103.34 Brief RA Max Hirschberg an Justizrat Max Süssheim

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Max Hirschberg
Kaufingerstraße
München
Datum: 17. Dez. 1928
Diktiersigle: 2.A.

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Justizrat Süssheim
Adlerstr. 35
Nürnberg
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Justizrat!

In Sachen Kraus./. Fränk. Kurier (Schardt) bitte ich zuentschuldigen, dass durch ein technisches Versehen Ihre Anfragennicht beantwortet worden sind. Durch Ihre Terminsmitteilung undneuerliche Anfrage wurde ich auf das Versehen aufmerksam gemachtund beeile mich Ihnen zu antworten:

1.) Die Sache gegen Dr. Hohenstadter ist rechtskräftig beschluss-mässig abgewiesen worden. Ich lege Ihnen bei Beschluss des AmtsgerichtsMünchen, meine sofortige Beschwerde und Beschluss der Strafkammer.Ich möchte an dieser Stelle in eine Kritik dieser Entscheidungennicht eintreten. Unfasslich erscheint mir, dass das Landgericht gegenüber den meines Erachtens unwiderleglichen Ausführungen derBeschwerde es nicht einmal der Mühe wert gefunden hat, mit einem Wortauf die Ausführungen der Beschwerde sachlich einzugehen,

2.) In der Sache Kraus ./. Schardt muss meines Erachtens vonder Rechtslage ausgegangen und auf rechtlicher Entscheidung bestandenwerden. Dass Schardt als Verantwortlicher haftet, kann ja nicht imErnst bestritten werden und wird auch vom Urteil bejaht. Meines Er-achtens muss in derartigen Sachen das Gericht vor die klare Entscheidung

gestellt werden, ob die gebrauchten Ausdrücke die Absicht der Belei-digung erkennen lassen ohne dass irgend eine Konzession gemachtwerden darf. Es handelt sich um folgende Ausdrücke, bei denen dieBeleidigung objektiv und subjektiv ausser jedem Zweifel steht:Der Pseudowiener; der sich durch solchen Reklamestreit mit Harden auch ansonsten bekannt gemacht hat; in dem kleinen Kreise derartigerLiterätchen; derartige Dinge sind dort alle Tage Uebung; eine Reihevon Vertretern des Literaturbolschewismus ist syphilitisch verseucht(was sich nach dem klaren Wortlaut auf den Privatkläger mitbeziehensoll); wollen die Münchener Kammerspiele den Ruf der Reinlichkeit verlieren? Gemeinheit. Darstellung derartigen Schmutzes.

Das Gericht muss auch in 2. Instanz vor die klare Entschei-dung gestellt werden, ob damit § 193 überschritten ist oder nicht.Wenn das Gericht glaubt, es verantworten zu können, mit den Ausfüh-rungen des Erstrichters, dass zwar Beleidigungen der Person vorliegen,aber doch in diesem Falle nicht strafbar sind, sich einverstandenzu erklären, so mag das Gericht das tun.

Jede Konzession wäre vollkommen falsch und würde derganzen Gesinnung des Herrn Privatklägers völlig widersprechen.Ich habe daher Herrn Kraus auch geraten, zur Verhandlung nicht zuerscheinen. Er würde bei einer persönlichen Erklärung ganz gewisskeine Konzessionen machen, sondern seine antimilitaristische undpazifistische Gesinnung noch scharf unterstreichen. Auch die Frage,ob Herr Kraus am Kriege teilgenommen hat, ist eine missverständlicheAuffassung seiner ganzen Lebensarbeit. Er hat während des Krieges

mit Tapferkeit und Konsequenz dieselbe Meinung vertreten wie nachdem Kriege und stets, nämlich die kriegsfeindliche, soweit das währendder Herrschaft der militärischen Behörden technisch überhaupt möglichwar. Ob sich der verantwortliche Redakteur des Fränkischen Kurier dadurch in seinen heiligsten Gefühlen verletzt fühlt oder nicht,ist völlig belanglos; es kommt nur darauf an, ob das Gericht demHerrn Privatkläger angesichts der schweren Verbalinjurien die Ver-urteilung des Beklagten, die unbedingt erfolgen muss, gewähren will odernicht. Diese Frage muss ganz scharf und klar gestellt werden und nurdarauf, ob Beleidigungen nach § 185 STGB. und Ueberschreitung des § 193 vorliegt, ist abzustellen.

Ganz unerheblich ist, ob der Privatbeklagte einen Ausdruckaus Angst vor der Bestrafung gemildert hat oder nicht. Er gibt zu,den Artikel gelesen zu haben und den Ausdruck Wiener in Pseudowienerverschärft zu haben, offenbar in der Absicht der Herabsetzung desPrivatklägers. Das genügt vollkommen. Ich bitte daher ohne jedeKonzession an die Tendenz der beklagten Partei ganz scharf und klardie Rechtsfrage zu stellen und beantworten zu lassen.

HochachtungsvollergebenstRechtsanwalt.

Anlagen.

KrausFränkischer Kurier 19. DEZ. 1928