Während es aber die Entwicklung dem Journalismus noch erlaubt, von seiner angebornen Fähigkeit, nicht Fisch und nicht Fleisch zu sein, jenen Gebrauch zu machen, der dem Erfordernis des Weltbürgerlichen entspricht, hat sich die sonstige Judenschaft bereits vielfach einem intransigenten Deutschtum hingegeben, das bei den Zuchtmeistern gar keinen Dank und nur geringen Anwert findet. Das Erstaunlichste an diesem Phänomen ist das völlige Außerachtlassen der Erwägung, daß man, wo Unterwerfung ohnedies nichts nützt, eigentlich auch schon Mut haben könnte ; ein völliges und im Grunde artfremdes Unvermögen des Berechnens der Rentabilitätsgrenze der Feigheit. Gewiß, jede Einzelaktion der Salvierung mag als erpreßt auch dort noch entschuldigt sein, wo Furcht der Drohung zuvorkam ; und manches Zeugnis individueller oder allgemeiner Wohlfahrt wäre vielleicht, über den tragischen Beweis der Bedrängnis hinaus, sogar als Ausdruck altruistischer Sorge zu deuten. Aber ist eine Solidarität der Erbärmlichkeit vorstellbar wie die von deutschnationalen Juden, also Trägern einer Mission, die doch schon in Friedenszeiten ein Oxymoron war, gleich jener Finsternis, da der Mond so helle schien und ein schneller Wagen langsam durch die Straßen fuhr ? Sie nennen sich, um sowohl dem Deutschtum gerecht zu werden wie den eigenen Belangen einer verkehrten Lesart : »nationaldeutsche« Juden, und sie haben gleich mehrsprachig ein ganzes Buch unter dem Titel Die Greuelpropaganda ist eine Lügenpropaganda ! erscheinen lassen, welches denn auch vom ‚Großdeutschen Pressedienst‘ als »Erfüllung einer natürlichen Ehrenpflicht« anerkannt wird : soweit man überhaupt von Ehre bei Juden reden kann. So objektiver Würdigung verstehen sie mit der Ausdauer zu begegnen, die ihnen vermöge ihrer Zugehörigkeit zum Deutschtum eignet und die das Angespucktwerden den Unbilden der Witterung zuzählt. Sie haben aber auch — und was wäre in einem Tollhaus nicht möglich, wo der Insasse den Pfleger überfallen kann, um bald darauf Ministerpräsident zu werden —, sie haben den Ausspruch eines Ungetüms vernommen, daß »die jüdischen Ärzte die Inkarnation der Lüge und des Betruges« seien . Vor solcher Orgie moralischer Begriffsverkehrung und angesichts des Umstands, daß schon mancher jüdische Arzt manchem arischen Morphinisten das Leben gerettet hat — welches Verhalten empfiehlt da der »geschäftsführende Vorstand « der Nationaldeutschen ? Wir dürfen uns dadurch, daß wir heute von unseren deutschen Volksgenossen nichtjüdischen Stammes (die wir als gleichberechtigt gelten lassen, denn wir sind nicht so) in einer Weise behandelt werden, die wir als schweres Unrecht empfinden müssen, nicht von dem geraden Wege abdrängen lassen, und dieser Weg ist die Entwicklung ins Deutschtum. Mitten hinein ! Doch mit Gewalt dürfte bei der SA. nichts zu richten sein, und die Lage der reicheren Juden zeigt ja auch, daß man solche Mittel gar nicht nötig hat. Der gerade Weg erschwert immer das Entgegenkommen, und Beharrlichkeit dürfte dort wenig Eindruck machen, wo die Feststellung : Die Erfindungen des Mikrophons, der Radioverstärkerröhre, die Stickstoffgewinnung aus der Luft, die Entdeckung des Lungenentzündungserregers, des Gonokokkus, die Syphilisbekämpfung, die Gefäßunterbindung, die experimentelle Pathologie, die Kinderheilkunde, die Entdeckung der Kathodenstrahlen, die Galvanoplastik, die individuelle Behandlung der Geisteskrankheiten usw. usw. sind Juden zu danken scheißegal ist. Wo namentlich die Behandlung der Geisteserkrankungen fruchtlos blieb, ja durch den Ausbau der Radiotechnik vielfach behindert wurde. Wo die Bekundung der Ansicht, daß das jüdische Genie nicht anders als das deutsche außer und über der Rasse geboren sei, beide verdächtig machen könnte. Wo der Standpunkt lebensgefährlich ist, daß, wenn jemals in einem Lebensbelang die Weisheit zutraf, dem Reinen sei alles rein , dies von der Rasse gelte, die es kaum physisch gibt und deren Begriff im menschlichen Denken keinen Raum mehr hat. Wo die Meinung letal verliefe, daß jenen Gesichtern, die sich heute in den illustrierten Blättern spiegeln, etwas Mischung gar nicht schädlich wäre, weil dann vielleicht einmal Besseres herauskommt. (Wiewohl sie den Kaschuben und Obotriten, den Polaben und Sorben, den Wenden und Wilzen und andern slawischen Stämmen keineswegs gut getan hat, da ihnen ja eben das preußische Geblüt entstammte, das heute so strenge Anforderungen an Rasse stellt. Doch man darf bekanntlich nicht generalisieren , und wem fiele es ein, die Rassentheorie aus dem Grunde zu bejahen, daß vielfach eine Verunreinigung jüdischen Blutes vorgekommen sei, wenn doch die Mischung nachweislich auch die geistigsten und schönsten Menschenexemplare ergeben hat.) Aber Juden, die den Drang haben, nationaldeutsch zu sein, stellen die Verbindung zweier Komplexe von Minderwertigkeit dar, die zu verdrängen wären. Sie machen im Berliner Tageblatt — dem Toleranz befohlen wurde (wenngleich nur ausnahmsweise) und das fürs weltbürgerliche Bedürfnis sogar die Leistungen jüdischer Gelehrter hervorhob — die Offerte, durch Annäherung an den deutschen Volkscharakter Eigenschaften zu entwickeln, die ureigentlich nicht zum Erbschatz ihrer Rasse gehören also etwas zu leisten, wozu sie eigentlich gar nicht verpflichtet wären. Aber es wird nicht verlangt, nicht begehrt, nicht gewürdigt, und darum sollte sogar noch die Eigenschaft der Zudringlichkeit abgelegt werden, welche ja eher den Verdacht erweckt, daß sie zum Erbschatz gehöre. Es ist ein starkes Stück, sich an einen Volkscharakter annähern zu wollen, dessen Vertreter entweder : »Juden raus !« rufen oder dem Versuch der Befolgung an der Landesgrenze entgegentreten, indem sie häscherhaft, wie auf der Spur eines frisch entdeckten Verbrechens, mit dem Alarm ins Kupée stürzen : »Sind Sie Jude ?« Wenn ja, so hat man dort zu bleiben, wo Aberkennung der Staatsbürgerschaft und etwa noch Entziehung von Lebensmitteln erfolgt. Die Erbötigkeit, da noch etwas zu »entwickeln« und anderes als Abscheu und Scham für eine entehrte Menschheit, macht den Petenten fast der Behandlung würdig. Die Einrichtung einer besondern Badezeit — abgesehen von der Gemeinsamkeit des Blutbads — hat aber den »Ehrenvorsitzenden« der Nationaldeutschen vielleicht in der Einsicht bestärkt, es handle sich um Sonderaktionen irgendwelcher einzelnen Leute, wie sie sich in jedem Volke und in jeder Organisation finden, die die Gelegenheit benutzt haben, persönliche Rachegefühle gegen einzelne jüdische Personen, mit denen sie aus irgend einem Grunde Differenzen hatten, in ihrer Weise zu erledigen . . . Jedenfalls haben wir deutschen Juden, und zwar ohne jeden Unterschied der besonderen Gefühlsrichtung, durchweg die Überzeugung, daß auf Seiten der Regierung und der Leitung der NSDAP. der ernste Wille besteht, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Er möchte noch »ausdrücklich hervorheben«, daß der Protest gegen die Greuelpropaganda nicht etwa unter irgendeinem Zwang, sondern aus eigenem Antrieb erfolgte weil wir überzeugt waren, daß durch diese Hetze unserem Deutschland schwer geschadet wird und geschadet werden soll. Ferner, weil nebenher — ich hebe ausdrücklich hervor, daß dieser Gesichtspunkt für uns nur sekundärer Natur ist — auch uns in Deutschland lebenden Juden durch diese angeblich in unserem Interesse verübte Hetze ein ganz außerordentlich schlechter Dienst erwiesen wird. Ist es das Dokument einer Gesinnung, das Ergebnis der raffiniertesten Vergewaltigung, oder beides zugleich ? Wenn es ein jüdisches Dokument ist, so ist es doch auch ein deutsches Kommuniqué : die Kunstfertigkeit, Sachverhalte aufzuklären, bis das Gegenteil einleuchtet, Tatbestände im Wortschleim zu ersticken, Unrecht zurechtzumachen, den Elephanten zur Mücke, den Mord zur Meinungsverschiedenheit und den Einbruch bayrischer Nationalsozialisten zu einer Schießerei, die nach Wolff aus bisher nicht bekannter Ursache an der deutsch-österreichischen Grenze zwischen österreichischen Heimwehrangehörigen und einer Gruppe bisher noch unbekannter Personen entstand. Kaum ermeßbar, was dieser Typus leistet, wenn er die Belagerung eines Landes als »interne Angelegenheit « vor der Welt zu vertreten hat. Es ist die Methode des Generalstabs wie die der Redaktion ; so sprach der Berliner Anwalt über »Literatengezänk «, so spricht der Lügner vor dem Weltgericht über die Schießerei und der jüdische Ehrenvorsitzende über Differenzen. Er legt ausgerechnet noch eine Lanze für das »bodenständige Bayerntum« ein und versichert schließlich, er habe sich stets dagegen gesträubt, wenn Herr Professor Einstein durchaus zum deutschen Gelehrten gestempelt werden sollte. Immer schon habe er erklärt die deutschen führenden Juden würden es begrüßen, wenn er seinen Schreibtisch und seine Sternwarte nach Jerusalem oder irgendwo nach Amerika verlegen wollte, da die Wissenschaft durch diesen Ortswechsel nichts verlieren und das Deutschtum nur gewinnen könnte. Naumann heißt er und hat es im Neuen Wiener Journal gesagt. Den Antisemitismus, den es nicht wahr haben will, rechtfertigt es zehnfach. Die Erkenntnis, daß die Greuelpropaganda eine Lügenpropaganda sei , bleibt unbedankt, mag sich in ihr die Assimilation an eine Moral, die die Wahrheit zur Lüge stempelt, an die Spielart des Doppellügners, auch als noch so gelungen zeigen. Aber der mesquine Typus, der zu eigener Sicherung das Leid des andern verleugnet, gehört dieser Region und dieser Zeit. Er läßt nur noch eine Hoffnung, die in einer letzten Entschuldigung beruht : daß die französischen Bischöfe das Zeugnis deutscher Juden nicht als Entkräftung werten , sondern als Bestätigung einer Not, die sich noch ihren Widerruf erpressen ließ, ja dessen eigenen Antrieb dazu.