Bis er aber vorüber ist, vergeht die Zeit, ich sehe die Entfaltung jüngerer polemischer Kräfte, die es von mir haben und behalten, sehe Beweise eines Muts, der anonym bleibt, wenn er einen Namen trägt, und deliberiere wie ein Hamlet, den die Unzugänglichkeit des Übels dauernd um das Stichwort und den Ruf zur Leidenschaft gebracht hat. Das Stichwort wenigstens wäre schon in der Gelegenheit enthalten, auch Beweise eines journalistischen Übermuts zu ergreifen, der sich im Vertrauen auf meine Zurückhaltung hervorwagt und nichts Geringeres unternimmt, als mich, in der Absicht der Schädigung oder gar der Gleichschaltung, mit der Gefahrenzone zu konfrontieren. Ein Spät-Abendblatt, das früh genug erscheint, aber doch zu einer Zeit, wo ich schon keinem preußischen Polizeipräsidenten begegnen möchte — das Blatt, dessen Etat von jener Schönheitspflege bestritten wird, die keines der schmückenden Beiwörter braucht, welche seine Theaterkritik verschwendet —, entsinnt sich just jetzt meiner Existenz, von der es sonst weniger Aufhebens machte als vom unscheinbarsten Prominenten, und die sich überhaupt im Kulturbereich den Anspruch auf Verschollenheit erworben hat. Immerhin ist von mir noch bekannt, daß ich das, was sich als publizistische Vertretung des Fortschritts geriert — oder wie es schreibt⁠ ⁠: giriert — und was ich ihn mit zwei linken Füßen vertreten sehe, nicht gerade für seine beste Errungenschaft halte und daß ich von der Begünstigung der Sorte so weiten Abstand nehme wie von ihrer Gunst. Ich verweile aber gern bei ihrem Thema, das sie mir als zu geringfügig verübelt, denn um zur höchsten Stufe der Weltmisere zu gelangen, diene ich von der Pike auf. Nachdem man also, wenn ich im Rundfunk sprach, sich genötigt gesehen hatte, die Rubrik ausfallen zu lassen — so mitten im Kampf gegen die Notverordnung ein Beispiel gebend, wie eine freisinnige Redaktion, um die Meinungsfreiheit zu opfern, lieber dem eignen Trieb gehorcht —, nach diesem harten Schlag wurde mir, der Kummer gewöhnt ist, eine unverhoffte Entschädigung zuteil⁠ ⁠: mein Wirken mit den geistigen Zielen des Nationalsozialismus verknüpft zu sehen. Es handelt sich um einen Vergleich seines zerstörenden Waltens im Kulturgebiete mit meiner »Demolierten Literatur«, deren Andenken meine satirische Leistung der folgenden Dekaden in den Schatten gerückt hat. Der Vergleich mit dem Nationalsozialismus fiel ganz zu meinen Gunsten aus, indem sich meine Demolierung durch einen »beispiellosen geistigen Elan« und eine »großartige satirische Kraft« von der dilettantischen Berliner Literaturzerstörung unterscheiden soll, wiewohl sie doch ein wahres Kinderspiel war gegen das, was ich seit damals zur Orientierung über das Schrifttum beigesteuert habe. Daß ich mich schon in jener satirischen Anfängerarbeit »zum unerbittlichen Richter in den Dingen des deutschen Geistes und der deutschen Sprache erhoben« hätte, ist gewiß übertrieben, wenn man in Betracht zieht, was ich alles seither über ein Druckwesen auszusagen wußte, das von Leuten bestellt wird, die bloß wegen Verfehlung anderer Berufe dazugelangt sind. Aber eben deshalb geben sie der »Demolierten Literatur« den Vorzug, deren Lob das Alibi der von ihr unberührten Schreibergeneration bildet⁠ ⁠; meinen Todfeinden hat sie es angetan und ein Satirenkenner wie Monty Jacobs fand, daß ich mich seit damals, und zwar durch fünfunddreißig Jahre, ausgeschrieben habe. Heute glaubt man bei aller Anerkennung jenes Standardwerks ein Gemeinsames mit dem Nationalsozialismus darin zu erkennen, daß die Betroffenen »das Demolierungsurteil überlebt haben«. Strittig bleibt immerhin, ob ihre Berufsgenossen auch das Urteil überleben werden, das über sie in den Jahrgängen der ‚Fackel‘ gefällt ist. Werde ich nun hier noch zu meinem Vorteil mit Goebbels verglichen, was auch nicht angenehm ist, so hat dasselbe Blatt in einem andern Artikel das Problem meiner geistigen Verbindung mit Hitler von einer andern Seite betrachtet, wobei ich zum Glück nicht ganz so gut davonkomme. Denn hier wird man sich des stärkeren Inhalts einer polemischen Lebensleistung bewußt, indem man an jenen Kampf gegen die Presse anknüpft, durch den ich die Lorbeeren meiner Jugendarbeit eingebüßt habe, und ich stehe nun wohl als Vorkämpfer da, aber als einer, der den Erfolg fremder Tatkraft einheimst. Und zwar in einem Leitartikel, der den Einfluß jüdischer Köpfe auf Hitler an einer Reihe »seiner geistigen Ahnen« nachzuweisen sucht und sie wie folgt abschließt⁠ ⁠: . . . Unbestreitbar ist, daß die Ideen der Arbeitspflicht und der Nährpflicht von Popper-Lynkeus vorausgedacht waren. Man könnte die Serie der vorausdenkenden Judenköpfe bis auf Karl Kraus weiterführen, dessen kühnste Wunschträume von Hitler erfüllt worden sind. Es gibt in Deutschland keine Journaille mehr, ausgetilgt sind alle Feinde der Fackel von Reinhardt bis Kerr⁠ ⁠! . . . Man möchte meinen, daß die Zeit für neckische Spiele nicht geeignet sei. Darum werde ernst genommen, was da ein Journalist schreibt, dem Mut gegen Hitler wie gegen seinen Vorläufer keineswegs abzusprechen ist. Wird diesem die Priorität der Ideen, jenem das Verdienst ihrer Durchführung nachgerühmt, so muß ich auch die Priorität ablehnen, wofern sie auf eine äußere Erfassung der Gefahr einer »Journaille« bezogen wäre, deren Terminus mir hier offenbar zugeschrieben wird. Mit demselben Unrecht wie von der nationalsozialistischen Presse, welche ihn selbstlos, wenngleich ohne jede Beziehung auf die Quelle der ‚Fackel‘ verwendet, deren Vokabular sie ja auch sonst vielfach für ihre Zwecke beschmutzt hat — vermöge einer irrtümlichen Gleichschaltung meiner Absichten mit den ihren, die nun die liberale Journaille übernommen hat. Wohl bin ich die Quelle, jedoch, wie schon seinerzeit fatiert war, leider nicht der Schöpfer der genialen Prägung. Ein gelegentlicher, aber eingeweihter Mitarbeiter der Neuen Freien Presse, der viel und klug sprach und aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, doch auch keine von Henkern der öffentlichen Meinung, Alfred von Berger, ein Autor, dem gleichfalls die rassische Eignung mangeln würde, mit Quellenangabe zitiert zu werden, hat mir das Wort einst mit der Bestimmung, daß ihm Flügel wachsen, übergeben. Was nun mein antijournalistisches Denken anlangt, das sich nicht nur in der Verbreitung solchen Ausdrucks bewährt hat, so liegt ja die Priorität vor dem Hitlergedanken klar zutage. Dieser Leitartikler (der immerhin so heißt, wie sein Blatt geschrieben sein sollte) trifft manchmal den Nagel auf den Kopf und so auch hier. Aber mit seiner Auffassung, daß meine Wunschträume von Hitler erfüllt seien, hat er schon darum Unrecht, weil es ja selbst noch in Deutschland, geschweige in Österreich eine Journaille gibt wie je und je und eine weit aktivere als in der maßvollen Ära, der das Wort entstammt ist. Daß mein Kampf gegen sie, der mit der Enteignung der Meinungsgeschäfte und deren rassenmäßiger Erneuerung an Haupt und Gliedern nichts zu schaffen hat und solche Allotria überdauern wird — daß dieser Kampf ein heilsames Beginnen ist, das dürfte der Journalist, der ihn durch den Vergleich herabsetzen möchte, wenigstens aus der Zeit wissen, als er vom Verlag der ‚Fackel‘ Erlaubnis bekam, in deren Jahrgängen den besondern Spuren der Neuen Wiener Journaille, mit der er Händel hatte, nachzuforschen. Die Vorstellung, daß »alle Feinde der Fackel ausgetilgt« seien — als ob sie solche zu fürchten hätte und nicht selbst Feind wäre — und daß ich nunmehr, da mein Rachebedürfnis befriedigt scheint, ruhig leben könne, dürfte eher dem Horizont des Leitartiklers als dem des Satirikers angemessen sein. Jener unterschätzt das große Dilemma, worin sich dieser andauernd befindet, der die Beseitigung seiner Objekte nicht einmal dann als Erfolg wertet, wenn er selbst mit ihnen fertig würde, geschweige denn, wenn sie ihm der Tod entrissen hat oder der Teufel einer politischen Gewalt. Wohl will er Ruhe vor dem Anlaß, und der journalistische Zufall, der die Gestaltung, die er anregt, auch wieder verwirrt, soll ihm nichts diktieren. Daß ihm aber die Gestalt abhanden kommt, ist ein Schmerz, wenn die Entwicklung nicht beendet war und mit der erschaffenen Form auch das Beispiel zu geistiger und moralischer Anwendung verloren ging. Größer als das Behagen, ein Übel entfernt zu wissen, das noch Macht hatte gegen die Polemik, ist der Wunsch, es erhalten zu sehen, und nur der Flachsinn kann glauben, daß der Satiriker nicht ehrlich trauert, wenn ihm ein Mann der Öffentlichkeit auf der Höhe gemeinsamer Schaffenskraft entrückt wird. Denn ein anderes ist die publizistische Aktion, die eine kriminalistische zu ersetzen und darum mit Erfolg abzuschließen hat, etwa daß einer hinaus aus Wien kommt — ein anderes die satirische Beweisführung, daß er der größte im ganzen Land sei. (Wiewohl es eine Übertreibung war und wir heute froh wären, beide Kerle zu haben.) Und nun gar die Möglichkeit, das Niveau der Zeit an einem faulen Theaterzauber, dem sie erliegt, stets aufs neue darzutun⁠ ⁠! Die Entmachtung der Faktoren »von Reinhardt bis Kerr« mag als Resultat erfreulich sein⁠ ⁠; aber ganz abgesehen davon, daß ich es von der schmutzigen Stupidität, die es bewirkt hat, nicht geschenkt nehme, wird sich schon herausstellen, daß mein Verlust größer war als der, den die Kulturwelt erleidet. Allein ich sage mir, was Staatsmänner nach einem Rückschlag zu äußern pflegen⁠ ⁠: Ich bin Optimist. Ich denke mir, daß mancher heimfinden wird, der jetzt dem Interviewer versichern muß, daß er nicht geflohen, sondern mit der Eisenbahn gekommen sei⁠ ⁠; ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, daß eine zusammenfassende Rückschau auf das, was ich in Berlin zwischen Theater, Presse und Justiz erlebt und schon aufgezeichnet habe, der Nachwelt unverloren, auch der Mitwelt zugänglich werden könnte, ja ich glaube, daß trotz Zsolnays Herabstimmung noch die Zeit kommen wird, wo ich Emil Ludwig in der Perspektive gerecht werden kann, wie er Mussolini und wie er mich geschaut hat. Aber in Bezug auf Reinhardt hege ich eine schier unzerstörbare Phönixzuversicht. Die Neigung des Auslands, auf deutsches Kunstgewerbe hereinzufallen, kann durch eine Kulturpolitik, die sich fanatisch unter dessen Niveau begab, nur bestärkt werden⁠ ⁠; und auch Oxford entbehrt ja nicht des Ehrendoktorats. (Selbst auf dem Boden ahnungsloser Pariser Toleranz können Faktoren, denen der von Berlin zivilrechtlich heiß wurde und die sich darum für Emigranten halten, Hoffnungen und Notizen aufpflanzen.) Eben die Zeitung, die meine Mission so eng begrenzt und die mitten in der Schilderung der Panik noch die Geistesgegenwart hatte, festzustellen, der Magier sei bloß zum Zahnarzt nach Wien geeilt, sie wird zur Erhaltung seiner Erdenspur das Erdenklichste vorkehren. Schließlich hat ja das deutsche Aufräumen in seiner ganzen Trostlosigkeit noch die Folge, daß der atemraubende Mist unserer Kulissensorgen sich vermehrt hat, daß die Prominenz hochschwillt wie noch nie, und daß diese Elefantiasis von Mücken, die das tägliche Blattbild erfüllt, katastrophal wäre, wenn nicht kulturbewußte Trenchcoat-Erzeuger immer wieder bestrebt wären, sie zu bemänteln.