168.13 Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Landsberg (RA Willy Katz an das Amtsgericht Berlin-Mitte, G.Z. Q. 47/32)

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 31. März 1932
Seite von 6

Abschrift.

Berlin, den 31. März 1932

An dasLandgericht I– Strafkammer –Berlin NW.40

In SachenKraus ./. Landsberg – 10.Q.47/32 –

irrt der Beschuldigte insofern, als erannimmt, dass die sofortige Beschwerde ver-spätet eingelegt worden sei. Der Beschluss vom 13. Januar 1932 ist lt. Aktennotiz, wie ichamtlich versichere, am 9. Februar 1932 hiereingegangen. Am 10. Februar 1932 empfing ichein Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Samek,in Wien, wonach der Privatkläger ebenfallsam 9. Februar 1932 eine Ausfertigung desBeschlusses erhalten hat. Hiernach istdie sofortige Beschwerde rechtzeitig ein-gelegt.

Zu den übrigen Ausführungen, die derBeschuldigte in seinem Schriftsatz vom9. März 1932 macht, ist allgemein zu bemer-ken, dass es verwunderlich bleibt, wie einAnwalt von langjähriger Erfahrung und Le-benskenntnis sich zu grundlosen Verdächti-gungen und der Wiedergabe ungeprüften, ödenKlatsches und Tratsches verstehen kann.

Wiederum erklärt der Beschuldigte, der Versuch, Menschen, diemit dem Prozess nicht das Mindeste zu tun hätten, hineinzuziehenund zwar in der offenkundigen Absicht, sie blosszustellen, hätteihn empört. Es ist bereits früher darauf hingewiesen worden, dassdiese Empörung sich reichlich verspätet geäussert haben müsste.Denn seit mehr als einem Jahre war auf diese Zeugen, derenBenennung der Beschuldigte beanstandet, verzichtet worden.Dagegen muss es auf’s Schärfste zurückgewiesen werden, wenn derBeschuldigte erklärt, die Angabe dieser Zeugen und die in ihrWissen gestellten beweiserheblichen Behauptungen seien seitensdes Privatklägers wider besseres Wissen erfolgt, es läge eineperfide Handlungsweise vor, und der Privatkläger hätte sichwürdelos benommen. Die Beschimpfungen des Privatklägers, diesich der Beschuldigte damit leistet, stellen eine ungeheuerlicheVerletzung und Ueberschreitung der auch für Verteidigungszweckeerlaubten Grenzen dar und dürften selbst als strafbare Belei-digungen zu kennzeichnen sein. Es kann keine Rede davon sein,Xdass die Zeugen wider besseres Wissen benannt worden wären. Vielmehr war dem früheren Verteidiger des Privatklägers, Rechts-anwalt Dr. Laserstein, zur Kenntnis gelangt, dass diese ZeugenAussagen über Umstände machen könnten, die das Prozessthemabildeten, was ja auch sehr leicht möglich war, da sie vor demUnfrieden mit Herrn Dr. Kerr schon wegen der nahen Beziehungenzu diesem Tatsachen erfahren haben konnten, die das Leben desXDr. Kerr betrafen. Der Verzicht auf diese Zeugen ist lediglich ausdem Grunde erfolgt, um eine Verschleppung des Prozesses an calendasgraecas zu unterbinden. Der Beschuldigte beweist durch die bei die-ser Gelegenheit gegen den Privatkläger gemachten Ausfälle, dass ernicht in der Lage ist, eine Prozessführung sachlich zu behandeln.

bestimmter Fakten:Angriff auf Nielson aus Rage am [¿¿¿](folgender Überfall auf Kerr)

Was den Vorwurf des Beschuldigten betrifft, der Privatklä-ger sei dafür bekannt, dass er seine Widersacher in der ung-heuerlichsten Weise zu schmähen pflegt, so ist darauf zu erwi-dern, dass er in Fällen, wo ihm dies notwendig scheint, dieschärfsten polemischen Waffen anwendet, dass er dafür aber auchstets die Verantwortung im Gerichtssaal auf sich genommenund den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen angetreten hat, –wozu sich ja auch der Beschuldigte verstehen könnte. Der Pri-vatkläger hat sich niemals auf eine Notverordnung berufen,um sich einer Verantwortung zu entziehen. Der Beschuldigte bekommt es fertig, zum Zwecke seiner Verteidigung dem Gericht mitzuteilen, dass der Privatkläger Gegenstand tätlicher Angriffegewesen ist. Er verschweigt einmal, dass es sich hier um Fällehandelt, die 27 bis 38 Jahre zurückliegen, und dass es sichhierbei um Personen handelt, die mit Tätlichkeiten darauf ant-worteten, dass ihnen die Wahrheit der vom Privatkläger mitgeteil-ten Tatsachen unangenehm war. Der Privatkläger wurde im Jahre1896 von einem Wiener Journalisten attackiert, wie dieserangab, wegen einer Wendung in der Literatursatire „Die demolierteLiteratur“, der er eine falsche Deutung gab, indem er siefälschlich als einen Eingriff ins Privatleben interpretierte.In Wahrheit war er wegen der an seinem unzulänglichen Deutschgeübten Kritik aufgebracht. Er wurde wegen Beleidigung vomBezirksgericht Josefstadt verurteilt. Im Jahre 1899 wurde derPrivatkläger von mehreren Literaten gemeinsam und zwar wegeneines die Korruption des Wiener Theater- und Literaturlebensbetreffenden Aufsatzes in der „Fackel“ überfallen und ver-letzt. Sämtliche Angreifer wurden von der Staatsanwaltschaftangeklagt und teils zu Arreststrafen im Ausmasse von 10 bezie-hungsweise 8 Tagen, teils zu hohen Geldstrafen verurteilt. ImJahre 1905 wurde der Privatkläger von einem Kaberettunternehmer und seiner Lebensgefährtin attackiert und vorletzt. Die Staats-anwaltschaft erhob die Anklage. Beide wurden verurteilt, der

der Mann zunächst zu einer Arreststrafe von einem Monat, inder zweiten Instanz zu einer hohen Geldstrafe, die Frau zu einer niedrigeren Geldstrafe. Das „Neue Wiener Journal“ hatvor kurzem, ähnlich wie der Beschuldigte, die Vorfälle aus-zugraben und zu einer Verspottung des Privatklägers zubenutzen versucht. Der verantwortliche Redakteur dieserZeitung wurde daraufhin zu 200,– S Geldstrafe verurteilt.Der Beschuldigte richtet sich selbst, wenn er mit derartigemMaterial gegen den Privatkläger Stimmung zu machen versucht.

Richtig ist, dass der SchriftstellerPfemfert den Pri-vatkläger früher einmal als den meistgeohrfeigten Mann vonWien bezeichnet hat. Er hat diese Äusserung zurückgenommenund sie bereut. Es ist aber vollkommen unwahr, dass er undder Privatkläger jetzt intime Freunde sind. Ebenso ist es eineglatte Unwahrheit, dass der Privatkläger früher MaximilianHarden als den grössten Lügner der Welt bezeichnet habe, währender jetzt eine Art Kultus mit ihm betreibe. Der Privatkläger hatHarden jahrelang wegen seiner publizistischen Haltung ange-griffen und steht auch heute zu seiner ehemaligen Kritikan der literarischen Persönlichkeit Hardens. Dies hat ihnnicht verhindert, einen Ausspruch des verstorbenen Schrift-stellers, den dieser auf dem Totenbett getan hat, und zwarwie im Prozess Kraus gegen Wolff nachgewiesen worden ist,in Übereinstimmung mit früheren Äusserungen, zu verwerten.

Es muss nochmals wiederholt werden, dass der Beschuldigtedie Unwahrheit sagt, wenn er behauptet, der Privatkläger habe seine „völlig sachlichen Ausführungen“ durch lautesGelächter unterbrochen. Der Privatkläger weiss nichts davon.Es ist aber möglich, dass er zu den Ausführungen des Beschul-digten gelächelt hat, besonders, wenn sie ebenso sachlichwaren wie sein Schriftsatz. Dieses Lächeln veranlasste denBeschuldigten zu einer Kritik an der Miene des Privatklägers,die sich nicht in sachlichen Grenzen hielt. Darauf

erwiderte der Privatkläger: „Ihr Gesicht gefällt mir auch nicht.“Das Wort „auch“, sowie die in der Klage angegebenen Zeugen,können und müssen die Wahrheit der klägerischen Darstellungdartun. Hierauf stiess der Beschuldigte hervor: „UnverschämterPatron.“ Der Privatkläger betont noch, dass ein Prozess mitdem Beschuldigten, entgegen der Annahme dasselben, ihm keineXSensation bedeutet.

Begl. Abschrift ist dem Beschuldigten direkt zugestellt worden.

gez. Dr. Katz Rechtsanwalt

KrausLandsberg 4. APR. 1932