Eindeutiger war bekanntlich der Gruß, den ihm der Abgesandte der österreichischen Regierung zum Empfang auf dem Flugfeld von Aspern entboten hat. Und ich muß, nicht weniger eindeutig und ohne jede politische Nebenabsicht, schon sagen, daß mir — als Kenner geistiger Regiewirkung, durch die ein Wort, an den rechten Punkt der Handlung gesetzt, dramatische Tat wird — dieses Diktum, das da zum Faktum wurde, wohlgefallen hat, besser als eines seit Gründung der Republik, irgendeins aus jenem Machtbereich der Phrase, wo dem politischen Feind bisher nur die Enttäuschung widerfuhr, auf Gallert zu beißen. Was mir an solcher Initiative — nach der lähmenden Ära gesprochener und verratener Pflichterfüllung und angesichts des Leerlaufs einer oppositionellen Rhetorik — was mir an dem Entschluß, dem Gastfreund gleich an der Schwelle zu sagen, sein Besuch sei nicht sehr erwünscht gefällt, ja imponiert, ist das Moment der Neuerung, das innen Zweckhafte und außen Schmucklose der Formel, die zum erstenmal keine Floskel ist, der Mut zum Nochnichtdagewesenen in der Politik, ein nicht bloß für den Betroffenen überraschender Durchbruch durch die Konvention diplomatischer Formen. Denn wenngleich es nur die Antwort auf eben deren Durchbrechung war, auf den formlosen Eingriff in staatliche Lebensrechte, so war doch zur Fixierung lebendige Energie erforderlich, ein politischer Nervenmut, wie der persönliche für die Übermittlung. Man denke nur, ein Reichsminister kommt geflogen, es ist, wenngleich nicht offiziell, der erste Besuch seit dem Einbruch in die Weltgeschichte — dochWeg⁠ ⁠! das Hassen, weg⁠ ⁠! das Neiden,Sammeln wir die klarsten Freuden,Unterm Himmel ausgestreut⁠ ⁠!Auf dem Wasser, auf der Erde,Sei’s die heiterste Geberde,Die man dem Willkommnen beut. Autor der Begrüßung ist der Bundeskanzler Dollfuß, Sprecher der Polizeivizepräsident Skubl. Es war ein Wort, dessen Einfachheit sogleich als Damm und Überwindung des größten und verderblichsten Schwalls spürbar wurde, der je über die Welt der Normen hereingebrochen ist. Es war — mit seltsamer Beziehung auf den Schauplatz von Aspern — der Beginn der staunenswerten Aktion einer Beendigung⁠ ⁠: der Befreiung eines Landes von den Myriaden Kainszeichen, mit denen satanischer Wille sein kriegsmüdes Gesicht gespickt hatte. Ich bin mir bewußt, daß auch zur Anerkennung jener Pointe, die im Staatenleben einzig dasteht, des auffallenden Mutes, den mit ihr und seither österreichische Minister bewiesen haben, Mut gehört⁠ ⁠: gegenüber der politischen Phrasenvernebelung und vor einer prinzipiellen Dummheit, die ein unverkennbares Verdienst, nicht zuletzt doch um die eigenste Sache, auf die Gefahr hin verleugnet, der des Todfeinds zu dienen. Ich fürchte aber nicht die Zensur der Freiheit⁠ ⁠; denn ich habe Mißdeutung weniger zu scheuen als deren Funktionäre, wenn ich die bessere Sache anerkenne, die ausnahmsweise von einer Regierung vertreten wird. Ich halte mich, selbst wenn die gute Absicht nicht bloß vom Unmenschentum zu bestreiten wäre, an den guten Zweck, der auch vom beglaubigten Bekämpfer offizieller Mißformen, vom Bestreiter dieses österreichischen Jahrhunderts zu bejahen ist. Und als neidloser Artist würdige ich den Wert des Einfalls, der den politischen Kram knapp und sachlich bewältigt und dort, wo sonst nur gelogen wird, wo wir den puren Schwindel verstaatlicht oder sozialisiert sehen, einmal den Ausdruck allgemeinen Empfindens befreiend anbringt. Ist denn nicht schon die Vorstellung beklemmend, daß Persönlichkeiten wie die solcher Art empfangene überhaupt in die Möglichkeit diplomatischen Umgangs einbezogen sind⁠ ⁠? Daß in dem Gefühl des Unglücks und der Schmach, die sie über ein Volk gebracht haben — all dessen, was jenseits einer fragwürdigen Brüderschaft mitzufühlen ist —, daß im Geruch der blutigen Atmosphäre, aus der sie gesandt sind und an der sie persönlich beteiligt waren, mit so etwas außer Landes immer noch »gefrühstückt« wird⁠ ⁠? Daß es einen Meinungsaustausch mit der Gewalt gibt, zwanglose Unterhaltungen mit Kerkermeistern, Entrevuen und wie der feine Unfug auf Staatskosten heißen mag, der doch nur dazu dient, noch Übleres vorzubereiten⁠ ⁠! Ist nicht schon diese Genfer Gemeinsamkeit problematisch⁠ ⁠; mit Geschäftsträgern, gegen die nebst allem, was erwiesen ist, der dringende Verdacht vorliegt, daß die Kommunisten den Reichstag angezündet haben⁠ ⁠? Man soll Erfolge wie den der beherzten Einzelaktion des schlesischen Juden, der den Minoritätsschutz durchsetzte, nicht unterschätzen⁠ ⁠; allein zwecks Abrüstung eines graden Michels, der die Waffe unterm Schlafrock hat, wird doch ein Maß von »Konferenzen« aufgewendet, zu dem selbst Berliner Theaterdirektoren vor der Pleite nicht fähig waren. Daß es jener Diplomatie, die ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, mit eben dieser Welt verbindet, daß just ihr es beschieden war, zum Prestige des Unheils beizutragen, solches hat wohl auch im Irrationalen seine Erklärung, wie am andern Pol die Unbewegtheit einer Staatskunst, die durch die verwegenste Konstruktion am Menschentum sein irdisches Wohlergehen plant⁠ ⁠; so fern, wie wir von ihr sind, sei es von uns, sie zu erfassen, sonst erkennten wir vielleicht, daß sie noch immer weniger deutsche Arbeiter zugrunde gehen ließ als russische Bauern. (Und da russische Journalisten gekränkt wurden, trat ja schließlich doch eine gewisse Verstimmung ein.) Wahrscheinlich muß das alles so sein und erfordert das Heil der Welt, daß die Genossen Litwinow und Henderson in ihrem Umgang nicht zimperlich sind. Oder vielleicht ist die ganze Welt ein Opfer der Erpressung, wenn Gangster sich einer Staatskasse bemächtigen. Dann hätte Politik den Zustand herbeigeführt und das Erhebendste daran ist, wie sich die Menschheit gewöhnt hat, sie als etwas außer dem Bereich der Menschheit zu empfinden. Und das Erstaunliche an den Dingen wäre dann nicht so sehr, daß es sie gibt, als daß immer wieder Menschen für diesen Beruf geboren werden und die Sprache erlernen, die die Sachverhalte entbehrt, aber bewirkt. Immerhin, wenn es schon für das, wovor sich das Herz der Gottesschöpfung zusammenkrampft, keinen Ausdruck der Staatssprache gibt, so ist man vielleicht doch nicht zu anspruchsvoll, wenn man endlich auch diese Kurialien einer »Fühlungnahme« missen möchte, die nichts fühlt, und einer »Aufmerksamkeit«, mit der nichts verfolgt wird⁠ ⁠; dies verbindlich Unverbindliche einer Bereitschaft, die nicht vom Fleck kommt, auch wenn sie ihr Geschäft im Umherziehen besorgt, das doch nur ein Herumziehen ist⁠ ⁠; diese ewige Selbstzurede⁠ ⁠: »zu diesem Zwecke muß man«, »man darf nicht länger« und »es kann nicht schwer fallen«, nämlich daß nichts geschieht. Nicht einmal der Faden der Höflichkeit reißt, wenn sich das Chaos zuchtmeisterlich der Welt empfiehlt und wenn der Einbruch in ihre Gesittung noch als Zwang auftrumpft, ihn nicht wahrzunehmen. Mischt sich in das Zeremoniell dieser Unbewegtheit endlich ein Naturlaut, so wirkt er ereignishaft. Einer Diplomatie, die seit Kriegsschluß Geduld und Appetit zeigt, war zu wünschen, daß sie in wehrloser Stummheit jene »zwanglose Unterhaltung« mitmache, deren Eindruck keine Beschreibung wiedergibt, damit sie einmal gewahr werde, welche Wirklichkeit hinter Redensarten haust⁠ ⁠!