173.44 Brief Verlag Die Fackel an Universal-Edition

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Sender

VERLAG „DIE FACKEL“
HINTERE ZOLLAMTSSTR. 3
WIEN, III.
Datum: 4. April 1932

Empfänger

An: die | Universal-Edition A.G.
Karlsplatz
Wien I.
Seite von 8

eingelangt 5. April 32

Sehr geehrte Herren!

Wir sind leider, entgegen unserer Eröffnung vom 29. März, ge-nötigt, noch einmal ein Schreiben an Sie gelangen zu lassen, weil wires unmöglich hinnehmen können, daß der von uns gekennzeichnete Versuchder Dummacherei sich nun nicht mehr auf die Verteidigung beschränkt,sondern zur Anklage übergeht, wie Ihre an unseren Rechtsvertreter am29. März gesandte Anschrift beweist. Allerdings war sie vor dem Ein-langen unseres letzten, leider nun doch nicht letzten, Schreibens ver-faßt. Da wir aber nicht wissen, ob Sie nicht trotz dessen Klarlegungund also nach wie vor den Anspruch erheben, daß ihnen in der Angelegen-heit des Gesangstextdruckes nach gröblicher Verfehlung auch moralischKleingeld herauskommt, und weil wir nicht gewillt sind, zu dulden, daßauch nur in Ihren Geschäftspapieren uns berührende Unwahrheiten beste-hen bleiben, so müssen wir Sie, so schwer uns dieses neue Opfer anZeit und Arbeit fällt, im Tatsächlichen eines bessern belehren.

Sie haben sich erlaubt, vor unsern Rechtsanwalt, also auchvor Herrn Karl Kraus mit dem Entschluß hinzutreten, irgendetwas „fest-legen“ zu wollen, wiewohl in der ganzen Entwicklung der Dinge, diezwischen ihm und Ihnen spielen, vom ersten Tage an nichts festzulegenist als Ihr schwankendes Verhalten: ein einziger Mißbrauch des Ver-trauens, durch den es Ihnen gelungen ist, einem Autor seine geistigeArbeit wegzunehmen und in einer Art zu verwalten und zu verwenden, vonder Sie sehr wohl wissen, daß sie das diametrale Gegenteil der Voraus-setzung bedeutet, unter der er sich herbeigelassen hat, sie Ihnen zu übergeben. Sie haben nicht allein durch eine verschwiegene Vertrags-verletzung die Verhunzung dieser Arbeit durch die Theaterpraxis ermög-licht, sondern auch vorher schon im eigensten Wirkungskreise wenig-stens (bei Madame l’Archiduc) durch Leichtfertigkeit eine Grundlage fürden Theatergebrauch entstehen lassen, die der Autor fast in keiner ihmwie an sich wesentlichen Stelle: als identisch mit seinem Werke anse-hen kann und die nachweislich fast in jeder solchen Stelle nicht nurdem sprachlichen und eben deshalb auch musikalischen Wert (auf den esihm hier ankommt) Abbruch tut, sondern auch die rein theatermäßige,

musikdramatische Wirkung schwer beeinträchtigt – selbst dann, wenn manauf die schöne Gewißheit rechnet, daß in der Oper der Text ohnehinnicht verstanden wird. (Da es trotzdem auf den Ausdruck ankommt undes durchaus nicht gleichgültig ist, ob der Hörer den Sinn der richti-gen a-Laute am Schluß einer Crescendo-Szene nicht versteht oder dender mechanisch übernommenen i-Verse vom Anfang, die ein Chor ebennicht herausbringen kann). Wir machen Sie gleich darauf aufmerksam, daßIhre Hoffnung (24. März), es würde wenigstens nach der Wiener Radioauf-führung der Madame l’Archiduc, die ja von Herrn Karl Kraus geleitetwurde, ein durchaus authentisches Material als Grundlage für weitereAufführungen hergestellt sein, trügerisch ist und daß „die ganz genaueVergleichung des Notentextes (dieser Aufführung) mit dem gedrucktenTextbuch“, die Sie am 1. April verheißen, noch immer Abweichungen er-kennen lassen wird. Aus dem einfachen Grunde, weil es technisch undphysisch unmöglich war, in der Generalprobe, als noch eine ganz wesent-liche Vergröberung entdeckt wurde, Korrektur und Fachstudium durch So-listen und Ensemble zu verlangen, nachdem schon die Korrektur der an-deren Vergröberungen und Verflachungen, die Ihr unbewachter Abschrei-ber geleistet hatte, bei allen Beteiligten hinreichend Mühe, Nerven-pein und auch Verwirrung mit sich gebracht hat. Ganz ebenso und natür-lich in weit höherem Maße dürfte Ihre am 1. April [¿¿¿ ¿¿¿ letzten][¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿] ausgesprochene Erwartung, in Essen werde nun-mehr der richtige Notentext „verwendet“ werden (weil er dorthingeht“), entweder einem naiven Optimismus entspringen, mit dem Sie sichselbst hineinlegen wollen, oder abermals der Absicht der Dummacherei,weil doch wohl kein Theater sich dazu hergeben wird, eine Aufführung,deren Text in dem natürlichen Glauben an seine Authentizität erworbenwurde, mit allen Chören umzustudieren. Wir legen jedenfalls fest, daßdiese Aufführung, daß sämtliche Aufführungen der Madame l’Archiduc inEssen bisher zwar unter dem Namen Karl Kraus vor sich gegangen sind,aber mit einem Text, den er, ganz abgesehen von den willkürlichen Ein-griffen der Direktion, nur in groben Umrissen als den seinen zu erken-nen vermag, und daß eben nur dort, wo er selbst die greulichen Abwei-chungen konstatieren konnte (wie in Prag und Wien), eine Wiederher-stellung im großen Ganzen mit Müh und Not ermöglicht wurde, keineswegsin allem, weil es eben unmöglich war, die Mitwirkenden durchaus zueinem Neustudium zu zwingen, und weil man froh sein mußte, die Verwir-rung, die sich auf den Proben durch Rückfälle ergab, nicht zu vermehrenund so gut es ging, von der Aufführung fernzuhalten.

was nun die Veröffentlichung des Gesangstextes im Buchdruckanlangt, die den Gegenstand Ihres Schreibens vom 29. März bildet, so be-lieben Sie, statt sich für die Absurdität dieser publizistischen Über-raschung eines Autors, für das Übersehen seines selbstverständlichenWunsches nach Korrektur von Fehlern und für die Produzierung neuer Feh-ler zu entschuldigen – so belieben Sie, der bloßen Einsicht, daß Siewillkürlich und fehlerhalt gehandelt haben, eine Beschwerde vorzuziehen,daß man Sie gezwungen habe, ein Druckfehlerverzeichnis erscheinen zu las-sen (das nicht nur die alten Fehler, sondern auch die durch sie bewirk-ten korrigiert!). Diese Beschwerde, grotesk als solche gegenüber der Peinund Mühe, die Sie dem überraschten Autor des Gesangstextes aufgeladenhaben, ist unsinnig von A bis Z. Sie „möchten zu der Angelegenheit be-merken“, daß eine Anfrage beim Verlag R. Lányi, der das Textbuch imJahre 1927 herausgegeben hat, „ergab, daß ein Druckfehlerverzeichnisniemals angefertigt wurde“. Diese Anfrage, die offenbar nach Ihrer Her-ausgabe stattgefunden hat – denn sonst würden Sie ja zugeben, daß Sie anein solches Bedürfnis gedacht und es wissentlich unterlassen hatten, beider maßgebenderen Stelle anzufragen –, hätten Sie sich ersparen können,und Sie haben sie sich wohl auch erspart, da der Verlag R. Lányi erklärt,er habe niemals eine solche Anfrage von Ihnen vernommen. Sie war jeden-falls schon aus dem Gründe überflüssig, weil ein Blick in das Textbuch,von dem Sie ja eine ganze Anzahl besitzen, Sie dahin informieren konnte,daß tatsächlich kein Fehlerverzeichnis beiliegt. Das ist nun einmalnicht zu leugnen. Aber Ihr guter Glaube, den Sie offenbar heranziehenwollen, stützt sich auf „andere Fälle, wie zum Beispiel das Textbuch vonPerichole“, dem, wie Sie wähnen, „bald nach Erscheinen der ersten Aufla-ge“ ein solches Druckfehlerverzeichnis eingelegt wurde. Ihr Irrtum oderTrugschluß liegt darin, daß in solchen Fällen und speziell in diesemFalle es nicht „bald nach Erscheinen“, sondern mit dem Erscheinen ge-schah, weil es sonst gar keinen Sinn gehabt hätte. Der „Perichole“ warein Verzeichnis der nach dem Druck der einzelnen Bogen bemerkten Fehlerbeigelegt; später bemerkte wurden in der Fackel korrigiert, mit der mansich ja an die Käufer des Buches „Perichole“ wenden konnte, während manihnen ein nachträglich erscheinendes Verzeichnis nicht hätte zustellenkönnen. Bei Madame l’Archiduc wurde nach Erscheinen eine ganze Reihevon Fehlern bemerkt, die, als man sie bemerkte, in den nachfolgendenHeften der Fackel wegen notwendigen Wegbleibens der Rubrik nicht korri-

giert wurden und deren Korrektur einer zweiten Auflage vorbehalten blieb,die dann leider nicht erschienen ist. Daß die erste Gelegenheit einesWiederdrucks zu der Beseitigung dieser Fehler (wenngleich nur für dieVerse) benützt worden wäre, versteht sich so von selbst, daß ein Zwei-fel – insbesondere bei Kenntnis der Drucksorgfalt des Autors – nichternst zu nehmen wäre. Nun belieben Sie aber Ihr Recht, von dem Verlangendes Autors nach einer solchen Korrektur überraschter zu sein als er vondem Druck, der hinter seinem Rücken geschah – nun belieben Sie diesenkomischen Anspruch in einem Vorhalt auszudrücken, von dessen Unwiderleg-barkeit Sie sich offenbar eine zermalmende Wirkung versprechen. Die vonIhnen festgelegte Tatsache, daß die „Madame l’Archiduc“ „ seit fünf Jahren“ –es sind nur 4½ – „im Handel ist, ohne daß ein Druckfehlerverzeichnisexistiert“, läßt sich noch übertrumpfen. „Ja“, steigern Sie, „währendSie (der Rechtsanwalt) uns am Samstag den 26. März damit gedroht haben,daß Herr Kraus, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Seite mit der Widmung,durch welche er ‚seine literarische Ehre besudelt‘ glaubte, herausge-schnitten und der Fehler im Originalcouplet durch Überkleben beseitigtwar, gegen das Textbuch ‚Archiduc‘ öffentlich, eventuell durch Plakat,protestieren würde, kann man heute am 29. März noch bei Lányi die Text-bücher der ersten Auflage, nach der unser Textbuch photographiert wurde,ohne Druckfehlerverzeichnis kaufen“. Wie wahr ist das! Ja, und vielleichtnoch nach ein paar Monaten, da tatsächlich nicht der Auftrag gegeben wur-de, ein Verzeichnis in die alten Bücher zu legen. Es ist so wahr,wie Ihre Behauptung unwahr ist, daß unser Rechtsanwalt von der Besude-lung der literarischen Ehre im Zusammenhang mit der Widmung gesprochenhat. Er hat die Worte, die er aufrechthält, als richtige Bezeichnung derganzen, hinter dem Rücken des Autors erfolgten Ausgabe gebraucht; dieAufnahme der Widmung ist an und für sich bloß ein Unsinn. Wie die ganzeArgumentation mit dem Druckfehlerverzeichnis: da es doch einleuchtendsein muß, daß selbst wenn ein solches existiert hätte und von Ihnen be-rücksichtigt worden wäre, Sie doch die Durchführung im neuen Druck demAutor hätten überlassen müssen, der ja vielleicht auch noch über diesesVerzeichnis hinaus Fehler zu korrigieren wünschte. Was hat aber das „Ver-zeichnis“, das Sie vermissen, vollends mit den Fehlern zu schaffen, dieSie neu dazugetan haben und gerade dadurch, daß Sie den alten Textphotographieren“ ließen? Abgesehen davon, daß diese Methode, die Sieaus wirtschaftlichen Gründen wählten und die der Autor niemals zugelas-sen hätte, zwar gegen neue Satzfehler schützte, aber die alten konser-viert, sind doch dank der Druckanordnung, die Sie selbst sich vorzunehmenerlaubt haben, jene graphischen Unsinnigkeiten entstanden, die eben durch

das Fehlerverzeichnis korrigiert werden mußten, wie die Aufnahme von Pro-sateilen, die Verunstaltung der Pendants in den Chören der Kellner undMädchen, eine falsche Zusammenziehung, eine fehlende Szenenbezeichnung,Belassung eines Sternes ohne Fußnote u. dgl. Anstatt sich dafür zu entschul-digen oder doch wenigstens froh zu sein, daß man Ihnen den Mißdruck nicht kon-fisziert hat, haben Sie nicht nur auf Beschleunigung einer aus geschäftli-cher und entgegen aller künstlerischen Raison erfolgten Herausgabe ge-drängt, sondern machen dem Autor noch Vorwürfe! Das Äußerste an naivem Wa-gemut erreichen diese in dem Nachweis: „Aber auch“ beim Versand an dieBühnen, bei der Vorbereitung der Aufführungen in Prag, Essen und Wien wurde uns niemals mit einem einzigen Wort von Fehlern im Textbuch Nachrichtgegeben“; weshalb Sie die Bühnen nie entsprechend „ instruieren konnten“:erst am Tage vor einer Radioübertragung“ bekamen Sie das Verzeichnis. Siekonnten keine Vorkehrungen treffen! Wenn das Schreiben, das diese Be-schwerde enthält, nicht schon am 29. März geschrieben wäre, müßten wirrein glauben, daß es wie das nächste vom 1. April datiert ist. Man hat Siealso niemals – speziell für Essen, denn in Prag und Wien konnte ja HerrKraus persönlich eingreifen – darauf aufmerksam gemacht, daß die Sängerstatt eines Strichpunktes einen Doppelpunkt und statt eines Kommas einenPunkt zu singen haben. Wir möchten da der Aufforderung des Erzherzogs, derja durch Sie weit mehr alteriert wurde, folgen: „Treten wir in Ihre Phan-tasie ein, ohne anzuklopfen“. Man hat Sie und die Theater nicht daraufaufmerksam gemacht, daß in Ihrer Gesangstextausgabe die Bezeichnung „Drit-te Szene“ und ein Zwischenraum fehlen werden, während ein Sternchen ent-behrlich ist. Aber zum Glück steht wenigstens die Ergänzung der Verse vomChateau de Castelardo in der Partitur, aus der sie in das Druckfehlerver-zeichnis übernommen wurde, zum Glück wissen die Darsteller der Kellnerohnedies, daß sie ihre Schürzen – gleich den Mädchen – zu lösen und abzu-legen und nicht bloß sich abzuwenden haben. Daß die Korrektur der altenund der neu entstandenen Fehler hauptsächlich für den Leser und nicht fürden Hörer und Zuschauer bestimmt ist, dürften Sie schon aufgefaßt haben.Doch Sie könnten nunmehr einwenden: „He, was ist’s aber mit der Korrekturder drei Stellen: „das“, „Offizier!“ und „Kopf“? Sie sind in unser Bühnen-exemplar, welches die Vorlage für das Ihre war, eingetragen worden wieetliche Dialogkorrekturen, auf die Sie ganz bestimmt aufmerksam gemachtwurden und deren Weitergabe an die Bühnen Sie ebenso unterlassen haben wiedie der vielfachen Streichungen. Hätte Herr Karl Kraus es selbst unter-lassen, die drei Druckfehler, die auch für den Sprecher in Betracht

kommen, Ihnen mitzuteilen, so würde das nicht das geringste an seinemwesentlichen Interesse ändern, sie für den Leser zu korrigieren. Sie,die nicht nur nicht den von ihm eingerichteten Buchtext mit den sze-nisch so wichtigen Änderungen an die Bühnen abgegeben (und dadurch dieKölner Affäre verschuldet) haben; Sie, die den Bühnen einen Notentextlieferten, in dem kaum ein Sprachwert unverletzt geblieben ist, haltenHerrn Karl Kraus vor, daß er nicht rechtzeitig dafür gesorgt habe, daßdie Sänger nicht Interpunktionen singen, die er in einem Neudruck kor-rigieren wollte, und daß sie auch von den Fehlern „instruiert“ würden,die durch diesen erst entstehen werden und bis dahin nicht vorhandenwaren. Diese übergroße Gewissenhaftigkeit, die wohl eine Satire auf dieSorgfalt des Autors bedeuten soll, steht, nachdem Sie deren Versagenexemplarisch bewiesen haben, die Sendung durchaus an: „Wir wollten die-sen Sachverhalt jedenfalls festlegen“. Es entspricht ihr aber auch dieKorrektheit, mit der Sie „in diesem Zusammenhange noch hinzufügen“, daßdie Forderung nach Einlage des Verzeichnisses Ihnen „erst 24 Stundennach Abschluß des Vertrages über das Textbuch, welcher am Freitag, den25. März vormittags zwischen uns abgeschlossen wurde und in dem als ein-zige Korrektur die Korrektur im Originalcouplet verlangt wurde, erho-ben wurde“. Man wäre versucht, die Eröffnung, daß der Vertrag über dasTextbuch erst nach dessen Erscheinen abgeschlossen wurde, ein Geständ-nis zu nennen, was ja ganz und gar der Auffassung des Herrn Karl Kraus entspräche, das vorher zwischen ihm und Ihnen kein Vertrag über einsolches Textbuch abgeschlossen wurde. Unser Rechtsanwalt zieht aber,wiewohl er das Geständnis keineswegs verkennt, es vor, sie eine Drei-stigkeit zu nennen. Herr Karl Kraus pflichtet ihm darin bei und istauch bereit, diese Kennzeichnung zu verstärken und sich danach vor je-dem Forum eines Beweises für die Berechtigung solcher Ansicht zu unter-ziehen. Es ist ja richtig, daß Sie, im Gefühle der Rechtswidrigkeitdieser Herausgabe, es am 25. März vormittags sehr ernst und dringlichmit der Frage meinten, ob nach der Korrektur des einzigen Fehlers, derHerrn Kraus damals in Erinnerung war, die Auslieferung gestattet werde.Herr Kraus hatte bis dahin bloß telephonisch von der vollzogenen Tat-sache erfahren, und sein Rechtsvertreter kam Ihnen mit der Zusage aufdas Loyalste entgegen. Als Herr Kraus nach ein paar Stunden des unmög-lichen Druckes ansichtig wurde, war es ihm klar, daß er die Zusage nunleider nicht mehr zurückziehen, in diesem Punkte Ihre Loyalität nichtansprechen konnte, aber auf einem Fehlerverzeichnis bestehen mußte.Nachdem Sie dieses zwar zugesagt, aber das selbstverständliche Verlan-gen nach kurzem Aufenthalt der Ausgabe abgelohnt hatten,

erwidern Sie nun das Ihnen am Telephon bewiesene Entgegenkommen desAnwalts mit der Festlegung, daß es ein Vertragsabschluß gewesen sei,der schon durch den Wunsch nach dem Druckfehlerverzeichnis verletztwurde. Diese Festlegung, die in Wahrheit eine solche durch Ausnützungeiner Gefälligkeit und eines Notstandes ist – der überrumpelte Autor hätte auf Ihr Verlangen damals statt zu schlafen auf der Stelle dasDruckfehlerverzeichnis zusammenstellen sollen und er hat erst die näch-ste Arbeitsnacht daran gewendet –, diese Festlegung auf einen „Vertrag“,der vorher nicht zustandegekommen war, nennen wir, mit unserem Anwalt,eine Dreistigkeit. Sie ist ein Verhalten, dessen moralische Basis ge-genüber der Mühe, die Sie allen Beteiligten auferlegt haben, keines-wegs jene ist, auf der Herr Karl Kraus die Verwalter seiner künstleri-schen Arbeit vermutet hat.

Ganz in Widerspruch zu der Unbefangenheit, mit der Sie am29. März diese Festlegung vorgenommen haben, steht nun eine ÄußerungIhres Herrn Dr. H. vom nächsten Tage, als er unser Schreiben bereitsin Händen hatte, Herr Dr. H. hat das Bedürfnis, sich gegen den Ver-dacht zu wehren, daß er der Verüber oder Mitwirkende einer Täuschungsei und des Versuches fähig, „unter Aufrechterhaltung einer unerwünsch-ten Vertragstreue“ den Vertrieb künstlerischen Gutes „unter dessenPreisgabe zu betätigen“. Herr Dr. H. hat das Bedürfnis, in einem Ge-spräch solchen Verdacht zu zerstreuen, als einer, „der froh und stolzdarauf ist, sich für das Werk des Herrn Karl Kraus einsetzen zu dür-fen“. Dieses Bedürfnis läßt sich nachfühlen, aber nicht befriedigen.Herr Karl Kraus legt weder Wert darauf, daß jemand froh und stolz ist,sich für sein Werk einsetzen zu dürfen, noch daß er es tut. Aber erfindet, daß es jedem zur Ehre gereiche, wenn er für seine Überzeugungoder für seine Sympathie sich offen und gar mit einem Opfer einsetzt,und er verlangt als Autor eines Werkes, daß wenn jemand vertragsmäßigverpflichtet ist, sich für dieses einzusetzen, er seinen Vertrag er-fülle. Hat er, nach Ansicht des Herrn Kraus, das Werk preisgegeben, soläßt sich der Verdacht einer unerwünschten Vertragstreue, die den wei-teren Einsatz unter Preisgabe des Werkes betätigt, am leichtesten sozerstreuen, daß der Partner den Vertrag preisgibt. Vor dieser klarenAngelegenheit einer künstlerischen und rechtlichen Sache tritt daspsychologische Problem der Person, so berücksichtigenswert es sein mag,erheblich zurück, und es könnte erst wieder in den Vordergrund treten,

wenn die Sache zur Zufriedenheit dessen, den sie betrifft, erledigt ist. Esist keineswegs Aufgabe des Herrn Karl Kraus, zu untersuchen, ob die Person,die ein Verständnis für ihre private Gesinnung oder ihr privates Di-lemma anspricht, identisch ist mit jener, die mit dem gleichen Namenalle die Handlungen oder Unterlassungen vertreten hat, die er als Be-einträchtigungen seiner Sache empfindet, und noch die offensive Haltungdes Schreibens an seinen Rechtsanwalt eingenommen hat. Er kann auchnicht untersuchen, ob die diesem Schreiben unmittelbar folgende Erklä-rung, der Verfasser habe – wie er „offen zugibt“ – „nicht immer mit je-ner Gewissenhaftigkeit alles erledigt, wie sie gerade bei Ihrem Werkgeboten gewesen wäre“, eine Privathandlung ist oder der Willensmeinungdes Unternehmens entspricht, mit dem er den Vertrag geschlossen hatund das mit der gleichen Unterschrift ein solches Geständnis niemalsabgelegt hat. Was das psychologische Problem anlangt, so wäre gewißeine Situation vorstellbar, die ein menschliches Begreifen ermöglicht,wenngleich sie auch Umstände zutage fördern könnte, durch die eine Ex-kulpierung im Gegenständlichen als individuelle Belastung erschiene.Herr Karl Kraus kann, so gern er es vermeidet, Unschuldigen eineSchuld zu geben, der Untersuchung, wer an dem Unrecht und Ungemach,das ihn betroffen hat, Schuld trage, nicht nähertreten. Er hat sich nurdagegen zu wehren und lediglich den Vertragspartner, welche Person im-mer dessen Handlungen vertritt, als solchen verantwortlich zu ma-chen. Er empfindet die Fortdauer der Verbindung mit diesem als unerträg-lich und deren Lösung als die geringste und selbstverständlichste Gut-machung des Schadens und der Störung, die er bisher durch sie erlittenhat. Die korrekte Durchführung des Vertrages als Erfüllung der alternativen Forderung, die er gestellt hat,müßte er als eine Befriedigung im juristischen Sinne, keineswegs würde ersie als eine solche im moralischen Sinne gelten lassen. Was ihm übrigbliebe, ist die Festlegung seiner Ansicht, daß er den Versuch und dasGelingen des Versuchs, sich an ein ihm lästiges Vertragsverhältnis zuklammern, für unsittlich hält, und die Festlegung seines Empfindensder Unerträglichkeit, daß ein Vertrieb, der sich der Übernahme seinesgeistigen Gutes unwürdig gezeigt hat, es weiterhin verwaltet.

Mit vorzüglicher Hochachtung[Unterschrift]