Daß für den Aufbau und insbesondere den »ideologischen Überbau« eines Lebens, das schon Seneca gemeint haben muß, wenn er »vivere est militare« erkannte — daß für derlei die Philosophie nicht müßig zu sein hat, versteht sich von selbst, und so leicht wie eine, die zu einer richtiggehenden Walpurgisnacht gehört,Denn wo Gespenster Platz genommen,Ist auch der Philosoph willkommen. Aber wie macht er es, und vor allem⁠ ⁠: wie findet man ihn⁠ ⁠? Es mag ja an und für sich schwer sein, mit dem, was man von den Circenses hört, die andauernd in den Kasernen und Lagern geboten werden, solange das Problem der Panis-Beschaffung noch nicht gelöst ist⁠ ⁠: mit der Anwendung von Stahlruten und Nilpferdpeitschen, mit Gelenksübungen für Gelähmte, mit der Verwandlung nackter, auch weiblicher Körper in blutige Fleischklumpen, mit Prozeduren, die nicht selten unter fröhlichen Marschgesängen der Tätigen vor sich gehen, unter Sprechchören der Betroffenen oder unter dem Zwang Blutsverwandter, zu assistieren oder aufeinander loszuschlagen, kurzum mit Dingen, für die nicht die Tatenwelt der Königsdramen und keine Revolution ein Vorbild hatte — es muß doch schwer sein, mit so etwas einen Gedanken zu verknüpfen oder ihn gar bei Schriftgelehrten als eine förmliche Anweisung für so etwas aufzufinden. Denn wenn sich schon die Feder sträubt, diese Dinge abzuschildern, wie es das Andenken all der Märtyrer erfordern würde und auch das Gedenken jener, die bloß Todesangst zu bestehen hatten und den bestialischen Hohn der vorgehaltenen Waffe (»Jud, fürchst dich⁠ ⁠?«)⁠ ⁠: das Hinrichtungsspiel mit dem Versprechen für morgen — wenn schon die Beschreibung unmöglich ist, so kann man sich doch völlig nicht vorstellen, daß sich eine Feder auftreiben ließe, die mit ethischer Verantwortung an dem Lebensrecht der Menschheit solche Mittel zur Purganz eines Volkskörpers befürwortet hätte. Gewiß, um nicht an der Kosmosreinheit des Menschen zu verzweifeln und zum Schutz vor eigenem Wahnsinn möchte man sich an einen Sinn klammern, der den Begebenheiten innewohnt. Aber die Neigung, ihn von der Philosophie zu beziehen, ließe sich doch selbst nur aus der Erkenntnis pathologischen Zusammenhangs begreifen. Denn daß die Blutberauschung einer erweckten Betriebswelt natürlicherem oder heroischerem Drange als dem des pervertierten Geschlechtswesens entstammen sollte⁠ ⁠; daß die Bluthochzeit und ihre Paarung mit Schmutz, daß der hinter allem Ideenbehang nackte Aufbruch zu wirtschaftlicher Sättigung in anderen Urinstinkten wurzeln könnte als in denen der Machtgier und Sklavenlust, der Habgier und des Neides⁠ ⁠; daß viehische Formen der Entschädigung, in denen sich nie zuvor die Lebensnot einer Gemeinschaft, selbst nicht Panik des Hungersterbens ausgerast hat, vermöge der Besonderheit nur von einem übersinnlichen Punkt erfaßbar wären — das müßte schon eine Philosophie sein, reif zu der höchsten Steigerungsstufe von »deutsch«, die sich dieses Volkstum für alles, was ihm eigen, vor allen andern Volkstümern vorbehalten hat. Es kommt eben damit, wie auch sonst, mit den eigenen Repräsentanten seiner bessern Beschaffenheit in Konflikt. Goethe war dagegen, er wurde dem Unvergleichlichen mit der Bemerkung gerecht⁠ ⁠: Eine Vergleichung des deutschen Volkes mit andern Völkern erregt in uns peinliche Gefühle, über welche ich auf jegliche Weise hinwegzukommen versuche. Ist denn wirklich das Volk erwacht⁠ ⁠? Und Wagner will von dieser deutschesten Tugend, die sich selbst anspricht und zwar unaufhörlich, schon gar nichts wissen⁠ ⁠; von einem Hang, der, seitdem er besonders den Äther zu Hilfe nimmt, die anderen Nationen erst auf die Idee gebracht hat, sich als Franzosen, Engländer, Italiener, Tschechen und nun insbesondere auch als Österreicher zu fühlen. Freilich würde heute Bayreuth in sein Programmheft nicht die Meinung aufnehmen, daß, je mächtiger ein Volk sei, desto weniger es darauf zu geben scheine, seinen Namen mit dieser Ehrfurcht vor sich selbst zu nennen. Es kommt im öffentlichen Leben Englands und Frankreichs bei weitem seltener vor, daß man von »englischen« und »französischen« Tugenden spricht⁠ ⁠; wogegen die Deutschen sich fortwährend auf »deutsche Tiefe«, »deutschen Ernst«, »deutsche Treue« und dergleichen mehr zu berufen pflegen. Leider ist es in sehr vielen Fällen offenbar geworden, daß diese Berufung nicht vollständig begründet war. Was würde ein hoher Gast vollends dazu sagen, wenn er dort die Meinung anträfe⁠ ⁠: Während Goethe und Schiller den deutschen Geist über die Welt ergossen, ohne vom »deutschen« Geiste auch nur zu reden, erfüllen diese Spekulanten alle deutschen Buch- und Bilderläden, alle sogenannten »Volks-«, das heißt Aktientheater, mit groben, gänzlich schalen und nichtigen Bildungen, auf welchen immer die anpreisende Empfehlung »deutsch« und wieder »deutsch« zur Verlockung für die gutmütige Menge aufgekleckst ist. Und wirklich sind wir so weit, das deutsche Volk damit bald gänzlich zum Narren gemacht zu sehen⁠ ⁠: Die Volksanlage zu Trägheit und Phlegma wird zur phantastischen Selbstgefallsucht verführt⁠ ⁠; bereits spielt das deutsche Volk zum großen Teil in der beschämenden Komödie selbst mit, und nicht ohne Grauen kann der sinnende deutsche Geist jenen törichten Festversammlungen mit ihren theatralischen Aufzügen, albernen Festreden und trostlos schalen Liedern sich zuwenden, mit denen man dem deutschen Volke weismachen will, es sei etwas ganz Besonderes, und brauche gar nicht erst etwas werden zu wollen. Aber man hat immerhin für Bayreuth angeordnet, auf das Horst Wessel-Lied zu verzichten, das ja doch auch unvereinbar wäre mit einer Gesinnung, die zu finden gewagt hat⁠ ⁠: daß das einfache Angstgefühl derjenigen Völker, welche sonst der deutsche Geist beeinflußte, es ist, was diese jetzt gänzlich von uns abgewendet und der vollen Hingebung an die französische Zivilisation zugeführt hat . . da sie sehr richtig wenigstens die echte Ware der gefälschten vorziehen. Daß das Bekenntnis zu einem, der so etwas geäußert hat, nun gar obligat, ja in das Vaterlandsgefühl einbezogen sein soll, ist umso schwerer vorstellbar, als er dieses selbst angezweifelt hat⁠ ⁠: Wie der Patriotismus den Bürger für die Interessen des Staates hellsehend macht, läßt er ihn noch in Blindheit für das Interesse der Menschheit überhaupt . . . . Auf der Suche nach einem philosophischen Treuhänder des nationalsozialistischen Gedankens wäre somit Wagner vorweg abzulehnen. Es wird sich überhaupt schwer so etwas finden lassen, und mehr dem Werdenden vorbehalten sein, dem Schoß der Geistigkeit eines Lebens, das in allem Organischen die Fabriksgeburt offenbart. Lange schon zeigte sich, daß das neudeutsche Sortiment nichts Gutes im Schilde führe wie im Schaufenster⁠ ⁠: lauter Tat und Wille, nichts als Blut und Erde, jedes Schlagwort eine Handgranate, Volltreffer jeder Blick aus diesen Einheitsgesichtern von Autoren, die wie ihre Leser ausschauen⁠ ⁠; der trostlose Optimismus einer Generation, die etwas von »Dem Tod ins Auge gesehn haben« gehört hat und sich dadurch zu nichts verpflichtet fühlt als zur Wiederholung und zur Vergewaltigung der Mitmenschheit. Betrieb einer Büromantik von Befreiungskriegen zum Zweck der Sklaverei. Gewimmel von Verwendbaren⁠ ⁠: Belletristen, Gesundbeter und nun auch jene Handlanger ins Transzendente, die sich in Fakultäten und Revuen anstellig zeigen, die deutsche Philosophie als Vorschule für den Hitler-Gedanken einzurichten. Da ist etwa der Denker Heidegger, der seinen blauen Dunst dem braunen gleichgeschaltet hat und klar zu erkennen beginnt, die geistige Welt eines Volkes sei die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins. Ich habe immer schon gewußt, daß ein böhmischer Schuster dem Sinn des Lebens näherkommt als ein neudeutscher Denker. Warum das Volk durch seine erd- und bluthaften Kräfte erregt und erschüttert sein muß und wie es dadurch auf einen grünen Zweig kommen könnte, das zu sehen ist natürlich mehr Sache des Glaubens als der Beweisführung⁠ ⁠; immerhin fühlt man sich an den Einwand bei Gogol erinnert, der gegen einen aufgeregten Schulmeister vorgebracht wird⁠ ⁠: Gewiß, Alexander der Große war ein großer Mann, aber warum gleich Sessel zertrümmern⁠ ⁠? Heidegger, der zeitgemäß »Wehrdienst des Geistes« traktiert, unterläßt ja keineswegs, zu sagen, wie man handeln soll⁠ ⁠: Man muß handeln im Sinne des fragenden, ungedeckten Standhaltens inmitten der Ungewißheit des Seienden im Ganzen. Zum Glück gibt die Zeitung, die es zitiert, auf der Stelle einen Anhaltspunkt⁠ ⁠: Prüfe und behalte das Beste⁠ ⁠: Berna-Käse. Gleichwohl tappt man. Das Bekenntnis zu Blut- und Erdverbundenheit, mit dem sich jetzt diese abgründigen Worthelfer der Gewalt beeilen, könnte vielleicht an jene Gefahr der Verbindung denken lassen, die zwar nicht in der Philosophie, aber in der Medizin als Tetanus bekannt ist, und so wäre die Psychose auf einen nationalen Starrkrampfanfall zurückzuführen, dem alles ausgesetzt ist, was exerzieren und dozieren oder beides zugleich kann. Aber was nützte solche Erkenntnis, da die Bewegung nicht geheilt, sondern geheiligt sein will⁠ ⁠? »Hinein da möcht’ ich mich nicht wagen«, bekennt man,Nur, um dir’s im Vertraun zu sagen⁠ ⁠:Zwei Philosophen bin ich auf der Spur,Ich horchte zu, es hieß⁠ ⁠: Natur⁠ ⁠! Natur⁠ ⁠! Nietzsche⁠ ⁠? Nicht doch, doch nicht⁠ ⁠! Er wäre, trotz aller Schwankung zwischen den Kulturen, für untermenschliche Methoden, zur Natur zurückzufinden, für eine Grausamkeit, die zugleich unappetitlich ist, vermöge seiner Hinneigung zu romanischen und semitischen Lebensformen kaum heranzuziehen. Wohl hat es ihn nach den »Barbaren des zwanzigsten Jahrhunderts« verlangt, welche er aber doch wieder in ihrer Vorhandenheit nachdrücklichst abgelehnt hat. Wohl hat er mannigfach auch mit dem Hammer Thors philosophiert und viel Unheil angerichtet durch jenen Übermenschen, den er »euch lehrte«, der — selbst auf die Sicht der Äonen, in die er sein Denken projiziert hat — ein Entwurf bleibt und dem in seiner nunmehrigen Vollendung der Geist wie dem Faust (von dem er stammt) zuriefe⁠ ⁠:Welch erbärmlich GrauenFasst Übermenschen dich⁠ ⁠! Denn wirklich⁠ ⁠:Wo ist der Seele Ruf⁠ ⁠?Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,Und trug und hegte, die mit FreudebebenErschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben⁠ ⁠? Solche Gleichschaltung wäre also vorbeigelungen, und Nietzsche, welcher Zuchtwarte abgelehnt hat, hätte an der Anwendung des Axioms, daß der Mensch etwas ist, das überwunden werden soll, wenig hellenische Freude. Denn was der Affe für den Menschen ist und der Mensch für den Übermenschen sein soll, »ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham«⁠ ⁠: eben das ist heute der Übermensch für den Menschen, und hinter der »prachtvollen, nach Beute und Sieg lüstern schweifenden blonden Bestie«, mit der eine Literaturgeneration geweidet hat, würde er nichts wiederfinden als eben die »Herdentiermoral«, die er verpönte und die sich nun mit höchster Subalternität am Machtgedanken gütlich tut. Ist es die Erfüllung, daß dieser des Schutzes der Lüge bedarf, um die Beute zu decken, und daß der Kopfjäger als Skalp den Posten davonträgt⁠ ⁠? Ließ jener die Bestie solchermaßen schweifen⁠ ⁠: Der jüdische Apotheker Georg Grünwald hatte seinen Laden in der Prenzlauer-Allee im Norden von Berlin. Eines Tages, bald nachdem der Brand im Reichstag ausgebrochen war, etablierte sich gegenüber dem Laden ein anderer Apotheker. Mitte April stürmte ein Trupp Braunhemden in das Geschäft. »Jude, laß die Rollbalken runter und sperre deine Butike, oder es könnte dir schlecht ergehn⁠ ⁠ Grünwald erwiderte, er sei seit zwanzig Jahren als Apotheker auf dem Platze, nicht er sei daher der Konkurrent, sondern jener. In der Nacht nach dieser Auseinandersetzung verschwand Georg Grünwald spurlos aus Berlin. Seine Frau alarmierte das nächste Polizeirevier. Zwei Tage vergingen. Am dritten Tag rief das Revier die Wohnung der Apothekersfrau an. Sie können sich den Leichnam ihres Mannes in der städtischen Leichenkammer zur Beerdigung holen. Die Frau lief auf das Polizeirevier. »Was ist meinem Manne zugestoßen⁠ ⁠?« Achselzucken . . . Frau Grünwald dachte an den neuen Apotheker . . . Zwei Privatdetektive legten sich auf die Fährte der Mörder. In derselben Nacht wurde Frau Grünwald in ihrer Wohnung vergiftet aufgefunden. Der Polizeibericht sagte⁠ ⁠: Selbstmord. Für das Polizeirevier war der Akt geschlossen. In der Prenzlauer-Allee gibt es jetzt nur noch einen einzigen, deutschen Apotheker. Und tritt etwa hier »das frohlockende Ungeheuer in die Unschuld des Raubtiergewissens zurück«⁠ ⁠: Aus dem Reisebericht eines Schweizers⁠ ⁠: Ich kam nach Hessen. In einem alten Gasthaus erzählten mir ein paar behäbige Kirchengänger lachend, wie sie am Tage des Boykotts ihren Spaß gehabt hätten mit einem Krämer, den zwei SA.-Männer mit vorgehaltenen Karabinern auf den Dorfplatz trieben. Der Jude hätte um sein Leben gefleht und gewinselt, weil er dachte, seine letzte Stunde wäre gekommen. Da hätten sie ihn laufen lassen. Jetzt kaufe niemand mehr bei ihm. Ein anderer jüdischer Krämer, den der Berichterstatter aufsuchte, erzählte, daß es noch gute Nachbarn gebe, die ihm nachts Eßwaren bringen, damit er und seine Kinder nicht verhungern. Vielleicht hätte sie der Antichrist jenen vorgezogen. Oder sind die Aufseher der Konzentrationslager Vertreter der Herrenmoral⁠ ⁠? Erlöst sich die »vornehme Rasse« auf solche Art aus dem Zwang der Gemeinschaft, daß sich feige Unholde für ihr erotisches Hauskreuz rächen⁠ ⁠? Sie waren zum Weibe gegangen, und können die Peitsche nicht vergessen⁠ ⁠: Das Lager war in verschiedene Klassen eingeteilt. Am schlechtesten hatten es die Kommunisten und radikalen Sozialisten in der dritten Klasse. Die Juden wurden zwar von der jüdischen Gemeinde verköstigt, mußten aber die niedrigsten Dienste verrichten, die Klosette reinigen, den SA.-Leuten die Stiefel putzen, auf Befehl die Füße küssen oder die Stiefel lecken. Wollten sie nicht, so half der Gummiknüttel. Ich sah, wie ihnen die Haare ausgerissen wurden, daß Stücke der Kopfhaut mitgingen. Sie wurden auch gezwungen, sich selbst in das Gesicht zu schlagen oder gegeneinander zu boxen⁠ ⁠: »Haut euch, Hunde⁠ ⁠!« Sonst tat der Knüttel seine Arbeit, bis das Blut spritzte. Viele bekamen Nervenzusammenbrüche, andere wurden krank. Ärztliche Visite war wöchentlich einmal. Es ging aber nur immer⁠ ⁠: Der nächste, der nächste, ohne jemand anzuhören. Jemand neben mir sagte⁠ ⁠: »Die Lunge ist nicht in Ordnung, ich spucke Blut«⁠ ⁠; die Antwort war⁠ ⁠: »Rizinusöl«. Nein, das kann kein Philosoph gewollt haben.Hast du, o Thales, je in einer Nacht,Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht⁠ ⁠? Oder erstand Nietzsches Gedanke, der für Abirrungen untergeordneter Organe nicht verantwortlich zu machen wäre, in dem Verhalten jener Gewalthaber, die ihr Wort, und jener Worthaber, die ihre Gewalt verleugnen⁠ ⁠? In der Tatkraft avancierter Fememörder, in der Wortkraft der Polizeipräsidenten, die für den Eventualfall als Sicherheitsmaßnahme »einen Progrom, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat«, in Aussicht stellen, »Bartholomäusnächte« verheißen, denen »Tage der Auferstehung« folgen sollen, »Stunden einer Vergeltung«, gegen die die erlebte ein Kinderspiel sein wird⁠ ⁠?Nie war Natur und ihr lebendiges FließenAuf Tag und Nacht und Stunden angewiesen⁠ ⁠;Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.Hier aber war’s⁠ ⁠! Etwa in dem literarischen Bekenntnis jenes Killinger, der nicht nur so heißt, sondern handelt, und der unter dem Titel »Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben« das Heitere wie folgt besorgt hat⁠ ⁠: Ein Weibsbild wird mir vorgeführt. Das typische Schwabinger Malweibchen. Kurzes, strähniges Haar, verlotterter Anzug, freches, sinnliches Gesicht, wüste Augenringe. »Was ist mit dir los⁠ ⁠ Sie ist renitent und spuckt, mit Recht, einem der Ritter ins Gesicht. »Fahrerpeitsche. Dann laufen lassen«, sage ich kurz. Zwei Mann packen sie. Sie will beißen. Eine Maulschelle bringt sie zur Räson. Im Hof wird sie über die Wagendeichsel gelegt und so lange mit Fahrerpeitschen bearbeitet, bis kein weißer Fleck mehr auf ihrer Rückseite war. »Die spuckt keinen Brigadier mehr an. Jetzt wird sie erst mal drei Wochen auf dem Bauche liegen«, sagt Feldwebel Herrmann . . . Getan und beschrieben von einem der höchsten Würdenträger einer Staatsgewalt, die Greuelmeldungen mit Zuchthaus bestraft. Faustnatur, mag sein⁠ ⁠; doch Übermensch⁠ ⁠? War schon die Einführung Hitlers in die Welt Wagners ein Mißgriff, so ist es vielleicht eine noch größere Fahrlässigkeit, daß man ihn auf die geistige Verwandtschaft mit Nietzsche aufmerksam gemacht hat, ja geradezu ein faux pas, ihn im Weimarer Kreise neben der Büste zu photographieren. Eine französische Zeitung hat die Aufnahme veröffentlicht und ein englischer Gelehrter weist auf das Unpassende der Verbindung mit einem Autor hin, der gerade mit dem Deutschtum seine bedenklichsten Wortspiele trieb, wie jenes »Horneo und Borneo« zum Rassenproblem, und der geradezu als »Maxime« aufstellte⁠ ⁠: Mit keinem Menschen umgehen, der an dem verlogenen Rassenschwindel Anteil hat⁠ ⁠! Ja der in »Ecce homo«, das freilich selbst einer psychopathischen Region nahesteht, auf seine Art über die Jahrtausende verfügt, indem er sie nicht nur für die Geltung seiner Gedanken in Anspruch nimmt, sondern auch behauptet⁠ ⁠: Alle Verbrechen gegen die Kultur in den letzten vierhundert Jahren haben die Deutschen auf dem Gewissen. Und von dem der Satz stammt⁠ ⁠: Die Deutschen sind Canaillen — ein Mann erniedrigt sich, wenn er ihre Gesellschaft frequentiert. Ein Jahrtausend Konzentrationslager in ihrer Gesellschaft wäre diesen Bekenntnissen gesichert.|| Welche Wohltat ist ein Jude unter Deutschen meint Nietzsche. Einem Juden zu begegnen ist eine Wohltat, gesetzt, daß man unter Deutschen lebt. Die Gescheitheit der Juden hindert sie, auf unsere Weise närrisch zu werden, zum Beispiel »national«. Mehr als das⁠ ⁠: Ich mag sie nicht, die neuesten Spekulanten in Idealismus, die Antisemiten, welche heute ihre Augen christlich-arisch-biedermännisch verdrehen und durch einen jede Geduld erschöpfenden Mißbrauch des wohlfeilen Agitationsmittels, der moralischen Attitude, alle Hornviehelemente des deutschen Volkes aufzuregen suchen. Ein Satz, der dabei vorbildlich für deutsche Polemik ist. Und dieser Nietzsche wird geradezu persönlich⁠ ⁠: Pfui über die, welche sich jetzt zudringlich der Masse als ihre Heilande anbieten⁠ ⁠! So spricht die Büste auf der Photographie. Was ist dem Weimarer Kreis nur eingefallen⁠ ⁠? Wie konnte Goebbels den Führer so irreführen, daß er ihm solches Nebenbild empfahl⁠ ⁠? Da hat man in Genf mehr Takt und Sinn für Anordnung bewiesen, als man jenen hinter den Großrabbiner von Australien setzte.|| Mit Nietzsche ist’s nichts. Geeigneter zur philosophischen Stützung dürfte schon der zweite sein, dem ich auf der Spur bin⁠ ⁠: Spengler, der da gemeint hat, es gebe »dem Typus Mensch einen hohen Rang, daß er ein Raubtier ist«, ja der den Vorgängen in Dachau und Sonnenberg, in der Hedemannstraße und Papestraße unmittelbar die gedankliche Basis schuf⁠ ⁠: durch das Lob der Fähigkeit, sich »aktiv klug« auf den Schwächeren zu stürzen, und durch die Bestärkung der Seele, die den Rausch des Gefühls kennt, wenn das Messer in den feindlichen Leib schneidet, wenn Blutgeruch und Stöhnen zu den triumphierenden Sinnen dringen. Jeder wirkliche Mann noch in den Städten später Kulturen fühlt zuweilen die schlafende Glut dieses Urseelentums in sich. Nichts . . . von den zahnlosen Gefühlen des Mitleids, der Versöhnung. Ja, dem ist zu glauben, wenn er bekennt⁠ ⁠: Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahres mehr herbeisehnen als ich. Man hat ihm die Lehrkanzel in Leipzig angeboten. Er versteht die Untergangster des Abendlandes, und sie verstehen ihn. Seine einfache, mit der Beschwerde über zu harte Friedensbedingungen vereinbare Anleitung für menschlichen Verkehr rechtfertigt schon ein Erwachen des Urseelentums, das ohne Beispiel ist. Von den Lebenden taugt sonst keiner⁠ ⁠; Spengler wäre der Richtige. Leider soll auch er enttäuscht haben, da er zwischen »Rasse, die man hat« und »Rasse, zu der man gehört« unterscheidet und nur jenes dem »Ethos« zuordnet, dieses aber der »Zoologie«.