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Sie war eine, sie war der Bescheid auf die Zurede
eines Reichsministers an österreichische Staatsbürger,
die Polizei ihres Staates zu entwaffnen ; und die bei
der Diplomatie Aufgewachsenen hatten damals die
Höflichkeit getadelt, die dem Ausgewiesenen noch die
»Jause« in Salzburg vergönnte. Aber jetzt muß man
bekennen : auch manche Reden österreichischer
Minister »mit recht unfreundlichen Redensarten gegen
die Norddeutschen« — die inzwischen keine mehr
gemacht haben — sind uns nicht gerade als Meisterstücke der Diploma-
tie erschienen.Denn ihre Unumwundenheit wird ohne Zweifel von
dieser Glanzleistung gelernter Diplomaten beschämt, die
der österreichischen Sozialdemokratie prompt die Aner-
kennung im deutschen Rundfunk und bei der gleichge-
schalteten PresseDeutschlands eintrug, welche sie ihr
auch seither öfter gezollt hat. Aber die sieghafte Dumm-
heit, die solchen Erfolges sicher war, wird vielleicht
doch noch von einer Anmaßung übertroffen, die im
vollen Bewußtsein der eigenen Povertät eine der
saubersten und sinnvollsten Worthandlungen, die
jemals zum realpolitischen Zweck geführt haben,
schlecht zu machen wagt. Als Stilist und Wort-
regisseur, doch vor allem als Leidtragender einer
Welt von papiernen Leichen wiederhole ich : der
Gruß, den Herr Dollfuß dem Reichsgast zukommen
ließ und in dem die Diplomatie der zweiten Inter-
nationale einen Verstoß gegen die Formen erkennt,
enthält mehr politische Grütze, als in ihren sämt-
lichenHäuptern Platz hat. Aber ich gehe weiter und
möchte auch die undiplomatischen Reden der Mini-
ster loben und fern dem Verdacht, von einem Auf-
leben der Burgmusik bewegt zu sein, aussprechen,
daß mir, als Zusammenfassung dessen, was uns an-
geht, jede Rede des Herrn Vaugoin besser, sach-
licher, ausdruckskräftiger ercheint als jede seines
Amtsvorgängers Deutsch oder gar unseres Theodor
eines Reichsministers an österreichische Staatsbürger,
die Polizei ihres Staates zu entwaffnen ; und die bei
der Diplomatie Aufgewachsenen hatten damals die
Höflichkeit getadelt, die dem Ausgewiesenen noch die
»Jause« in Salzburg vergönnte. Aber jetzt muß man
bekennen : auch manche Reden österreichischer
Minister »mit recht unfreundlichen Redensarten gegen
die Norddeutschen« — die inzwischen keine mehr
gemacht haben — sind uns nicht gerade als Meisterstücke der Diploma-
tie erschienen.Denn ihre Unumwundenheit wird ohne Zweifel von
dieser Glanzleistung gelernter Diplomaten beschämt, die
der österreichischen Sozialdemokratie prompt die Aner-
kennung im deutschen Rundfunk und bei der gleichge-
schalteten Presse
auch seither öfter gezollt hat. Aber die sieghafte Dumm-
heit, die solchen Erfolges sicher war, wird vielleicht
doch noch von einer Anmaßung übertroffen, die im
vollen Bewußtsein der eigenen Povertät eine der
saubersten und sinnvollsten Worthandlungen, die
jemals zum realpolitischen Zweck geführt haben,
schlecht zu machen wagt. Als Stilist und Wort-
regisseur, doch vor allem als Leidtragender einer
Welt von papiernen Leichen wiederhole ich : der
Gruß, den Herr Dollfuß dem Reichsgast zukommen
ließ und in dem die Diplomatie der zweiten Inter-
nationale einen Verstoß gegen die Formen erkennt,
enthält mehr politische Grütze, als in ihren sämt-
lichen
möchte auch die undiplomatischen Reden der Mini-
ster loben und fern dem Verdacht, von einem Auf-
leben der Burgmusik bewegt zu sein, aussprechen,
daß mir, als Zusammenfassung dessen, was uns an-
geht, jede Rede des Herrn Vaugoin besser, sach-
licher, ausdruckskräftiger er
Amtsvorgängers Deutsch oder gar unseres Theodor
|₰
| Köpfen aufzutreiben wäre.
| sc
Jerusalemer Konvolut, fol. [240] recto
Pagination oben rechts: "230". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
- Bleistift
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 28. 05. 1933 (zitierter Text)