Und wäre sie denn ohne den Leidensweg vorstellbar, den so viele um des Zieles willen beschreiten mußten⁠ ⁠? Hat man nicht von Märtyrern gelesen, Kriegsteilnehmern, manch einem, dem es erst jetzt widerfuhr, daß sein Körper »vom Rücken bis zu den Kniekehlen eine einzige blutige Masse war«⁠ ⁠? Damit er seiner Sendung bewußt bleibe, überschüttete man ihn mit kaltem Wasser und zwickte hierauf mit Zangen Fleisch aus seiner Brust. Und dann nahm der Pfleger des Glaubens seine brennende Zigarre aus der Schnauze und sengte dem Gefesselten einen Kranz rund um den Hals. Und sprach die Worte⁠ ⁠: Ein Kettchen aus roten Korallen zur Erinnerung⁠ ⁠! »Wir haben den Mann und seine Wunden gesehen«, sagte einer im Flüchtlingsbureau von Saarbrücken. Solchen Bewährungen suchen die Schutzhäftlinge zu entrinnen, indem sie Sicherheitsnadeln sich ins Herz stoßen, einen Bleistift in die Augen, den Kopf am Eisenbett der Zelle sich einschlagen und so seltsame Arten der Abkürzung ersinnen für seltsamere des Leidens. Doch die strengen Riten der Schutzhaft überdauern den Schwachmut der Lebensflüchtlinge, sie bestehen kraft der Glaubenstreue der Bekenner, und mehr noch, weil jene nicht glauben wollen, die in Betten schlafen. Was aber der Menschlichkeit unfaßbar ist, weil es der Erlösung zu einem Ziel der Menschheit dient, möchte sie doch festhalten. Für das Andenken all der Blutzeugen, die daran glauben mußten, der Zertretenen und solcher, die nur Siechtum davontrugen⁠ ⁠: des hingerichteten Helden von Hamburg und der Mutter, die es durchs Radio erfuhr und schreiend auf die Straße stürzte⁠ ⁠; der Frau in Köln, die, als sie den Mann peinigten, in Todesangst aus dem Fenster sprang und mit gebrochenen Beinen liegen blieb⁠ ⁠; des Zugs der Kremser Hilfspolizei, in den der feigste aller Morde schlug⁠ ⁠; der Getöteten und Verstümmelten im Wiener Juwelierladen⁠ ⁠; des greisen Rabbiners, der in Oberwiesenfeld das Hinrichtungsspiel erlitt, bis es doch Ernst wurde⁠ ⁠; des Kindes — sie haben den Vorgang selbst berichtet —, das weinend der Mutter nachlief, die als Geisel durch die Gassen von Pirmasens geschleift wurde, damit der entflohene Vater zu seinen Mördern zurückkehre. Und auch dieser Kreatur Gottes⁠ ⁠: . . und versuchten mit petroleumgetränkten Fetzen das Holzhaus in Brand zu stecken. Der Hund des Platzmeisters störte die Brandstifter durch sein Gebell bei ihrer Arbeit. Daraufhin feuerte einer der Nazis einen Revolverschuß auf das Tier ab und verletzte es schwer. Trotzdem konnte der Hund noch zur etwa hundert Meter entfernten Wohnung des Platzmeisters laufen und seinen Herrn wecken. Als der Platzmeister zum Klubhaus kam, waren die Eindringlinge schon geflüchtet. Der Mann löschte mit einigen Eimern Wasser den Brand. In den frühen Morgenstunden mußte der treue Hund, der die Brandleger entdeckt und schwere Verletzungen erlitten hatte, durch einen Gnadenschuß getötet werden. Und das Andenken dieses⁠ ⁠:|| Durch ein Mißverständnis wurde mir mein Mann entrissen. Um stilles Beileid bittet — — Menschen gehen aus und werden in einem verlöteten Sarg ihren Familien zurückgestellt.Das arme ReichKennt kaum sich selber mehr. Nicht unsre MutterKann’s heißen, sondern unser Grab⁠ ⁠: wo NichtsAls was nichts weiß, man jemals lächeln sieht⁠ ⁠;Wo Schrei’n und Seufzen, das die Luft zerreißt,Gemacht wird, nicht gemerkt⁠ ⁠; wo heft’ger KummerAlltägliche Erregung scheint. Man fragtBeim Läuten kaum⁠ ⁠: für wen⁠ ⁠? Der Guten LebenWelkt schneller als der Blumenstrauß am Hut,Und stirbt noch eh es krank wird. Mit so ungeheuren Zügen Shakespeares ist die Stimmung in »diesem unter einer Teufelsfaust ringenden Lande« gemalt (»ein heil’ger Engel flieg’ an den Hof von England, tue kund die Botschaft⁠ ⁠!«) — nur der gleichmütigen Niedertracht sind die Seufzer, die erstickt sind, nicht gewesen. Sie wissen nichts⁠ ⁠; sie glauben es nicht.|| Doch es muß einen Sinn haben, welchen die Menschen erst erkennen, wenn der Führer sie sehend macht. Symbolhaft war es, als eine Gruppe jugendlicher Angehöriger der Blindenanstalt in Halle sich an ihn mit der Bitte wandte⁠ ⁠: in ihm ihren Führer sehen und ihr Zimmer »Adolf Hitler-Zimmer« nennen zu dürfen. Der Reichskanzler entsprach dieser Bitte mit einem besonderen Schreiben und sandte den Jungen ein prachtvolles Lichtbild mit eigenhändiger Unterschrift. Gloster ersah das Führerprinzip⁠ ⁠: »’s ist Fluch der Zeit, daß Tolle Blinde führen«. Er war blind für den Segen, und nicht alle sind seiner wert. Darum hat der Deutsche Blindenverein seine jüdischen Mitglieder ausgestoßen, aber ein österreichischer als Nachrichtenzentrale gewirkt. Und vor einem israelitischen war es ein Sehender, der die Aufschrift buchstabierend zu seinem Begleiter sprach⁠ ⁠: »Israe-lidisches Blinden-heim — Dös heb’ i mit zwa Kracherln aus. Die Blinden sehn’s eh net⁠ ⁠ Während man, um eine christliche Mehrheit zu treffen, hinter dem Busch versteckt sein muß. Denn dieses Fatum waltet ohne Ansehn der Konfession, und je mehr ihm die Erfüllung entschwindet, umso unersättlicher drängt es zum dunklen Ziel.