Topographische Umschrift
Im Andenken an Gerald Krieghofer.
Zum Textträger
Das ‚Jerusalemer Konvolut‘. Die entstehungsgeschichtlich relevanten Textträger der Dritten Walpurgisnacht bestehen in einer großen Zahl an Notizzetteln, einem Blatt, das als handschriftlicher Entwurf einer Passage des Texts gelten kann, einem Fragment, das den letzten Absatz umfasst, sowie dem ‚Jerusalemer Konvolut‘. Letzteres umfasst den Text nicht ganz vollständig: Die Motti werden in der Wienbibliothek im Rathaus aufbewahrt; das Einschubblatt 266a ist nur im Duplikat des Fahnenabzugs – Df(fH) – im Brenner-Archiv erhalten; das umfangreiche Lanz von Liebenfels-Zitat aus der Brenner-Umfrage ist im ‚Jerusalemer Konvolut‘ ausgespart.
Textstufe vs. Textstufen. Unter Abzug der erwähnten Passagen liegt die Dritte Walpurgisnacht mit dem Jerusalemer Konvolut vollständig vor – jedoch nicht als geschlossene Textstufe, die einem wie auch immer bestimmten ‚fertigen‘ Text entspräche. Dies liegt einerseits daran, dass der Text vielfach noch nicht zur Druckreife gelangt war: Abschnitte vor allem vom Schluss des Textes weisen noch handschriftliche Korrekturen in großem Umfang auf, Einschübe sowie der gesamte letzte Absatz waren noch nicht gesetzt; zumindest letzterer weist in der Fassung des ‚Jerusalemer Konvoluts‘ noch sinnentstellende Fehler sowie ungrammatische Passagen auf.
Zudem kann deshalb für das Konvolut gar nicht von einer kohärenten Textstufe die Rede sein. Dies ergibt sich aus Kraus’ hier gewählter Arbeitsweise: Grundsätzlich folgte auf das Manuskript ein erster Fahnensatz, dem dann in zahlreichen (oft bis zu fünfzehn) Korrekturdurchgängen weitere folgten (vgl. Wagenknecht 1975, S. 109). Aus Gründen der Zeitersparnis wurde im Fall der Dritten Walpurgisnacht wohl schon mit dem Satz begonnen, bevor die erste Niederschrift des Textes vollständig war (vgl. Stremmel 1982, S. 70), womit Korrekturen an weit fortgeschrittenen Druckfahnen an einer Stelle möglicherweise zugleich mit der ersten Niederschrift anderer Stellen stattfanden. Als die Arbeit am Text abgebrochen wurde, war sie in den einzelnen Abschnitten des Jerusalemer Konvoluts unterschiedlich weit fortgeschritten.
In welche daraus resultierenden Sub-Konvolute das ‚Jerusalemer Konvolut‘ jedoch zu teilen ist, das heißt: wie umfangreich die jeweils zwischen Kraus und Druckerei hin- und hergeschickten Fahnensätze waren, ist letztlich nicht feststellbar – und wird nennenswert verkompliziert durch die (anderen Kraus-Beständen mit einiger Wahrscheinlichkeit entnehmbare) Praxis, dass nicht immer vollständige Korrekturfahnensätze zwischen Kraus und Druckerei zirkulierten, sondern ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch vereinzelt diejenigen Seiten, die noch Korrekturen aufwiesen.
Dennoch lässt sich der bisherigen Forschung folgend feststellen, dass die ersten ca. 60 Seiten kaum Korrekturen aufweisen und demnach in einem weit fortgeschrittenen Stadium gewesen sein müssen, als Ende September 1933 die Arbeit am Konvolut ausgesetzt wurde. Spätere Abschnitte weisen hingegen teilweise noch umfangreiche handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen auf, insbesondere auch eingeschobene, noch nicht gesetzte Passagen als Typoskript (beginnend mit dem Einschubblatt 59 a). Auch, wenn Kraus’ Gewohnheiten entsprechend noch in späteren Phasen umfangreiche Textpassagen eingefügt wurden, kann für diesen mittleren Abschnitt festgestellt werden, dass er von der Fertigstellung noch weiter entfernt war als der erste. Als dritter klar abgegrenzter Abschnitt des Konvoluts kann schließlich sein letzter, nur maschinenschriftlich vorliegender Absatz gelten.
Am Konvolut findet sich einige handschriftliche Notizen, die sich auf einen früheren Textträger zu beziehen scheinen, womöglich – der Abkürzung „M“ und des stark abweichenden Seitenumfangs wegen – auf Seiten des Manuskripts: „anschl. 50“ (S. 110), „anschl. 51–57“ (S. 119), „anschl. 58“ (S. 134), „195 im M“ (S. 251). Ob deswegen jedoch davon auszugehen ist, dass schon etwa der Fahne von S. 110 unmittelbar das Manuskript vorausging, muss offen bleiben – auch wenn Korrekturen wie etwa „Vertreter“ > „Untertan“ (S. 217) auf ein Fehllesen von Kraus’ Handschrift durch einen Drucker schließen lassen.
Das ‚Jerusalemer Konvolut‘ – Entstehung und Überlieferung. Wie schon festgestellt (s. ‚Zur Edition‘, Abschnitt „Textgenese und Überlieferung“), erstreckte sich die Entstehungszeit der Dritten Walpurgisnacht im Jahr 1933 von frühestens Anfang März bis spätestens Ende September. Während das letztere Datum mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Datum des Abbruchs der Arbeit am ‚Jerusalemer Konvolut‘ darstellt, lässt sich freilich nicht sagen, wann der früheste Textträger aus dem Konvolut entstand – zumal, wie festgestellt, sich die ersten Abschnitte schon in einem weit fortgeschrittenen Stadium befanden und entsprechend schon mehrere Korrekturzyklen hinter sich haben mussten. Nach Abbruch der Arbeit 1933 wurde das Konvolut 1934 wieder vorgenommen, um diejenigen Abschnitte zu markieren, die in die Fackel Nr. 890-905 übernommen werden sollten – wobei nicht alle markierten Passagen auch übernommen wurden und umgekehrt auch unmarkierte Passagen in die Fackel Nr. 890-905 einflossen (siehe dazu die entsprechenden Anmerkungen zur annotierten Lesefassung). Die den letzten Absatz betreffenden Markierung für die Übernahme in die Fackel wurden indes am Typoskript aus der Sammlung Marcel Faust angebracht.
Nach Kraus’ Tod 1936 brachte Oskar Samek, Kraus’ langjähriger Anwalt, das ‚Jerusalemer Konvolut‘ im Jahr 1937 in die Schweiz; von dort übersandte er es in die USA, wo er 1939 selbst eine Abschrift herstellte (vgl. Wagenknecht 1989/2016, S. 339; Samek/Bloch 1939-1955, 4. 10. 1939). Samek, der 1959 starb, vermachte es der Hebräischen Universität Jerusalem; an der dortigen Bibliothek (heute: National Library of Israel) geriet es in Verstoß und wurde erst 1987 durch Ruben Klingsberg wieder aufgefunden (vgl. N. N. 1987).
Die handschriftlichen Bearbeitungsspuren. Der Textträger weist in den gedruckten und schreibmaschinenschriftlichen Passagen eine große Anzahl an handschriftlichen Bearbeitungsspuren auf. Dabei handelt es sich einerseits um Ergänzungen und Korrekturen des Textes der Dritten Walpurgisnacht, wozu auch Satzanweisungen zählen, andererseits um Anweisungen für den Satz der Fackel Nr. 890-905 im Jahr 1934. Was die Zuordenbarkeit der handschriftlichen Bearbeitungen betrifft, ist die Lage im Großen einfach, im Detail kompliziert: Sämtliche Änderungen, auch solche, die nicht von Kraus’ Hand stammen, können als von Kraus autorisiert bzw. in seinem Sinne gelten. Während in den allermeisten Fällen Kraus’ charakteristische Handschrift in Kurrent und schwarzer Tinte erkennen lässt, dass eine Graphenfolge von ihm stammt, sind allerdings sämtliche daraus ableitbaren Umkehrschlüsse unhaltbar – da Kraus gelegentlich auch in lateinischer Schrift, auch mit Bleistift, manchmal sogar gut leserlich schrieb. Dazu kommt, dass die Hauskorrektur des Verlags ebenfalls auf mehr als einen Schreibstoff zurückgegriffen hat und Korrekturen, die etwa im Schriftbild dem Verlag zuzuschreiben wären, sowohl in Kurrent- als auch in Lateinschrift stehen können. Verunklärt wird jede Zuschreibung noch dadurch, dass viele Korrekturen zuerst in Bleistift ausgeführt und dann in schwarzer Tinte nachgezogen wurden, wobei nicht ausgeschlossen (sondern im Gegenteil leicht vorstellbar) ist, dass eine mit Bleistift durchgeführte Hauskorrektur des Verlags von Kraus in Tinte nachgezogen wurde. Die Unterscheidungen zwischen schwarzer Tinte und Bleistift, zwischen Lateinschrift und Kurrentschrift, zwischen semantisch relevantem Eingriff und der Korrektur von Trivialversehen, zwischen schwer und leicht entzifferbar – diese Unterscheidungen verlaufen nicht deckungsgleich. Dementsprechend wird mit der Zuschreibung einer Graphenfolge an Kraus sparsam umgegangen.
Darstellungskonventionen
Die topographische Transkription. Die topographische Transkription berücksichtig neben der exakten Zeichenfolge, neben Korrekturen und Zeilenfall auch und vor allem die Verteilung der zu transkribierenden Texteinheiten auf dem Textträger (bzw. dessen Faksimile) und bildet dessen Topographie mimetisch nach. Auch darüber hinaus wird eine mimetische Entsprechung (und damit intuitive Lesbarkeit) der Transkription angestrebt, etwa hinsichtlich Typographie und Schriftbild sowie Farbigkeit. So wird den Nutzer:innen die Herstellung der Korrespondenz zwischen Faksimile und Umschrift ermöglicht, und auf dieser Grundlage die Rekonstruktion der Textgenese über die dem ‚Jerusalemer Konvolut‘ ablesbaren Bearbeitungsschritte. Auch werden so sämtliche editorischen Entscheidungen und Entzifferungen, die der Lesefassung zugrundeliegen, dem Nachvollzug transparent.
Nichtsdestotrotz ist das bestimmende Prinzip der Mimesis die Abweichung: Auch und gerade bei einem Autor wie Kraus, dessen Unermüdlichkeit in puncto Fahnenkorrektur mit einem sehr disziplinierten Einsatz der konventionellen Korrekturzeichen einhergeht, entstehen aus Variation, Rekombination sowie vielfach Rücknahme und Korrektur der Korrektur Konstellationen, deren Formenreichtum und Verschachtelungen in der computergestützten Darstellung nicht ohne Abstriche beizukommen ist.
Nachgebildet wurden die Platzierung der Textblöcke, die Farbe des Schreibmaterials (ggf. verdeutlichend), die Druck- und Maschinentype (als Antiqua und nichtproportionale bzw. ‚Monospace‘-Type), Überschreibungen mit Varianten und ohne Varianten sowie Unterstreichungen.
Nicht nachgebildet wurden Druckfehler sowie Stempel und Beschädigungen am Textträger (siehe jedoch die Anmerkungen in der Info-Box).
Als rein graphische Zeichen werden die Verbindungslinien zwischen Textblöcken (im Fall etwa von Einfügungen) nicht nachgebildet. Blockpfeile indes stellen Anfang und Ende der Markierungen von Textabschnitten dar, die in die Fackel Nr. 890-905 übernommen werden sollten.
Lateinschrift und Kurrentschrift bei handschriftlichen Graphenfolgen wurden auf (lateinische) Grotesk-Schrift vereinheitlicht; Kraus zugeordnete Graphenfolgen stehen in kursiver Grotesk.
Vereinheitlicht wurden zudem die meisten Korrekturzeichen (zum vertikalen Balken); ihre exakte Platzierung in den Spatien des Drucktextes wurde nicht berücksichtigt (stattdessen sind sie Teil der Zeichenfolge). Sämtliche Tilgungen durch Streichung sowie Radieren werden zu horizontalen Durchstreichungen vereinheitlicht, Korrekturen auch von als solche markierten Setzfehlern – Zwiebelfischen, Fliegenköpfen – derzeit noch zu Substituierungen. Die Korrektur überschüssiger Spatien wird als Tilgung dargestellt. Ob bei der Rücknahme einer Korrektur auch das Korrekturzeichen in der Marginalie getilgt wurde oder nicht, wird bei der Darstellung durch Durchstreichung nicht berücksichtigt; ebenso wenig, ob mehrere Rücknahmen separat oder durch eine einzige Durchstreichung durchgeführt wurden.
Handschriftliche Passagen werden standardmäßig linksbündig dargestellt; ebenso sind die stark variierenden Einrückungen von Anweisungen an den Drucker zur Schriftgröße („garm“, „col“) vereinheitlicht.
Unleserliche Graphen werden durch umgekehrte Fragezeichen ersetzt, unsicheren Entzifferungen folgt ein Fragezeichen in eckiger Klammer.
Infospalte und Highlighting-Mechanismus
Die Infospalte. Die Infospalte ermöglicht den Wechsel zwischen verschiedenen Ansichten von Faksimile und Transkription sowie das Einblenden der Legende. Neben Identifikation und Beschreibung des Textträgers listet sie die Bearbeitungsschichten, die, je nach Eruierbarkeit, nach Schreibwerkzeug, Zeitpunkt und Hand der Bearbeitung unterschieden werden. Zusätzlich listet sie die am Textträger für die Verwendung in der Fackel Nr. 890-905 angebrachten Markierungen mit Verweis auf die Stelle des Abdrucks in der publizierten Ausgabe. Des Weiteren führt ein Link zur der Seite entsprechenden Textstelle in der annotierten Lesefassung.
Highlighting (BETA). Vielfach finden sich in den Fahnen mehrere
Korrekturen pro Druckzeile. Um trotz der Vereinheitlichung
der Korrekturzeichen auf den senkrechten Balken die korrigierten Passagen innerhalb
des
Satzspiegels der Korrektur in der Marginalie zuordenbar zu machen, sind die
zu einer Korrektur gehörenden Elemente durch einen (in der Infospalte
aktivierbaren) Highlighting-Mechanismus verbunden: Mouse-Over über einem
der Elemente hebt es gemeinsam mit seinem Gegenstück optisch hervor. (Zur
Entlastung der Darstellung sind davon die Balkenpfeile der Markierungen für
die Fackel Nr. 890-905 ausgenommen.) Zudem hebt Mouse-Over in
der Infospalte bestimmte Passagen der Transkription hervor: Dies gilt
für die Einträge in der Liste der Bearbeitungsschichten, der Liste der Markierungen
für die
Fackel Nr. 890-905 sowie in der Liste der überschreibenden Korrekturen.
Der Highlighting-Mechanismus befindet sich in der BETA-Phase.
Legende 
- Drucktext
- Typoskript
- Handschriftlicher Text, Karl Kraus
- Handschriftlicher Text, Druckerei oder Karl Kraus
- Graphenfolge in schwarzer Tinte
- Graphenfolge in Blei
- Graphenfolge in rotem Farbstift
- Graphenfolge in blauer Tinte
- Graphenfolge in blauem Farbstift
Getilgte GraphenfolgeZurückgenommene Tilgung- Unterstreichung
- Zurückgenommene Unterstreichung
- Graphenfolge mit Umrandung
- Zurückgenommene Umrandung
- Handschriftlicher Text, nachgezogen (keine Varianz erkennbar)
-
Überschreibung mit VarianteÜberschreibung mit Varianz (Mouse-Over legt untere Textschicht frei)
- | – vereinheitlichtes Korrektur- und Einfügungszeichen
- – Tilgung (Deleatur)
- – Vertauschung (Transposition)
- Unsichere[?] Entzifferung[?]
- ¿¿¿¿¿¿¿ – nicht entzifferte Graphenfolge
- / – Start bzw. Ende einer Markierung für die Fackel Nr. 890-905