158.8 Brief Samek an RA Willy Katz

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 24. April 1931
Betreff: Kraus – Kroll-Oper
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Willy Katz, | Rechtsanwalt
Friedrichstrasse 48
Berlin SW 68
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege!

Herr Kraus beauftragt mich, Ihnen mitseinem besten Dank und freundlichen Grüssen Ihr Schreibenvom 16. April 1931 zu beantworten. Wir sind zu der Ansicht ge-kommen, dass die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche,von denen Sie selbst sagen, dass sie gegen die Intendanz weni-ger Chancen bietet, als ein Rechtsstreit vor dem ordentlichenGerichte, vorerst zurückzustellen und vielleicht überhauptfallen zu lassen ist, weil dadurch das Augenmerk von derHauptsache, der Rechtswidrigkeit von Streichungen, abgelenktwürde und überdies die auskunftgebende Person, die mit Rechthaftbar zu machen wäre, nicht feststellbar ist. Ihre Vermutung,dass Herr Dr. Curiel diese auskunftgebende Person sei, ist einoffenbarer und Herrn Kraus nicht ganz verständlicher Irrtum, daja im Gegenteil, wie Ihnen Herr Dr. Laserstein gesagt haben mussund gewiss wiederholen wird, eben Herr Dr. Curiel ihn an dieGeneralintendanz gewiesen hat und ein dortiger Beamter, einStellvertreter des Generalintendanten, die Auskunft, die dieTelefongespräche notwendig machte, erteilt hat. Ich würde

Ihnen demnach empfehlen den folgenden Brief an die General-intendanz zu richten:

Als Nachtrag zu meinem Schreiben vom16. April 1931 teile ich Ihnen mit, dass ich mich mit meinemKlienten Herrn Karl Kraus ins Einvernehmen gesetzt habe, umdie Präzisierung und Ergänzung des geltend gemachtenSchadens, welcher durch die wegen irriger Auskunft notwen-digen Telefongespräche entstanden ist, zu erlangen. MeinMandant hält an seinem Standpunkt, dass ihm der Ersatz die-ser Auslagen gebührt, fest, meint aber die Geltendmachungdieses Anspruches zurückstellen zu sollen, solange ihmnicht die Person bekannt wird, die die falsche Auskunfterteilt hat. Ueberdies ist er der Meinung, dass die Geltend-machung dieses Anspruches, bei der es sich selbstverständ-lich nicht um den Ersatz einiger Mark, sondern um eineprinzipielle Frage gehandelt hat, eben diese, die weitwichtigere Materie der Streichungen, deren Erörterungen sieausschliesslich dienen sollte, nicht nur nicht fördernsondern verwirren würde, und dass zu dieser Erörterungdurch Ihr Schreiben vom 10. April 1931 eine völlig hinreichen-de Basis geboten ist. Der Autor des deutschen Textes derPerichole“, der Ihre Ausführungen in der Hauptsache in je-dem Punkte zurückweist, wird, sowie es seine Zeit gestattet,in einer entsprechenden Darlegung den Nachweis liefern, dassdie Generalintendanz in der Darstellung der Vorgänge vom31. März 1931 von direktorialer Seite irregeführt wurde. Aberschon bis dahin mache ich Sie auf die völlige Rechtswidrig-keit jedes Versuches von Streichungen aufmerksam. DieRechtslage ist die folgende:

Die von Ihnen zitierten „allgemeinen Be-stimmungen für den Geschäftsverkehr“, die einen wesent-lichen Bestandteil Ihres Vertrages mit der UniversalEdition A.G. bilden (§ 14 Abs. 2 des Vertrages), lauten im§ 7 Z. b: „Der Bühnenunternehmer ist verpflichtet, soweitnicht etwas anderes vereinbart ist, an dem Werk selbst, anseinem Titel und an der Bezeichnung des Urhebers Zusätze,Kürzungen oder sonstige Aenderungen zu unterlassen. Zulässigsind Aenderungen, für die der Berechtigte seine Zustimmungnach Treu und Glauben nicht versagen kann.“ Zusätze undKürzungen werden also ausdrücklich in Gegensatz zu Aende-rungen gestellt, während Sie sie in Ihrem Brief gleich-stellen. Gerade diese allgemeine Bestimmung sichert demAutor ein Recht, von dem Sie glauben, dass es ihm genommenwerde. Die von der Direktion der Kroll-Oper geplanten undin einer heimlichen Strichprobe bereits versuchten Strichesind selbstverständlich das Gegenteil solcher „Aenderungen“,die der Autor nach „Treu und Glauben“ hinzunehmen hätte. Esreichen also die allgemeinen Bestimmungen schon völlig aus,um das Recht des Autors zu wahren. Ueberdies hatte der Autor mit der Universal Edition A.G. eine besondere Vereinbarunggetroffen, dass Aenderungen im Text oder an der Musik nichtohne seine Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Die Univer-sal Edition A.G. verpflichtete sich, dies den Bühnen mitzu-teilen und haftete nur nicht für Aenderungen, die eineBühne ohne Wissen des Verlags macht.

Sie schreiben, man habe die Aufführungenbisher noch“ ohne wesentliche Aenderungen gebracht, wo-

runter Sie offenbar wesentliche Striche verstanden habenwollen. Der Autor ist gerne bereit, an diese unwesentlichenAenderungen nicht zu glauben und sie bloss für eine Gestezu halten, umso eher, als die jedesmalige Kontrolle derAufführungen ergeben hat, dass die rechtswidrig versuchtenStriche in korrekter Weise aufgehoben und auch die durchVerwirrung der Schauspieler entstandenen Ueberbleibselvon Strichen (wie die sinnlose Verkürzung der Worte, dieim letzten Bild den alten Gefangenen beglaubigen) in durch-aus angemessener Weise wieder beseitigt wurden. Wäre esrichtig, dass auch nur unwesentliche Striche, die ohneWissen und ohne das Einverständnis des Autors gemacht undbeibehalten wurden, wahrzunehmen sind, so würden alleSchritte, die in dem Brief vom 9. April an die Direktionder Kroll-Oper nach §§ 9 und 38 des Urheberschutzgesetzes angekündigt waren, durchgeführt werden. Die von keinemanderen Zuhörer mehr als vom Textbearbeiter selbstempfundenen „Längen“, die ausschliesslich auf Mängel desrednerischen und technischen Tempos zurückzuführen waren ,erschienen zum grössten Teil schon in der zweiten Auf-führung behoben, was die Verkürzung der Spielzeit um 47Minuten dartut. Gerade der Verleger, auf dessen ErfahrungSie sich berufen, legt, wie ich Ihnen mitteilen soll, Wertdarauf, bekanntzugeben, dass er abgesehen davon, dass eran seinem Vertrag festhält, niemals das Problem der Stricheauch nur berührt hätte, wäre ihm jene auf die gemässesteArt bewirkte Spielverkürzung als möglich erschienen. DerAutor weist jeden Versuch, an einer schon ursprünglichhinreichend aufs knappste bemessenen dialogischen Quantität

zu kürzen, als dramaturgischen Dilettantismus zurück,zu dessen Deckung er niemals seinen Autornamen hergebenwürde. In wie krasser Weise die Generalintendanz überseine prinzipielle Bereitschaft, von jedermann dramatur-gische Ratschläge entgegenzunehmen, irregeführt wurde– der freilich auch sein hartnäckigster Widerstand ent-spricht, sinnlose Eingriffe nach bereits vollzogenemVersuch einfach „zur Kenntnis zu nehmen“ –, darüber, wieüber alle anderen Unzukömmlichkeiten im persönlichenVerkehr mit dem Autor, soll die Generalintendanz noch beiGelegenheit informiert werden.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Kollege,wenn Sie in irgend einem Punkt aus juristischen Gründen mit demvorliegenden Schreiben nicht einverstanden sein sollten, es mirmitzuteilen, und zeichne mit vorzüglicher kollegialer

Hochachtung

KrausKroll-Oper24.4.31.