Am liebsten bezöge ich sie von einer Vision, die dank jenem schon eröffnet, zwar nicht die Geburt des Menschen betrifft, jedoch den Untergang der Sprache, als des wahren Seins, welches Macht hat, diejenige zu entlarven, die das Volk heute spricht und die man einst dem Volk verdanken wird. Von welcher Welt Geist sie statt vom Weltgeist abstammt, es ließe sich leichter feststellen, als durchs Rassenamt »ob noch jüdisches Blut vorhanden ist«. Bis in alle Bastardierung durch den Kommerz und bis in den Betrug der alten Metapher durch eine neue Wirklichkeit. Und welche Enthüllung für den, der der Sprache nahekam, wäre überraschender⁠ ⁠? Welcher Anblick schlagartiger als der der Worthülse, die sich wieder mit dem Blute füllt, das einst ihr Inhalt war⁠ ⁠? Beglückend, wenn dies Blut nur metaphorisch ist⁠ ⁠: das Blut des Gedankens, der die Echtbürtigkeit des Wortes beglaubigt. Gorgonisch, wenn es der Aufbruch physischen Blutes ist, das aus der Sprachkruste zu fließen beginnt. Seht hin, wie die Erneuerung deutschen Lebens der alten Redensart zu ihrem unseligen Ursprung half — bis sie ihrer Verwendbarkeit im übertragenen Wirkungskreis verlustig wurde⁠ ⁠! Denn dem wahren philosophischen Sinn des Ereignisses⁠ ⁠: daß sich hier zum erstenmal, seit es Politik gibt, der Floskel deren Leben entband, und daß nun etwas wie blutiger Tau an der Redeblume haftet — solchem Sinn gehorcht auch die Metapher, welche man in ihre Wirklichkeit zurückgenommen sieht. Wenn diese Politiker der Gewalt noch davon sprechen, daß dem Gegner »die Faust zu zeigen«, »das Messer an die Kehle zu setzen« und »der Mund zu stopfen« sei, oder wenn sie überall »mit harter Faust durchgreifen« wollen und mit »Aktionen auf eigene Faust« drohen, so bleibt nur erstaunlich, daß sie noch Redensarten gebrauchen, die sie nicht mehr machen. Die Regierung, die »mit aller Brutalität jeden niederschlagen will, der sich ihr entgegenstellt«, tut es wirklich⁠ ⁠; »Ausstoßen aus der Deutschen Arbeitsfront« läßt das Brachium erkennen, mit dem ihr Machthaber an einer Kehlkopfverletzung beteiligt war⁠ ⁠; und vollends erfolgt die Absage an das Bildliche in dem Versprechen eines Staatspräsidenten⁠ ⁠: Wir sagen nicht⁠ ⁠: Auge um Auge, Zahn um Zahn, nein, wer uns ein Auge ausschlägt, dem werden wir den Kopf abschlagen, und wer uns einen Zahn ausschlägt, dem werden wir den Kiefer einschlagen. Es geschieht auch ohne diese Vorbedingung. Und diese Revindikation des Phraseninhalts geht durch alle Wendungen, in denen ein ursprünglich blutiger oder brachialer Inhalt sich längst zum Sinn einer geistigen Offensive abgeklärt hat. Keine noch so raffinierte Spielart könnte sich dem Prozeß entziehen, selbst nicht das entsetzliche »Salz in offene Wunden streuen«. Einmal muß es geschehen sein, aber man hatte es vergessen bis zum Verzicht auf jede Vorstellung einer Tatsächlichkeit, bis zur völligen Unmöglichkeit des Bewußtwerdens. Man wandte es an, um die brüske Erinnerung an einen Verlust, die unzarte Berührung eines Seelenleids zu meinen⁠ ⁠: das gibt’s immer⁠ ⁠; die Handlung, von der’s bezogen war, blieb ungedacht. Hier ist sie⁠ ⁠: Als sich der alte Genosse beim Kartoffelschälen einen tiefen Schnitt in die Hand zufügte, zwang ihn eine hohnlachende Gesellschaft von Nazi, die stark blutende Hand in einen Sack mit Salz hineinzuhalten. Das Jammergeschrei des alten Mannes machte ihnen großen Spaß. Wir anderen aber mußten dann das blutige Salz für das Gefangenenessen verwenden. Aber auch dies ist unvorstellbar, und da es geschah, das Wort nicht mehr brauchbar. Oder »mit einem blauen Auge davonkommen«. Nicht allen ist es jetzt im uneigentlichen Sinne gelungen⁠ ⁠; manchen im eigentlichen. Es war bisher eine Metapher. Und es ist wieder eine nur dann, wenn das andere Auge verloren ging⁠ ⁠; oder auch dann nicht. Und etwas, was wie die Faust darauf paßt, was also das Maß der Menschenwelt gern ablehnt, kann nicht mehr vorkommen, denn die Faust hat so oft aufs Auge gepaßt, daß es nichts Ungemäßes fortan bedeutet. Die Floskel belebt sich und stirbt drum ab. In allen Gebieten sozialer und kultureller Erneuerung gewahren wir diesen Aufbruch der Phrase zur Tat. Sie hat im Widerstreit mit dem technischen Fortschritt einen Weltkrieg durchgehalten, zu dem man das Schwert zog, um mit Gas bis aufs Messer zu kämpfen⁠ ⁠; die Verluste einer Revolution wird sie nicht überstehen. Darum gibt es nur eines⁠ ⁠: Kampf bis aufs Messer. Wir können noch weitere Nadelstiche vertragen. Jener sollte den deutschnationalen Verbündeten gelten und ist als solcher längst keine Metapher mehr. Diese sind noch eine, denn die Prozedur, die wohl auch vorkommen könnte, bleibt dem Peiniger erspart. Die Spießruten jedoch wie den Pranger, der seit dem Mittelalter vollends zum Blatt Papier zusammengeschrumpft war, haben sie allerorten in ihre Realität eingesetzt. Sie schreiten über ist da, aber was wie ein Bissen Brot fehlt, ist ein Bissen Brot. Man kann sie getrost beim Wort nehmen⁠ ⁠; sie halten es. daß »keinem Juden ein Haar gekrümmt wurde«, konnte sich behaupten, weil es nachweislich die einzige Form von Behandlung ist, die nicht geübt ward, während manchem die Kopfhaut mitging und mancher geschoren wurde zur Einbrennung des Zeichens, in dem die Idee gesiegt hat. Auch jene staatsmännische Phantasie, die in dem reichen Vorrat von Greueln, die sie ersonnen hat, ausgerechnet die Möglichkeit negierte, es sei einem ein Fingernagel abgehackt oder ein Ohrläppchen abgezwickt worden dürfte kaum mit der Wirklichkeit in Widerspruch geraten. Für den Nachweis der Fälle, wo es geschah, konnte getrost »ein Preis ausgesetzt« werden. Er dürfte so wenig zu gewinnen sein, wie der der Olympiade für das Gedicht auf Freiheit, Liebe, Schönheit und