70.19 Brief RA Botho Laserstein an Verlag Die Fackel

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte
  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

Dr. jur. Botho Laserstein | RECHTSANWALT
LANDSBERGER ALLEE 55
BERLIN NO 18
Datum: 24. November 1928
Betreff: Kraus ./. Mosse, Kraus ./. | Wolff, Kraus ./. Kerr.
Diktiersigle: Dr.L./J.

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien I.
Datum: 26. NOV. 1928
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege,

mit verbindlichstem Dank für Ihr freundlichesSchreiben vom 16. November 1928 und für das freundlicheSchreiben des Verlags „Die Fackel“ vom gleichen Tagegebe ich in sämtlichen Sachen mit der Bitte um Unter-richtung des Verlags meine abschließende Ansicht be-kannt.

1. Gegen Mosse.

Ich überreiche Ihnen das Urteil des Gerichts mit Gründen und glaube, daß wir in dieser Sache die Be-rufung als aussichtslos unterlassen müssen. Zum Verlustder Sache hat nicht zuletzt die Aussage des Zeugen Fi-scher beigetragen, der die Frage des RechtsanwaltsCohn: „Haben Sie unserem Angestellten etwa deshalb dengenauen Titel des Heftes verschwiegen, weil Sie sonst

die Ablehnung des Inserats befürchtet hätten?“ in ziem-lich deutlicher wenn auch umschriebener Weise bejahthat. Ich habe mit Not und Mühe die Protokollierung die-ses Satzes verhütet, um doch noch eventuell die Beru-fung zu retten, glaube aber, daß auch das Berliner Land-gericht gegen Mosse nicht zu mucksen wagt.

An Kosten sind in dieser Sache bisher entstan-den / abzüglich meiner Gebühren, die nicht erhoben wer-den / etwa 40 RMk. In der Berufung würden nochmals etwa50 RMk. entstehen.

2. In Sachen gegen Theodor Wolff

sollte die Zuziehung des Kollegen Alsberg , diemehrere 1000 RMk. erfordert, bewirken, daß sich diePresse des Falls bemächtigt. Ich finde, daß wir das mitmehreren 1000 RMk. etwas teuer erkaufen, zumal die Pres-se, wenn sie totschweigen will, trotzdem totschweigenwird. Ich werde morgen in dieser Sache einen eingehendenSchriftsatz fertigen. Bei Pressesachen kann man natür-lich nie wissen, ob das Gericht nicht dem Beschuldigtenden § 193 StGB zubilligt. Ich halte die Bestimmung an-gesichts des beschimpfenden Charakters der ÄußerungenTheodor Wolffs für unanwendbar.

Die Kosten in derartigen Prozessen sind äußerstgering. Ich rechne mit allerhöchstens 100 bis 200 RMk.

3. In Sachen Kerr Urheberrecht

bin ich bezüglich des strittigen Satzes am Ende des

Fackelhefts keinesfalls der Suggestion des Gerichts unterlegen. Mir ist die Bedeutung der Stelle in demvon Ihnen angegebenen Sinn stets klar gewesen. MeinReferendar und ich kennen etwa 11 gleichartige Sätzedes Herrn Kraus, die von vernünftigen Menschen nurals Angriffe des Kerr gegen Herrn Kraus gedeutet wer-den können. vielmehr Trotzdem wird uns der Satz auch vor demZivilsenat in materieller Beziehung außerordentlichschaden; denn die Richter werden ihn wieder auf dieGottlieb-Gedichte beziehen, umso mehr, als sich imZusammenhang mit dem angezogenen Satz der glänzendesatirische Einfall findet: „Diesen Krieg wird keinGottlieb durchhalten.

Die Beschwerung durch das Urteil halte ichnach wie vor für nicht sehr erheblich, weil man dieKriegsgedichte nach den Urteilsgründen ja in zuläs-siger Weise zitieren darf, das Urteil also, wie ichHerrn Kraus bereits bei seinem Hiersein sagte, umgan-gen werben kann.

Ohne natürlich eine Garantie übernehmen zukönnen, möchte ich sagen, daß in der zweiten Instanzbeide Verfahren / einstweilige Verfügung und Prozeß /erhebliche Aussicht auf Erfolg haben, weil die deut-schen Gerichte bestimmt nicht zuständig sind, und al-les, was im Urteil über den Charakter der Unterlassungs-klage steht, ausgemachter Unsinn ist. Unzweifelhaftist natürlich, daß wir auch den Hauptprozeß in erster

Instanz vor der Weigert-Kammer verlieren.

Wollen wir in der Hauptsache einen Erfolg haben,so muß selbstverständlich in der ersten Sache die Beru-fung ergriffen werden. Wollen wir dagegen in der zweitenSache uns kampflos ergeben, so bedeutet es herausgewor-fenes Geld, in der ersten Sache das Rechtsmittel zu er-greifen.

Zu Ihrer Orientierung bemerke ich, daß es auchin Deutschland möglich ist, sich durch Nichterscheinenkontumazieren zu lassen, und daß dann die Kosten gerin-ger sind. Sollten Sie diese Art des Vorgehens wünschen,so fragt es sich, ob wir nicht wenigstens die vorgekom-menen Aktenwidrigkeiten und die dolose Gesinnung da-durch aufdecken sollen, daß wir so prozedieren: icherscheine zum Termin, lehne, wie von Herrn Kraus ge-wünscht, auf Grund der Fälschung im Urteil / um lächer-lich zu machen / und auf Grund der letzten mündlichen Verhand-lung die Kammer als befangen ab. Nach meiner Ansichtwird dieses Ablehnungsgesuch bezüglich der beiden Bei-sitzer bestimmt abgelehnt. Bezüglich des Vorsitzenden kann es durchgehen. Alsdann trete ich nicht mehr aufund lasse Versäumnisurteil ergehen.

Ich bitte nunmehr um umgehende Anweisung bezüg-lich folgender Fragen:

nein 1. Soll in Sachen Mosse berufen werden?

2. Soll in Sachen Kerr berufen werden?

3. Soll im Hauptprozeß Kerr verhandelt oder

kontumaziert werden?

4. Soll im Hauptprozeß Kerr verhandelt wer-den mit oder ohne Ablehnungsgesuch?

5. Soll im Hauptprozeß Kerr kontumaziertwerden mit oder ohne Ablehnungsgesuch?

6. Ist die Klage Kerr inzwischen dem HerrnKraus zugestellt? Alsdann bitte ich um Über-sendung.

Herr Kraus schreibt, er habe den letzten Satzmeines Rechtsgutachtens nicht verstanden. Ich haltedie Sache aber für juristisch vollkommen klar. DerSatz besagt: Die vorbeugende Unterlassungsklage ist voneiner Drohung abhängig. Sieht man aber in dieser Droh-ung schon den Beginn der unerlaubten Handlung, dann han-delt es sich allerdings um eine repressive Unterlassungs-klage; eine vorbeugende gäbe es damit aber überhauptnicht mehr. Mit diesem Argument wird die künstlicheKonstruktion des Gerichts bezüglich der Unterlassungs-klage erschüttert.

Ich gebe Ihnen nun noch die Kosten auf, wobeiich zu berücksichtigen bitte, daß meine Gebühren inden Zahlen nicht enthalten sind, weil ich sie nichterheben werde. Ich selbst habe nur in allen Sachen etwa50 RMk. verausgabt und wäre für eine baldgefällige Er-stattung derselben auf mein obiges Postscheckkonto dank-bar.

Das einstweilige Verfügungsverfahren kostet bis-

her etwa 300 RMk. Verlieren wir die Berufung, so kostetdas Verfahren etwa weitere 500 RMk.

Der Hauptprozeß kostet in erster Instanz etwa700 bis 1000 RMk. (bei Versäumnis etwa: 500–600 RMk.), in der zweiten Instanz etwa 1000 bis1500 RMk., in der dritten Instanz etwa 2000 bis 2500 RMk.

Die Zahlen sind natürlich vorläufig nicht ge-nau zu ermitteln, weil die Kosten vom Verlauf des Pro-zesses abhängen. Ich habe aber absichtlich ziemlich hochgegriffen.

Ich bitte zu beachten, daß im einstweiligen Ver-fügungsverfahren nur zwei Instanzen, im Hauptprozeß dreiInstanzen gegeben sind. Aus unserer Seite ist mein Kammer-gerichtsanwalt bereit, die Sache in der zweiten Instanzfür Herrn Kraus kostenlos zu führen. In der dritten In-stanz muß allerdings der Reichsgerichtsanwalt unbedingtbezahlt werden. Die Kosten werden sich aber wegen derlangen Dauer der Prozesse auf etwa 1½ bis 2 Jahrehinaus verteilen.

Ihrer umgehenden Rückantwort sehe ich gern ent-gegen und bin mit ergebensten Grüßen für Sie und HerrnKraus

Ihr KollegeDr. Laserstein

KrausKerr II26. NOV. 1928