Was die sonstige Produktion betrifft, zeigen sich, soweit sich die schreibenden schöpferischen Teile des Volkes nicht schon zum Boykott-Tag an jüdischen Schaufenstern ausgegeben haben , da und dort günstige Ansätze. Das polemische Schrifttum hat einen frischen Zug bekommen und das Zeitgedicht, das mit beißender Satire Übelständen an den Leib rückt, wird gepflegt. So findet unter dem Titel »Jüdische Kapitalsflucht ins Ausland « das Pasquill eines Edelmanns reißenden Absatz, das gleich in der ersten Strophe kräftig zupackt, wo verlangt wird, daß mit den Juden endlich reiner Tisch gemacht werde :Dieser Bande, die sich so unglaublich benimmtUnd lügt und hetzt und wühlt ganz offenUnd im Stillen hier und im Ausland und willDaß sie die Herrschaft wieder zurück gewinnen —Ihr armen Tore, die ihr solches denktEure Zeit ist vorbei meine Herrn ! Der freie Rhythmus, mit einer gewissen Ungezwungenheit in Syntax und Interpunktion, ist natürlich mehr auf akustische Wirkung abgestimmt. Es ist ein Ostelbier , der seinen natürlichen Empfindungen in der Großstadt Luft macht beim AnblickDieser fremden Rasse, die so artfremd dem GermanenblutDiesen Blutegeln, die so unglaublich das Volk aussogenHinaus nun mit dem Jud ! Zwar scheinen sie wenig Nahrung gefunden zu haben :Diese fremde Herde auf deutschem Sand aber gleichwohl waren sie aller Orten anzutreffen, wie der einfache Rückblick dartut :Überall im deutschen Land es warOb Stadt, ob Dorf, ob Palast oder Hütte, man sahÜberall die krummen Nasen . . . .Überall an gehobener Stelle in die Höh Juden schnellen Mehr als das. Drastisch wird geschildert, wie der Arier alle Gelegenheiten, zu denen es ihn drängte, immer schon von Juden, die eben schnellerundmehr waren, besetzt fand :Wirtschaft und Geschäft — überall der JudPresse, Theater, Film, blick hin wo du willstÜberall der Jud die Hauptrolle miemtAllüberall, ja bald jedes KlosetWar von irgend einem Juden besetztWo war der Deutsche noch zu finden ?Vixierbild — ja bald war es so schlimmDa wundert man sich nun heut’ in der WeltDaß der Deutsche aufwacht, sich abschüttelt diese PlagDoch genug jetzt ! nicht mehr weiter so ! Welt es vernimm ! Infolgedessen erhebt sich die Forderung :Aber heraus mit den Juden aus den öffentlichen Dienst ! Und vor allem :Keine deutsche Frau einem Juden ihr Geld noch bringt ! ! Diese Vermischung ist unstatthaft, wo er es ohnedies u. s. w. Sie sollen’s mal draußen probieren :Wenn es den anderen Völkern gefälltDann bitte — schachert dort mit Vergnügen ! Man kann nicht verkennen, daß hier der jüdischen Kapitalsflucht ins Ausland doch eine gewisse Nachsicht widerfährt. Der Autor erfaßt eben das Problem von allen Seiten, und da er nur ausdrücken will, wie’s ihm ums Herz ist, verhehlt er sich auch nicht, daß hier keine Kunstdichtung im eigentlichen Sinne vorliegt, sondern daß die pure Indignatio den Vers macht :Ganz einfach schlicht ich sprech’ es hier ausSo einfach, damit es ein jeder kann verstehnIm deutschen Land ganz bequem und seh’ heut’ nicht viel auf Stil. Gewiß wäre es interessant, zu erfahren, wie er sonst schreibt. Manchmal stellt sich ihm doch auch das Glück des Reimes ein :Viel Worte machen und alles war MistWir reden wieder deutsch wie der Schnabel gewachsen ist ! Es wird eben durchaus nicht das geschraubte Schriftdeutsch jener angestrebt, denen der Bescheid gebührt :Reitet, mauschelt soviel ihr wollt mit der FederIm Ausland doch da weiß es auch bald ein jederDaß ihr seid ganz verkommene Subjekte Gewiß könnte aber zur Aufklärung des Auslands der vorliegende Trutzgesang noch etwas beitragen, mit dessen Dichter man so recht fühlt, wie ihm schließlich die Geduld reißt :Wir bauen auf ! Haben keine ZeitUns mit der Juden Gewinsel zu befassenIst Schwindel ; es pfeifen es die Spatzen in den Gassen ! Die strenge Forderung Diebolds ist nicht erfüllt. Wohl hat man es mit einem heimatkünstlerischen Phänomen zu tun, aber die Willensbildung, die zweifellos angestrebt wird, setzt sich nur mit einem freiwilligen Verzicht auf höchste geistige Formung durch , und die wenigen Interpunktionen sind vom Setzer. Ebenso in einem anschließenden Lied, das gleichfalls vom Gebot der Stunde diktiert scheint, mit dem Titel und dem Refrain »Juden raus ! «, eine Forderung, die der Tendenz gegen Kapitalsflucht freilich durchaus entgegensteht. Hierin wird das deutsche Volk geradezuDes Juden Knecht, des Geldes Fluch genannt, aberDer Bauer hinterm Flug will sehnWieder hinauf zur Sonne frei ! Er ist natürlich durch keinen Aeroplan behindert, während allerdingsDer deutsche Kaufmann nicht auf mehr kann sehn Gemeint ist offenbar nicht, daß dieser nicht auf mehr (Geld) sehen kann, weil es doch der Jude usw., sondern daß er aus dem gleichen Grund nicht mehr auf (hinauf) sehen kann.Wer will Beweise ? — millionenfach wir können sie zeigenJuden raus ! Sie haben ja sogar auf die Wortstellung des deutschen Dichters abgefärbt, und überhaupt :Deutsche Kunst und Kultur nicht mehr war zu sehn Da gibt es nur eines :— zum deutsche Geschäftsmann geht hineinSoll der kaputt sein, soll es so sein ?Juden raus ! Die Sache spricht für sich :Juda hat uns erklärt den KriegUns dem deutschen 65 MillionenvolkFrei wollen wir leben gottgewolltJuden raus ! In späteren Zeiten wird man Gott danken,Daß man endlich der Volksausbeuter sich entwandt Kommen sie »nicht sofort zur Räson «, schließt er, Dann raus mit dem Jud ! Daß hier noch Unsicheres, Relatives, Mehrdeutiges gegeben sei, wird niemand behaupten. Gleichwohl dürfte man es nicht mit jenem Dieboldschen Begriff von Volkslied und deutscher Sage zu tun haben, der mit den Gebilden Goethes die Sprache gemeinsam hat . Ich glaube nicht, daß der Dichter etwa eine besondere Beziehung zur »Pandora « unterhält, wenngleich er offenbar eine Faustnatur ist und wohl auch vom Götz wenigstens das Unentbehrlichste wissen mag. Was aber sein Ceterum censeo betrifft, daß die Juden, wenn sie nicht zur Räson kommen, raus müssen, so hat es insofern seinen Zweck verfehlt, als sie teils schon zu ihr gekommen sind, teils aber keinen Paß kriegen, auch wenn sie die Mittel hätten, raus zu kommen. Die Vertreibung dieses radikalen Kampfrufs ist durch unsere brave SA. erfolgt, die seines Inhalts nicht vollständig. Selbst in diesem programmatischen Hauptpunkt macht sich ja noch der Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis geltend, der an den guten Reden so häufig auffällt, wenn sie die munter fortfließende Arbeit begleiten . Hitler kann den amerikanischen Judenschützern leicht versichern : Wir würden jedem Einzelnen ein Freibillett und einen Tausendmarkschein als Taschengeld mitgeben, wenn wir sie loswerden können. Er hat sich wohl nicht den Andrang derer vorgestellt, die da Topp ! sagen würden (oder auch »Gemacht !«) und die einen deutschen Mann beim Wort nehmen wollten, nichts anderes wünschend, als draußen dafür zu sorgen, »daß das falsche Gerede von Barbarei und Terror verstumme «. Schön wär’s ja, wenn zum Beispiel die Ausreise nach Österreich den Tausendmarkschein, den sie kostet , eintrüge. Jede Kreatur möchte frei leben gottgewollt , aber sie kann halt nicht immer, selbst wenn sie sich noch in keinem Konzentrationslager befindet.