152.5 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. 1 U 3/31, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Oswald Richter)

Schreiberhände:

  • ? Kahlert, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 13. Januar 1931
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 8

1 U 3/313

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegerichthat heute in Gegenwart des PrivatanklagevertretersDr. Oskar Samek, in Abwesenheit des Angeklagten Dr.Oskar Pollak und in Gegenwart des Verteidigers Dr.Oswald Richter über die Anklage verhandelt, die derPrivatankläger Karl Kraus gegen Dr. Oskar Pollak, 37Jahre alt, verheiratet, verantwortlicher Schriftlei-ter der „Arbeiter-Zeitung“ wegen der Uebertretungnach § 24 (2) 3 Pr.G. erhoben hatte, und über denvom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung desBeschuldigten und Verpflichtung zur Veröffentli-chung der Berichtigung in der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ zu Recht erkannt:

I. Es wird festgestellt von der Berichtigung,die der Privatankläger mit Bezug auf den in der Nummer334 der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ vom 5. Dezem-ber 1930 mit der Ueberschrift „Ehrenbeleidigungsklagegegen Karl Kraus“ abgedruckten Artikel dem verant-wortlichen Schriftleiter Dr. Oskar Pollak der er-wähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen liess,ist zu veröffentlichen:

Sie schreiben: „Bevor noch ein Bericht in derArbeiter-Zeitung erschienen war, benützte Kraus denVortrag der Operette „Blaubart“, um (in den ‚aktuellenZeitstrophen‘, die er dem darin vorkommenden Höflings-

lied des Grafen Oskar beifügte) den anwesenden Dr.Pisk als ‚Schlieferl‘ zu beschimpfen …Inzwischen war das Referat in der Arbeiter-Zeitung erschienen (9. Juni 1929), worauf Kraus in einerVorlesung am nächsten Tage die Beschimpfungen gegenPisk wiederholte. Wieder bezeichnete er ihn als ‚Schlie-ferl‘, redete … vom ‚kümmerlichen Schönberg-Schüler‘und ähnlichem mehr.)“ Es ist unwahr, dass Kraus in den aktuellen Zeitstrophen den anwesenden Dr. Pisk beschimpft hat. Wahr ist, dass in keiner der aktuellenZeitstrophen dieser Blaubart-Vorlesung Herr Dr. Pisk auch nur erwähnt wurde.

Es ist unwahr, dass an dem Tage nach dem 9. Juni1929 Dr. Piskwieder“ in der angegebenen Weisebezeichnet wurde; es ist unwahr, dass der Ausdruck„kümmerlicher Schönbergschüler“ vorgekommen ist.

Sie schreiben : „Fast anderthalb Jahre konntesie (die Verhandlung), infolge steter Vertagungs-anträge des Verteidigers des Geklagten, nicht statt-finden.“ Dies ist unwahr. Wahr ist, dass von Seitender Verteidigung lediglich ein einziger Vertagungs-antrag, am 5. März 1930, eingebracht wurde. Wahrist, dass die Verhandlung nicht früher stattfinden konn-te, weil Karl Kraus immer wieder zur Inszenierung von Of-fenbach-Aufführungen im Berliner Rundfunk und zu Of-fenbach-Vorträgen ins Ausland reisen musste.

Sie schreiben: „Zum Erweis, dass Pisk nichtgemeint worden sei, marschierte eine Reihe von Zeugenauf, die bestätigen sollten, dass Kraus das, was ergesagt, nicht gesagt habe.“ Diese Behauptung ist unwahr.

Die von der Verteidigung geführten Zeugen solltenlediglich bestätigen, dass nicht die von der Privatan-klage behaupteten Worte gebraucht wurden, sonderneben die, die in der Fackel abgedruckt waren.

Sie schreiben, dass der VerteidigereinenWahrheitsbeweis anbot: … Pisk hätte auch Mu-sikkritiken für ein Berliner bürgerliches Blatt ge-schrieben.“ Dies ist unwahr. Wahr ist, dass der Verteidi-ger laut dem nunmehr vorliegenden Protokoll einen Wahr-heitsbeweis angeboten hat: dass Piskals organisier-ter Sozialdemokrat Mitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung ist, die auf der äussersten Rechten steht undgegen die Sozialdemokraten auftritt.

Sie schreiben: „Aber der Einfall, ein grobesSchimpfwort zu ‚beweisen‘, fand bei dem Richter natürlich kein Verständnis.“ Diese Behauptung istunwahr. Wahr ist, dass der Richter einen Wahrheits-beweis als möglich erkannte, aber die angebotenen Be-weise, mit seiner Auffassung des inkriminierten Wortesnicht für kongruent hielt.

II. Dr. Oskar Pollak wird verpflichtet, diesenTeil der Berichtigung in der nächsten oder zweitnäch-sten Nummer, die nach Zustellung des Urteiles erschei-nen wird, in demselben Teil der genannten Zeitung und in der gleichen Schrift, wie die zu berichtigendeMitteilung zu veröffentlichen, widrigenfalls die genann-te Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.

III. Dr. Oskar Pollak: wird von der Anklage wegenUebertretung nach § 23 und § 24 (2) 3 Pr.G., an-geblich begangen dadurch, dass er als verantwortlicherSchriftleiter der genannten Zeitung sich grundlosweigerte, die vorerwähnte Berichtigung zu veröffent-lichen, gemäss § 253/3 St.P.O. freigesprochen.

IV. Der Privatankläger Karl Kraus hat gemäss§ 390 St.P.O. die Kosten des Strafverfahrens zu tra-gen.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum, beziehungsweise die Angaben desVerteidigers ist erwiesen, dass Beschuldigter inder in Betracht kommenden Zeit der verantwortlicheSchriftleiter der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ war,dass er das in Betracht kommende Berichtigungsschrei-ben erhalten hat und dass seit Erhalt desselben mehrals zwei Nummern der genannten Zeitung erschienensind, die verlangte Berichtigung aber nicht veröffent-licht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung desBeschuldigten, die verlangte Berichtigung zu veröf-fentlichen, eine grundlose war.

Der Verteidiger hatte eingewendet, dass derBeschuldigte vom Privatankläger in Bezug auf den-selben Artikel 2 Berichtigungen und zwar mit Schreibenvom 23. und vom 30.12.1930 erhalten habe und dass im2. Berichtigungsschreiben die erste Berichtigung nicht ausdrücklich zurückgezogen wurde.

Das Gericht steht auf dem Standpunkt, dass ineinem solchen Falle der Beschuldigte, da er einerseitsnicht verpflichtet sei, 2 Berichtigungen zu veröffent-lichen, andererseits er nicht verhalten werden könne,zu prüfen und zu wählen, welche von den beiden Be-richtigungen er veröffentlichen solle, keine Berich-tigung zu bringen habe, solange nicht die erste Be-richtigung vom Berichtigungswerber zurückgezogen ist.

Im gegenständlichen Falle jedoch kann der Inhaltdes Berichtigungs Begleit schreibens zur 2. Berichtigung (Bl. Z. 9)

nicht anders verstanden werden, als dass die ersteBerichtigung zurückgezogen wird; da der Berich-tigungswerber die 2. Berichtigung als erweiter-tes Berichtigungsschreiben bezeichnet, gibt er damitzum Ausdruck, dass er nur auf die Veröffentlichungdieses 2. Schreibens besteht.

Der Verteidiger hat ferner eingewendet, dassdie Worte „Wahr ist, dass vor einer Zeitstrophe…..gesprochen wurde.“ im 1. Punkte der Berichtigung sich auf keine Stelle des Artikels bezögen und daherauch keine Antithese darstellten.

Das Gericht findet diese Einwendung berechtigt.Mit diesen Worten wird keine Tatsachenbehauptung desArtikels berichtigt, es ist daher auch keine entsprechen-de These vorhanden, diese Worte sind auch nichtzum Verständnis des Lesers nötig, wie der Privat-anklagevertreter in seiner Entgegnung auf die Ein-wendung des Verteidigers behauptete, es war alsodie Aufnahme dieser Worte in die Berichtigung überflüs-sig.

Die weitere Einwendung des Verteidigers gingdahin, dass im 3. Punkte den Thesen „Es ist unwahr,dass … bezeichnet wurde“ und „Es ist unwahr,dass … vorgekommen ist.“ keine entsprechendenAntithesen gegenübergestellt wurden.

Das Gericht kann dieser Einwendung keine Be-rechtigung zuerkennen, da es vorliegenden Fallesnicht notwendig ist, dass den Behauptungen derThese Gegenbehauptungen gegenübergestellt werdenmüssen. Wenn es zum Verständnis hinreicht, ist es

genügend, wenn der Berichtigungswerber die Tatsa-chenbehauptungen des Artikels als „unwahr“ be-zeichnet, ohne eine ausdrückliche Antithese aufzu-stellen.

Weiters wendete der Verteidiger ein, dass derPrivatankläger zur Berichtigung des 5. Punktesnicht berechtigt sei, da er hinsichtlich dieses Tat-sachen nicht als beteiligt im Sinne des Gesetzes ange-sehen werden könne.

Das Gericht findet diese Einwendung für begrün-det. Wenn in der betreffenden Stelle des Artikels gesagt wird, dass der Verteidiger (der Privatankla-gevertreter des gegenständlichen Verfahrens) et-was behauptete, das sein Klient (der Privatanklä-ger des gegenständlichen Verfahrens) selbst nichtbehaupten könnte, so wird damit ein ausdrücklicherGegensatz zwischen Anwalt und Klient aufgestellt;es war daher zur Berichtigung dieser Stelle le-diglich der Anwalt und nicht der Klient berech-tigt.

Der Verteidiger wendete auch ein, dass die Anti-these des 6. Punktes keine gegensätzlichenTatsachenbehauptungen zu der entsprechenden Theseenthalte.

Diese Einwendung ist nicht berechtigt, da inder Antithese als Gegensatz aufgestellt wurde, dassdie Zeugen etwas anderes, als in der Privatanklagebehauptet wurde, bestätigen sollten, welcher Gegensatzein genügender zu den Behauptungen des berechtigtenArtikels ist.

Die weitere Einwendung ging dahin, dass dieWorte des 7. Punktes „laut dem nunmehr vorlie-genden Protokoll“ überflüssig seien.

Wenn auch diese Worte zum Verständnis dieserStelle nicht unbedingt notwendig sind, nimmt dieAufnahme dieser wenigen Worte zu geringen Platzein, als dass wegen dieser Worte die Aufnahme desganzen Punktes verweigert werden könnte.

Ferner wendete der Verteidiger ein, dass dieWorte „Berliner Börsen-Zeitung … die aufder äussersten Rechten steht …“ in der Antithesedes 7. Punktes keinen Gegensatz zu den Worten des Arti-kelsBerliner bürgerliches Blatt“ darstellten.

Das Gericht findet diese Einwendung nicht fürberechtigt, da der Berichtigungswerber gegenüberder Behauptung des Artikels zum Ausdruck bringen woll-te, dass Pisk nicht Kritiken für ein gewöhnliches Berliner „bürgerliches“ Blatt geschrieben habe,er wollte vielmehr dieses Blatt näher bezeichnen, in-dem er es mit Namen nannte (Berliner Börsen-Zeitung)und die Richtung dieser Zeitung näher beschrieb alsauf der äussersten Rechten stehend“, womit inder Antithese ein genügender Gegensatz zu den dies-bezüglichen Behauptungen des Artikels aufgestelltwurde.

Schliesslich hatte der Verteidiger eingewendet,dass die Antithese des letzten Absatzes keinenGegensatz zu der betreffenden These darstelle.

Auch diese Einwendung ist nicht berechtigt.In der betreffenden Stelle wird behauptet, dass bei dem

Richter der angebotene Wahrheitsbeweis „kein Ver-ständnis fand“. Die Antithese geht aber dahin, dassder Richter einen Wahrheitsbeweis im vorliegendenFalle als möglich erkannte, die angebotenen Be-weise aber mit seiner Auffassung des betreffendeninkriminierten Schimpfwortes nicht für „kongruent“hielt, was einen ganz entsprechenden Gegensatz zu derThese beinhaltet.

Da nach dem Vorgesagten die verlangte Berichtigung nicht in allen Punkten dem Gesetze entsprach, wardie Weigerung des Beschuldigten, diese Berichtigung zu veröffentlichen, keine grundlose.

Das Gericht stellte daher gemäss § 24 (3) Pr.G. fest, welche Teile der Berichtigung zu veröffent-lichen seien, erkannte auf Grund dieser Feststel-lung auf Veröffentlichung und sprach den Beschuldig-ten von der gegen ihn erhobenen Anklage frei.

Eine Folge des Freispruches war der Ausspruchüber den Kostenersatz, den der Privatankläger zutragen hat.

Wien, am 13. Jänner 1931.

Kahlert

KrausArb. Ztg. VII19. JAN. 1931