Mit einem Wort, wir nähern uns endlich der Auffassung, daß der Abschluß des Weltkriegs — der zivilrechtliche Abschluß einer Strafsache vor dem Weltgericht — nichts genützt hat, weil er einer aufs Emblem gerichteten Denkart kein Sinnbild des Ausgangs hinterließ, kein Denkzeichen, um sie zu sich, zu ihrem Wert, zu ihrer Sprache zu bringen. Denn es war kein vorstellbarer Sieg, es war keine sichtbare Niederlage mit moralischer Wirkung. Mit »Reparationen« — Rechnungslegung in einem Wahnraum, den auch die andern bezogen — sollte ein irreparables Tun getroffen werden⁠ ⁠; es wurde ein irreparables Fühlen gezüchtet. Der prinzipielle Sieger mußte sich betrogen wähnen⁠ ⁠; an eine Niederlage, die er nicht sah, nicht glaubend, verhalf er wenigstens jenem Geist zum Sieg, der den Substituten der Schuld erfand⁠ ⁠: von den Erklärern des Kriegs war sie abgewälzt auf die Unterzeichner des Friedens. Der Revanchekrieg nach innen war eröffnet, den die Sozialdemokratie in dem Maß nicht abzuwehren vermochte, wie sie den Krieg gefördert hat. Die Schuld am Krieg von denen geleugnet, die ihn eröffnet hatten — was Schuld des Kriegs war, als die des Friedens beglaubigt. Der Außenfeind hatte jenen, der innere diesen verschuldet. Nichts konnte den Nachgebornen besser einleuchten als der »Dolchstoß«, da außen keine Entscheidung sichtbar war, innen aber die Niederlage fühlbar als Not. Das Luftgebilde von Reparationen, die niemals an den realen Schaden hinangereicht hätten⁠ ⁠: Arsenal der Lüge, daß noch die reduzierteste Leistung den Staatshaushalt in Ketten lege. Aber in keine geologisch ermeßbare Ferne reicht der Gedanke an die Bedingungen, die ein deutscher Sieg der Welt, materiell und gar kulturell, auferlegt hätte⁠ ⁠; denn er wäre ein Endsieg gewesen, und ihm wäre der Schlußpunkt Paris gesetzt worden. Jetzt freilich ist ein Volk Opfer des satanischen Humbugs, der die allverderbliche Kriegsfolge zur Friedensfolge zugerechnet hat, deren Härte den unterlegenen Staat doch selbst dann träfe, wenn er mit Recht seine Historiker mobilisierte, die Kriegsunschuldlüge auszuarbeiten. Diese Wissenschaft ist, schon über die Erkenntnis hinaus, daß die andern begonnen haben, bis zu dem Standpunkt vorgedrungen, daß der verlierende Teil Opfer für ihren Gewinn gebracht habe und darum Anspruch habe auf Kriegsentschädigung. Den Fehler der Siegermächte, zwischen Verbrechern und Verführten nicht zu unterscheiden — wie den Glauben, daß die Macht der Länderverteilung von völkerkundlichem Wissen enthebe —, bekam eher Österreich-Ungarn zu spüren⁠ ⁠; mehr als durch feindliche Willkür leidet Deutschland durch die ideologische Zurechtmachung, die den Innenfeind erfand und noch den gutartigen Volksteil betört hat. (Nicht ohne Englands nun bereute Förderung⁠ ⁠; nicht ohne daß der Kriegsgeist sich auf westliche Vertreter der Menschheitsidee stützen konnte.) Trostlos, zu denken, daß jene etwas versäumt haben⁠ ⁠; trostloser, daß diese es nachholen wollen⁠ ⁠! Der Nationalismus, nie eine geistige Nachhilfe, lehrt hier wahrlich die Nation, durch Schaden dumm zu werden, und was er ihr vermacht, ist die irreparable Verkehrung von allem Heil, das er ihr zuruft. Denn von Sieg, Größe, äußerer Einheit gedeiht nicht jedem Volke die Kultur, und es ist ein Bekenntnis zu diesem, wenn ein österreichischer Politiker sagt, Deutschland, das immer groß gewesen, habe »seine höchste Blüte entfaltet, wenn es unterdrückt wurde«. Solche Anschauung zum Heil der besondern und der weitern Menschheit — konform der Meinung, daß Siege erlitten, Niederlagen errungen werden⁠ ⁠; daß den Österreichern Königgrätz besser bekam als den Preußen, welchen vollends ein kulturelles Sedan bereitet ward —, solches Denken ist nun geschlagen von der Aussicht, daß selbst eine Wiederholung und Steigerung des Unheils von 1914 nichts nützen würde. Denn sogar bei eintretender Apokalypse — deren Reiter bereits da und dort gesichtet werden — wäre doch keine Spur jenes letzten Endes zu erhoffen. Das eben ist, Gott sei’s geklagt, die Geistigkeit, die schon einst so genannte »Mentalität«, deren Sporn und Stachel jetzt wieder ein gesitteteres Deutschtum zu spüren bekommt und gegen die es sich kürzlich mit einer erstmaligen Einsicht gewehrt hat. Man muß nicht ins Quartär, von welchem ich abschweife, doch bis zum Kriegsbeginn zurückgehen, um des Kontrastes habhaft zu werden, den eine Äußerung erkennen läßt wie diese⁠ ⁠: Der Geist dieses himmelstürmenden Kraftbewußtseins, der da aus den Retorten der Gelehrtenstuben geboren wurde und in Büchern und Reden seinen Niederschlag fand, hat nicht zuletzt jene unheilvolle Vorstellungswelt in Europa hervorgebracht, die dem Ausland das Wesen des deutschen Volkes in einer ganz wahrheitswidrigen Verzerrung zeigte und aus diesem schrecklichen Irrtum den Weltkrieg entspringen ließ. Wenn es — auch in einem umgänglichern Deutsch als es der nationalen Presse eignet — heute die ‚Reichspost‘ sagt, die den Weltkrieg teils als die österreichische Initiative der Vergeltung, teils nibelungentreu als Untat der Einkreiser kommentiert hat, so wird es zur vollen Wahrheit, falls sie auch sagen will, daß der schreckliche Irrtum, der ihn entspringen ließ, der Irrtum jener war, die die Verzerrung bewirkt haben, indem sie den kriegerischen Geist in der kriegerischen Literatur und diese im kriegerischen Tun den Niederschlag finden ließen, und falls sie darin die Tragik erkennt, daß es nicht gelungen ist, noch diesen niederzuschlagen. Unerschüttert von der Assoziation, die der zermürbende, ermüdende, vampyrhaft Europa belagernde Begriff dieses ewigen Siegfriedwesens längst mit einer bezogenen Siegfriedstellung eingegangen ist, wünscht sich solche Welt eine Komplettierung mit Teufeln, als wären ihrer nicht genug auf Erden. Lebt noch immer in der Fibelvorstellung, daß viel Feind’ viel Ehr’ bedeutet, als ob es sich von den gesellschaftlichen Usancen des isolierten Raufbolds auf die Wirtschaftsbeziehungen der Völker übertragen ließe. Die Menschheit verwundert sich eines Bestandteils, dem die Isolation unentbehrlich ist, splendid nur in dem Sinne, daß sie auf allgemeine Kosten erfolgt. Da wirken alle diplomatischen Vorkehrungen, auch diese schon mehr komischen Konferenzen, die sich durch fortwährenden Wechsel der Lokalität einen Fortschritt erhoffen, wie der Halm des Pygmäen gegen den stahlharten Wahn, der die Entwicklung eines politischen Körpers vom Quartär ableitet und auf Äonen bemißt. Was sollen die Normen der Menschheit⁠ ⁠? Es ist irrnational⁠ ⁠!