichten des Antragstellers und von Nicht-Gedich-ten des Antragstellers enthalten sind, lediglichum satirische Hyperbeln, mit denen der Antrags-gegner die moralische Verantwortung des Antrag-stellers für alle „Gottlieb“-Gedichte klarstellt.Dies dürfte auch für das Gericht bei nähererPrüfung des Stils des Antragsgegners, die diezahlreichen überreichten „Fackel“-Hefte ermögli-

chen, ohne weiteres klar sein. Es sind während desWeltkrieges im „Tag“, wie ich durch anliegendeeidesstattliche Versicherung des Robertvan Berry glaubhaft mache, etwa 500 bis600 „Gottlieb“-Gedichte erschienen. Welcher Ver-leger würde in ein solches Werk, das naturgemäßin einer friedlichen Zeit keinerlei Interessebei der breiten Öffentlichkeit finden kann, meh-rere tausend Goldmark hineinstecken und dann aufdas Titelblatt den für Nichteingeweihte noch dazuvöllig unverständlichen Satz setzen: „Das Nicht-Gewünschte bitte zu durchstreichen.“ / Seite 191der Nr. 787/794 der „Fackel“ /?

Ich mache aber auch die mangelnde Ernstlich-keit der Krausschen Drohung durch Überreichungdes Gutachtens dreier hervorragender Literarhi-storiker und Sprachkritiker glaubhaft, und zwar

aa. des Herrn Heinrich Fischer,Dramaturgen und stellvertretenden Direk-tors des Theaters am Schiffbauerdamm.

bb. des Herrn Reifferscheidt ,des hauptsächlichsten literarischen Mit-arbeiters der Wirthschen ZeitschriftDeutsche Republik“.

cc. des Münchener Literarhistorikers ProfessorDr. Theodor Hecker , einesoffiziellen Schriftstellers der katholi-schen Kirche und eines der bedeutendstenlebenden Sprachkritiker.

Ganz entscheidend wird aber die Richtigkeitder These durch den Aufsatz des bedeutenden ber-liner Kritikers Herbert Ihering

Einstweilige Verfügung als geistiges Kampfmittel?belegt. Dieser Aufsatz ist umso bedeutsamer, alser spontan erschienen und als Ihering, wie durchanliegende Nr. 649/656, Seite 45 der „Fackelglaubhaft gemacht wird, mit Kraus verfeindet ist.In diesem nicht für Gerichtszwecke extrahiertenGutachten sagt Ihering: „Kraus hatte den glänzen-den in die Mitte der Polemik treffenden Witz ge-macht, daß er Gedichte von ‚Gottlieb‘ unter denNamen Kerr herausgeben werde. Diesen Witz hat Kerr nicht einmal verstanden und wehrt sich gegen eine– Metapher mit einer gerichtlichen Verfügung.

Im Zusammenhang damit überreiche ich dienunmehr in das Licht schönster Glaubwürdigkeitgerückte eidesstattliche Versicherung des HerrnKraus, daß es sich bei den Bemerkungen auf Seite123 und 191 der letzten „Fackel“ lediglich umsatirische Wendungen handelt, und daß er nie dieAbsicht gehabt hat, eine Sammlung von Gedichtendes Kerr bzw. der „Gottlieb“-Gedichte bezw. eineSammlung von Gedichten unter dem Namen des Kerr herauszugeben.

Diese eidesstattliche Versicherung wird nochdazu objektiviert durch die eidesstattliche Ver-sicherung des Antragsgegners und des DirektorsHeinrich Fischer, nach der der Antragsgegner vordem Andruck seiner Bemerkungen den Gedanken, derjetzt von Kerr gefürchteten Publikation für einenWitz und für unausführbar erklärt hat.

Obwohl an der Gefahr einer Wiederholung man-gelt es, weil bisher ja noch nichts dergleichen

geschehen ist, wie auch an einer ernstlichen Be-sorgnis einer solchen Störung.

3. Die einstweilige Verfügung ist aber auchnoch aus einem anderen Grunde unzulässig. Wennmir die Gaszufuhr abgeschnitten wird und ich mirdas ein halbes Jahr gefallen lasse, so kann ichzwar auf ihre Wiederherstellung klagen, niemalsaber mehr das Eilmittel bei höchster drohenderGefahr, das Mittel vorläufiger Regelung, dieeinstweilige Verfügung in Anspruch nehmen, vorlie-gend hat sich der Antragsteller den angeblich be-drohten Zustand jahrelang mitangesehen.

Seit 8 Jahren veröffentlicht der Antragsgeg-ner einzelne Kriegsgedichte des Antragstellers.Schon in sein Drama „Die letzten Tage der Mensch-heit“ / 1920 / hat er ihn und seine Kriegsgedichtezur bleibenden Erinnerung an einen Pazifisten,der Nationalist gewesen ist, und der selbst unddessen Blatt heute glaubt, deutschen Nationalistenihre Haltung im Kriege vorwerfen und deutscheRichter des Nationalismus beschuldigen zu dürfen,ausgenommen. Zu wiederholten Malen hat er dann inden Jahren 1924 bis 1928, wie durch anliegende Hef-te der „Fackel“ glaubhaft gemacht ist, Kriegsge-dichte des Antragstellers veröffentlicht. Versehent-lich hat er sogar einmal, wie diese Hefte eben-falls ergeben, ein von einem anderen verfaßtes„Gottlieb“-Gedicht – aber im Rahmen sprachkritischerExpertise! – dem Kerr zugeschoben. Und – dasAllerwesesentlichste – schon in der anliegendenNummer der „Fackel“ vom Oktober 1926 droht derAntragsgegner auf Seite 92 und 95 mit fast den

gleichen satirischen Wendungen wie jetzt die Zu-sammenstellung und Veröffentlichung aller „Gott-lieb“-Gedichte unter dem Namen Kerr an. Zwei Jahresind darüber hingegangen – der Antragsgegner hat diesen Plan nicht verwirklicht. Auch dasspricht also gegen die Ernstlichkeit seinerDrohung und gegen das unmitelbare Bevorsteheneiner Störung. Zwei Jahre lang hat sich der An-tragsteller mit dieser Drohung abgefunden. Dannist es aber auch schon deshalb unzulässig, jetztplötzlich zu dem eiligen und vorläufigen Mittelder einstweiligen Verfügung zu schreiten. Wardie Drohung zwei Jahre in der Welt und ist nichtzur Ausführung gelangt, so ist es Zeit, die An-gelegenheit im ordentlichen Verfahren zu klären.

4. Die einstweilige Verfügung ist aber auchzu allgemein gehalten. So allgemein kann demAntragsgegner nicht verboten werden, Gedichte desAntragstellers zu veröffentlichen. Der Antrag-steller läßt nämlich fortgesetzt den Antragsgeg-ner beschimpfende Gedichte veröffentlichen.

Beweis: Die anliegende Nummer des „Berli-ner Tageblatt“ und der anliegendeBand des „Pan“.

Mindestens diese Gedichte muß der Antrags-gegner abdrucken und zu ihnen kritisch Stellungnehmen dürfen. Der Antragsgegner muß auch Teilevon Gesamt-Dichtwerken des Antragstellers – dieserläßt alle seine Arbeiten in numerierten Reihenerscheinen –, muß Kleinzitate und einzelne Ge-dichte des Antragstellers in kritisch-wissen-

schaftlichen Arbeiten veröffentlichen dürfen.

Viel zu allgemein ist insbesondere auch dieeinstweilige Verfügung zu 2 gehalten. Der Antrags-gegner soll Kerrs „Gottlieb“-Gedichte nicht mehrdrucken dürfen. Ich überreiche etwa 500 Titelder sämtlichen „Gottlieb“-Gedichte. Welche vondiesen „Gottlieb“-Gedichten sind von Kerr, welchevon anderen Schriftstellern verfaßt? Der Antrag-steller sagt in seiner Klage nur ganz allgemein,daß sich unter diesem pseudonym mehrere Dichterverbergen. Diese Dichter mit einstweiligen Ver-fügungen zu schützen, ist der Antragsteller nichtaktiv legitimiert. Es kann dem Antragsgegner abersehr leicht unterlaufen, daß er versehentlich„Gottlieb“-Gedichte des Herrn Kerr als von anderenDichtern herrührend veröffentlicht. Solange derAntragsteller daher nicht sagt, welche „Gottlieb“-Gedichte von ihm sind, kann eine einstweiligeVerfügung wie die zu 2 nicht erlassen werden. Einst-weilige Verfügungen müssen vollstreckbar sein.Diese einstweilige Verfügung aber wäre niemalsvollstreckbar, weil sich der Antragsgegner stetsdarauf berufen könnte, er habe sie nicht schuld-haft übertreten und nicht gewußt, daß das betref-fende Gedicht von Kerr stammt. Wenn er sich abernicht darauf berufen kann, dann überschreitet dieeinstweilige Verfügung weit ihr Ziel, indem sieden Antragsgegner in unzulässiger Weise hindert,die „Gottlieb“Gedichte anderer in wissenschaft-lich-satirischen Publikationen zu verwerten.

V.

Zum Schluß sei noch auf folgendes hingewiesen.Einstweilige Verfügungen theoretischer Art sind un-zulässig. Sie müssen einen praktischen Zweck ha-ben und vollstreckbar sein. Das aber wäre bei dervorliegenden einstweiligen Verfügung nicht derFall. Niemals könnte sie gemäß der deutsch-öster-reichischen Rechtshilfeabkommen in Österreichvollstreckt, niemals verhindert werden, daß derAntragsgegner in seinen in Österreich gedrucktenSchriften, noch dazu in nach österreichischem Ge-setz zulässiger Weise Kriegsgedichte des Antrag-stellers abdruckt. Für die einstweilige Verfügung,mindestens auf Vervielfältigung, besteht daher keinRechtschutzinteresse, sodaß schon aus diesemGrunde der Beschluß vom 25. September 1928 derAufhebung unterliegt.

Dr. Botho Laserstein,Rechtsanwalt.