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aller Frage, mit welchem Humbug sie die Masse nähren — sie
sind Journalisten. Sie sind Leitartikler, die mit Blut
schreiben. Ja, Feuilletonisten der Tat. Sie haben die Höhle
bezogen, als die das gedruckte Wort der Altvordern die Phan-
tasie der Menschheit hinterlassen hat, und daß sie des Zierats
entbehren oder ihn nicht nachstümpern können, ist ihr kultu-
reller Vorsprung. Die Tat hat sich einmal der Phrase entwun-
den und daß diese ihr weiter aufgestülpt bleibt, hat nichts
mehr zu bedeuten. Nimmt man aber die „Gleichschaltung“ der
Presse als politischen Eingriff, so bedeutet sie nur ihre
eigene letzte Möglichkeit, die letzte Stufe, über die sie
vermöge ihrer Konstitution nicht gelangen kann, welche von
Natur die Prostitution ist. Die angebliche Entehrung der
deutschen Presse mag das Problem einer Journalistik sein,
deren Meinung auf freiem Fuß lebt, solange politische Gewalt
nicht eingreift und annoncierende Schönheitspflegerinnen
keinen Terror üben. Wenn Kommissare in Redaktionen eindringen
und „den Revolver auf den Schreibtisch legen“, so ist dies
kriminalistisch insofern erheblich, als in manchen Fällen
dort jetzt zwei liegen. Aber nur auf dem journalistischen
Flachland kann die Anschauung gedeihen, daß durch dessen
Verwüstung die „Kultur“ einen Verlust erleidet. Das existenzi-
elle Moment, in jedem Einzelfall beklagenswert, ist nach der
Gemeinnützigkeit des verlornen Berufs zu bewerten, und abge-
sehen davon, daß schon die Tyrannei der Not Erwerbslose ge-
macht hat, dürfte das Schicksal verjagter Ärzte im Vergleich
zu dem der postenlosen Redakteure auch außerkollegiale Teil-
nahme ansprechen. Aber noch journalistischer ist die Idee,
daß die Okkupation des Druckbilds durch den Sieger meiner
Abneigung gegen den Besiegten zusagen könnte; daß dieses
durch Greuel errungene Scheuel mir eine positive Empfindung
weckt und mir ein Wunschtraum erfüllt wird, wenn der Geist
der Schöpfung nun nicht mehr von der Intelligenz bedrängt
wird, sondern von der Dummheit, die, unvermögend wie jene
ihr Prinzip rein zu erhalten, ihr nachkommen wird. Als ob die
sind Journalisten. Sie sind Leitartikler, die mit Blut
schreiben. Ja, Feuilletonisten der Tat. Sie haben die Höhle
bezogen, als die das gedruckte Wort der Altvordern die Phan-
tasie der Menschheit hinterlassen hat, und daß sie des Zierats
entbehren oder ihn nicht nachstümpern können, ist ihr kultu-
reller Vorsprung. Die Tat hat sich einmal der Phrase entwun-
den und daß diese ihr weiter aufgestülpt bleibt, hat nichts
mehr zu bedeuten. Nimmt man aber die „Gleichschaltung“ der
Presse als politischen Eingriff, so bedeutet sie nur ihre
eigene letzte Möglichkeit, die letzte Stufe, über die sie
vermöge ihrer Konstitution nicht gelangen kann, welche von
Natur die Prostitution ist. Die angebliche Entehrung der
deutschen Presse mag das Problem einer Journalistik sein,
deren Meinung auf freiem Fuß lebt, solange politische Gewalt
nicht eingreift und annoncierende Schönheitspflegerinnen
keinen Terror üben. Wenn Kommissare in Redaktionen eindringen
und „den Revolver auf den Schreibtisch legen“, so ist dies
kriminalistisch insofern erheblich, als in manchen Fällen
dort jetzt zwei liegen. Aber nur auf dem journalistischen
Flachland kann die Anschauung gedeihen, daß durch dessen
Verwüstung die „Kultur“ einen Verlust erleidet. Das existenzi-
elle Moment, in jedem Einzelfall beklagenswert, ist nach der
Gemeinnützigkeit des verlornen Berufs zu bewerten, und abge-
sehen davon, daß schon die Tyrannei der Not Erwerbslose ge-
macht hat, dürfte das Schicksal verjagter Ärzte im Vergleich
zu dem der postenlosen Redakteure auch außerkollegiale Teil-
nahme ansprechen. Aber noch journalistischer ist die Idee,
daß die Okkupation des Druckbilds durch den Sieger meiner
Abneigung gegen den Besiegten zusagen könnte; daß dieses
durch Greuel errungene Scheuel mir eine positive Empfindung
weckt und mir ein Wunschtraum erfüllt wird, wenn der Geist
der Schöpfung nun nicht mehr von der Intelligenz bedrängt
wird, sondern von der Dummheit, die, unvermögend wie jene
ihr Prinzip rein zu erhalten, ihr nachkommen wird. Als ob die
Legende
- Drucktext
- Typoskript
- Handschriftlicher Text, Karl Kraus
- Handschriftlicher Text, Druckerei oder Karl Kraus
- Graphenfolge in schwarzer Tinte
- Graphenfolge in Blei
- Graphenfolge in rotem Farbstift
- Graphenfolge in blauer Tinte
- Graphenfolge in blauem Farbstift
Getilgte GraphenfolgeZurückgenommene Tilgung- Unterstreichung
- Zurückgenommene Unterstreichung
- Graphenfolge mit Umrandung
- Zurückgenommene Umrandung
- Handschriftlicher Text, nachgezogen (keine Varianz erkennbar)
- Überschreibung mit Variante Überschreibung mit Varianz (Mouse-Over legt untere Textschicht frei)
- | – vereinheitlichtes Korrektur- und Einfügungszeichen
- – Tilgung (Deleatur)
- – Vertauschung (Transposition)
- Unsichere[?] Entzifferung[?]
- ¿¿¿¿¿¿¿ – nicht entzifferte Graphenfolge
- / – Start bzw. Ende einer Markierung für die Fackel Nr. 890-905
123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839404142434445464748495051525354555657585959/a60616263646566676869707172737475767778798081828384858687888990919293949596979899100101102103104105106107108108/a109110111112113114115116117118119120121122123124125126127128129130131132133134135136137138139140141141/a141/b142143144145146147148149150151152153154155156157158159160161162163164165166167168169170171172173174175176177178179180181182183184185186187188189190191192193194195195/a195/bc195/d195/e195/fg196197198199200201202203204205206207208209210211212213214215216217218219219/a220221222223224225226227228229230231232233234235236237238239240241242243244245246247247/a248249250251252252/ab253254255255/a256257258259260261262262/a263264265266267268269270271272273274275276277278279
Jerusalemer Konvolut,
fol. [284] recto.
Standort, Signatur
National Library of Israel, Jerusalem, Abraham Schwadron Collection, Schwad 01 19 290.1.
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Textträger, Grundschicht,
Digitalisat
Gehört zu:
Typoskriptblätter – Schluss des Textes, umfasst 11 Blatt des Konvoluts. Höhe 260 mm, Breite 194 mm. Letzter, nicht bzw. erst in der Fassung für die Fackel Nr. 890–905 gesetzter Absatz des Textes.
Leichte mechanische Schäden – Knicke, selten Risse der Blattränder – und ebenso leichte Verschmutzungen (v. a. Griffecken). Horizontale Falz auf halber Höhe von ursprgl. Faltung.
Digitalisiert von der National Library of Israel mit 300 dpi, 2.456 bis 2.520 Pixel Breite und 3.192 bis 3.312 Pixel Höhe.