Anfang Mai 1933 Mir fällt zu Hitler nichts ein. Ich bin mir bewußt, daß ich mit diesem Resultat längeren Nachdenkens und vielfacher Versuche, das Ereignis und die bewegende Kraft zu erfassen, beträchtlich hinter den Erwartungen zurückbleibe. Denn sie waren vielleicht höher gespannt als jemals gegenüber dem Zeitpolemiker, von dem ein populäres Mißverständnis die Leistung verlangt, die als Stellungnahme bezeichnet wird, und der ja, sooft ein Übel nur einigermaßen seiner Anregbarkeit entgegenkam, auch das getan hat, was man die Stirn bieten nennt. Aber es gibt Übel, vor denen sie nicht bloß aufhört eine Metapher zu sein, sondern das Gehirn hinter ihr, das doch an solchen Handlungen seinen Anteil hat, sich keines Gedankens mehr fähig dächte. Ich fühle mich wie vor den Kopf geschlagen, und wenn ich, bevor ich es wäre, mich gleichwohl nicht begnügen möchte, so sprachlos zu scheinen, wie ich bin, so gehorche ich dem Zwang, auch über ein Versagen Rechenschaft zu geben, Aufschluß über die Lage, in die mich ein so vollkommener Umsturz im deutschen Sprachbereich versetzt hat, über das persönliche Erschlaffen bei Erweckung einer Nation und Aufrichtung einer Diktatur, die heute alles beherrscht außer der Sprache. Daß der Versuch zu einer geistesgemäßen Verarbeitung der Eindrücke, die das Schauspiel unerschöpflich und erschöpfend bietet, daß diese starke und niederwerfende Problematik auch dem Selbsterhaltungstrieb Raum gewähren könnte, mag durch das Bekenntnis vor unerschrockenen Lesern wettgemacht sein ; umsomehr, als er doch offenbar auch einer Erhaltung geistiger Möglichkeiten diente, die vielleicht noch wichtiger wäre, als die unmittelbare Äußerung zum Geschehnis. Denn was bedeutet dieses sonst als eben die Gefahr, alles menschliche Denken dem Menetekel unterworfen zu sehen, dessen Gegenwart ihm kein Horizont, kein Abtritt mehr erspart ; als die immer wache Vorstellung einer brevis manus, die auch ausführt, was sie kündet. Das Wort, das ihr stehen wollte, entsteht zwischen der Notwendigkeit und der Vergeblichkeit ; schwerer belastet ist es und leichter ausgesetzt als der tägliche Angriff der unverantwortlichen Redakteure, überholt und behindert von den Effekten der beweglichen Kampfnatur ; verstrickt in das feindliche Zusammenwirken der Zufallsmächte, in diese Untrennbarkeit des Wirklichen und des Wörtlichen. Denn darin, was die Diurnisten der Geschichte bringen, ist bloß das Grauen enthalten : der Botschaft und des Boten, der sie verantworten soll ; sie melden, und wecken das Verlangen nach Sühnung der Tat im Wort. Nun erst werde Unsägliches gesagt ; und das gelänge nur bis zu dem Versuch, die Untauglichkeit des geistigen Mittels zu erweisen. Deshalb sollten die, die eine »Stimme« urgieren, sich bewußt sein, daß sie als Schrei noch aus erstickendem Chaos bestimmt ist, Sprache zu sein ; und daß ein Gestaltungswille, der von Natur dazu neigt, vom Stoff bewältigt zu werden, nicht Stellung nimmt, sondern Stand sucht im tausendfachen Ansturm eines Übels, das mit ihm leichter fertig würde als er mit ihm. Ist denn, was hier dem Geist geschah, noch Sache des Geistes ? Liegt nicht das Ereignishafte, das Erstmalige, in der Stellung, die das Ereignis zum Geist nimmt : anfechtend, wo es unanfechtbar bleibt ? Ist nicht, was ihn entwaffnet, mehr das Wesen als die Gefahr ? Und gibt es ein Mutproblem vor dem Exzeß der geodynamischen Natur, gewährt er nebst dem Gedanken an das Unglück der Irdischen einen andern als den : Denken in Sicherheit zu bringen ? Wenn es das Element nun insbesondere auf die Offenbarung unfreundlichen Denkens abgesehen hätte, ja auf den Anschein des Denkens überhaupt, so wäre der nicht feigherzig, der sich der Mahnung fügte, nicht in den Krater zu spucken, um sich andere Pläne vorzubehalten. Selbst der Dichter der Nation, deren Erweckung solche Vorsicht eingibt, er wäre es nicht mehr, wenn er heute die Anspielung wagte, daß des Tigers Zahn ein Kinderspiel sei gegen den schrecklichsten der Schrecken, den Menschen, der seine Landsmannschaft erlebt, den Heimatschein als Diplom erkennt und keinen Paß mehr hat, aber das besondere Merkmal : ein Deutscher zu sein. Da gibt es so viel zu staunen, daß man nicht leicht Worte findet. Um zu sagen, was geschah, kann es die Sprache nur stammelnd nachsprechen. Denn es ist ein Moment im Völkerleben, der insofern der Größe nicht entbehrt, als bei elektrischem Licht, ja mit allen Behelfen der Radiotechnik an den Urzustand angeknüpft wird und ein Umschwung in allen Lebensverhältnissen, nicht selten durch den Tod eintritt. Der Mensch holt vom Himmel seine Rechte, und davor sei Gott behütet ; Blut beweist sich durch Blut ; knechtischer Befehl bricht in Leben, Freiheit und Besitz, denn ihm sind Gesinnung und Geburt verantwortlich ; über Nacht geschah es ; und jede weitere Nacht lebst du in Erwartung ; »nach überstandener Gewalt versöhnt ein schöner Aufenthalt«. Viele Berufene kamen über wenige Auserwählte, und sind nicht alle befriedigt ; doch Ideale nahmen sie dazu, ihr Handwerk zu veredeln ; vom Grunde kam es, zu Grunde geht es, von einem mystischen Punkt ist der soziale Ausgleich regiert. Ordnung beginnt zu herrschen ; hält man sich die Ohren zu, hört man kein Stöhnen mehr. Es vollzog sich eine Reinigung der Säfte, ein Wandel, der die Handelsinteressen zwar berührt, aber nicht berücksichtigt, unbeschadet eines Aufsehens der Umwelt, worin sich Neid nicht ohne Schadenfreude kundgibt. Diese grundstürzende Veränderung, von der auch der Außenstehende noch benommen ist, da sie doch von gestern auf heute die brauchbarsten Knechte zivilisatorischen Betriebs in Feueranbeter und Bekenner eines Blutmythos verwandelt hat, daß sie schier nicht wiederzuerkennen sind ; diese Umwälzung, von Ideen bewirkt, so einfach wie das Ei des Columbus, bevor er Amerika entdeckt hat — wird sie gar von einem Verbrauch an Symbolen, Fahnen und Feuerwerkskörpern gefördert, wie ihn die Entwicklung noch nicht gekannt und nicht geahnt hat, ferner von einer Hypertrophie der geredeten und gedruckten Klischees, der der Äther und die Papierfabriken bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit genügen : so geht sie wie eine epidemische Gehirnerschütterung einher, der nichts, was noch Odem hat, widerstehen könnte und vor der sich der Abgewandte taktlos vorkommt wie nur einer, der beim Begräbnis der Menschheit den Hut nicht abnimmt.