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daß ich irgendetwas unterlassen habe, was zum
völkischen Herzen spricht, freilich ohne daß ich den
Drang hatte, mich hinein zu schreiben. Gewiß, beide
Lager können mir sowohl unzulängliche Gegner wie
mißratene Gefolgsmänner stellen, und daraus mag
sich erklären, daß das Dilemma, worin sich beson-
ders der Nationalsozialismus mir gegenüber befindet,
dem meinigen gewachsen ist. Die Rasse mißfällt ihm ;
doch die Entschiedenheit, die die Verbindung nicht
achtet, wie irgendwelche Verbindung, imponiert ihm
vielleicht. So wäre es (letzten Endes) angezeigt, aus
der Gefahr einer Begönnerung zuentfliehen. Aber
vielleicht ist weder Gunst noch Haß zu fürchten,
indem doch auch die Vermutung Platz greifen könnte,
daß eine Partei, die grundsätzlich zum Totschlagen
neigt, im Ausnahmsfall das Totschweigen für jene
empfindlichere Vergeltung erachtet, mit der schon
die Gegenseite so gute Erfolge erzielt hat. Dazu
käme freilich noch das diabolische Mittel, mein sa-
tirisches Wirken zu hemmen und im Keime zu er-
sticken : durch die Erschaffung einer Geisteswelt, zu
der mir nichts mehr einfällt. Nach den Taten heroischen
Aufschwungs, die durch ihre Erstmaligkeit über-
rumpeln, wäre es die bewährte deutsche Taktik, den
Gegner zu zermürben und unter langsamer, aber
beharrlicher Anödung schließlich zu entwaffnen. Und
zwar sowohl durch die Verluste, die man dem
Satiriker vermöge Entziehung seiner besten Hilfskräfte
zufügt, wie noch mehr durch den Gewinn, mit dem
man ihn entschädigt, indem doch für sie ein Ersatz
geboten wird, der jeder Beschreibung spottet, die
die Satire davon machen könnte. Das Resultat wäre|
also, daß die nationale Bewegung, geschickt
manövrierend, bald durch Entrückung von Objekten,
bald durch deren Herstellung, dem Satiriker an die
Existenz greift, selbst wenn sie willentlich gar nicht
nach ihr langte. Indem sie aber so statt durch die
schwarze Liste durch eine weit schwärzere List ihn
opfert und ein Raffinement betätigt, das ihrer Schlicht-
heit nicht zuzutrauen war, würde sie die Mission
erfüllen, die schon so viele Zeiterscheinungen ver-
sucht haben : mich durch ihre Wirksamkeit auszu-
löschen und quietschvergnügt die letzten Tage der
Menschheit zu überleben.
völkischen Herzen spricht, freilich ohne daß ich den
Drang hatte, mich hinein zu schreiben. Gewiß, beide
Lager können mir sowohl unzulängliche Gegner wie
mißratene Gefolgsmänner stellen, und daraus mag
sich erklären, daß das Dilemma, worin sich beson-
ders der Nationalsozialismus mir gegenüber befindet,
dem meinigen gewachsen ist. Die Rasse mißfällt ihm ;
doch die Entschiedenheit, die die Verbindung nicht
achtet, wie irgendwelche Verbindung, imponiert ihm
vielleicht. So wäre es (letzten Endes) angezeigt, aus
der Gefahr einer Begönnerung zu
vielleicht ist weder Gunst noch Haß zu fürchten,
indem doch auch die Vermutung Platz greifen könnte,
daß eine Partei, die grundsätzlich zum Totschlagen
neigt, im Ausnahmsfall das Totschweigen für jene
empfindlichere Vergeltung erachtet, mit der schon
die Gegenseite so gute Erfolge erzielt hat. Dazu
käme freilich noch das diabolische Mittel, mein sa-
tirisches Wirken zu hemmen und im Keime zu er-
sticken : durch die Erschaffung einer Geisteswelt, zu
der mir nichts mehr einfällt. Nach den Taten heroischen
Aufschwungs, die durch ihre Erstmaligkeit über-
rumpeln, wäre es die bewährte deutsche Taktik, den
Gegner zu zermürben und unter langsamer, aber
beharrlicher Anödung schließlich zu entwaffnen. Und
zwar sowohl durch die Verluste, die man dem
Satiriker vermöge Entziehung seiner besten Hilfskräfte
zufügt, wie noch mehr durch den Gewinn, mit dem
man ihn entschädigt, indem doch für sie ein Ersatz
geboten wird, der jeder Beschreibung spottet, die
die Satire davon machen könnte. Das Resultat wäre|
manövrierend, bald durch Entrückung von Objekten,
bald durch deren Herstellung, dem Satiriker an die
Existenz greift, selbst wenn sie willentlich gar nicht
nach ihr langte. Indem sie aber so statt durch die
schwarze Liste durch eine weit schwärzere List ihn
opfert und ein Raffinement betätigt, das ihrer Schlicht-
heit nicht zuzutrauen war, würde sie die Mission
erfüllen, die schon so viele Zeiterscheinungen ver-
sucht haben : mich durch ihre Wirksamkeit auszu-
löschen und quietschvergnügt die letzten Tage der
Menschheit zu überleben.
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Jerusalemer Konvolut, fol. [22] recto
Pagination oben rechts: "22". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 05. 1933 (zitierter Text)