Der Unterschied liegt nur in einer ethischen Instrumentierung, derengleichen nicht bekannt war, als jener Macbeth den Schlaf gemordet hat. Erschüttert und gespannt verfolgt die Welt, die noch in Denkformen läuft, diesen Wettkampf der Worte mit den Taten, der Taten mit den Worten, des Ausgangs harrend. Hält sie sich mehr an die Worte und deren kriegerischen Sinn, so wird ihr die Antwort, man müsse das Reich mehr nach den Taten beurteilen⁠ ⁠; verweist sie auf diese, so wird die Reichstagsrede zitiert. Beruft sie sich auf den Widerspruch, so sind es Begleiterscheinungen, die den Kern der Revolution nicht berühren können, welche legal ans Ruder gelangt ist⁠ ⁠; überdies sei eine Evolution in Aussicht genommen, denn die Revolution ist abgeschlossen und ihre gewaltigen Erfolge gebieten Ehrfurcht, aber sie steht erst an ihrem Anfang und was bis heute geschehen ist, ist bloß ein Kinderspiel, vorerst müssen die Kommissare weg, und wenn verantwortungslose Elemente eingreifen, so geht uns aus dem Wege, sonst räumen wir euch aus dem Wege und übernehmen dafür auch die volle Verantwortung. Unter solchen Umständen zieht es die Welt wieder vor, sich an die Worte zu halten, und begnügt sich, um für die Greuelpropaganda hinreichend informiert zu sein, mit deren jeweiliger Aufklärung wie insbesondere mit der Versicherung, daß die Partei bisher Großmut bewiesen habe, die von den Gegnern als Schwäche ausgelegt wurde. Die Taten, die nun folgen, sind bloß die begreifliche Reaktion auf die Besorgnis der Welt wegen der Taten. Dadurch ergeben sich neue Mißverständnisse, welche einige Verwirrung hervorrufen, die aber schließlich doch eine gewisse Übersicht gewährt, umso leichter als täglich Richtlinien ausgegeben werden. Das geht so von der Feststellung an, daß alles was geschah zur Rettung vor den Kommunisten geschah, angefangen vom Reichstagsbrand, der durch sie geschah. Es erfolgen die Warnungen vor den Einzelaktionen, von denen die Führer abrücken, zu deren Urheberschaft sie sich bekennen und die von den Gegnern unternommen werden. Sieht das nicht alles nach satirischer Verkürzung aus⁠ ⁠? Aber sie stammt von der Wirklichkeit, durch welche der Tatgedanke, morphinistisch befeuert, in solchen Sätzen jagt⁠ ⁠: Wenn jetzt viele sagen, ich hätte in meiner Essener Rede wo jeder Schuß autorisiert wurde das Signal gegeben zur Disziplinlosigkeit, ja sogar das Signal, plündern zu dürfen oder ähnliches mehr, so verwahre ich mich dagegen. Aber ich bin nicht so feige gewesen, abzurücken von dem, was sie getan haben, sondern ich habe es gut geheißen. Und wenn sie im Überrausch der Ereignisse gefehlt haben, so haben wir Führer die Schuld. Denn wir haben das so gepredigt. Wir werden weiter säubern, unerbittlich⁠ ⁠! — — ausrotten — — Und kein Haar gekrümmt⁠ ⁠! Es kommen die Streifzüge der Braunhemden, bei denen Braunhemden erbeutet werden, die jene anlegen, um Streifzüge unternehmen zu können und wohl auch jeweils den, der die Entdeckung ermöglicht. Es kommen die Greuel, die durch Trophäen offenbart werden und eben jene Propaganda zur Folge haben, deren »heute feststellbares Ende« an dem Tag wahrgenommen wird, wo sie beginnt. Verwirrung der Sinne, Verwirrung des Gefühls, das den Boykottag als Tag der nationalen Ehre empfindet und selbst nicht den Abbruch als Schmach. Und von jeglicher Niederlage bis zum Triumph der Sinnentäuschung — immer die gleiche Antinomie der Erscheinungen, die sich aber gerechterm Erwägen und tieferm Eindringen unschwer als Polarität des Wesens herausstellt, an dem die Welt zu genesen fürchtet. Kein Zweifel, zwischen der handelnden und der redenden Funktion des Deutschtums besteht kein Verdacht einer Mitwissenschaft, ja selbst innerhalb der Rede keine Verabredungsgefahr. Es liegt im Wesen, es ist weltanschaulich und kann durch Einwirkung von Morphium oder Alkohol höchstens in den Formen beeinflußt werden. Diese eigenartige, weil arteigene Stellung zur Tatsächlichkeit, identisch mit der schon im Weltkrieg beobachteten »Mentalität«, die so zum Dementieren des Handgreiflichen neigt, sie wäre vom Außenstehenden gar nicht zu erfassen, wenn er sich scheute, das Irrationale heranzuziehen und dessen Verankerung im Quartär für richtiggehend zu halten. Solcher Denkart, die selbst durch ihr Handeln nicht so verblüffen kann wie durch die Gleichzeitigkeit der Abrede, in die es gestellt wird, ist im weiten Umkreis ihrer Schrecken ein einziger Widerpart erstanden. Einer hat gegen die körpernahe Drohung der Lüge Tat und Witz ausgespielt. Der unbekannte Zivilist⁠ ⁠: Auf dem Kurfürstendamm drangen dieser Tage in ein bekanntes Geschäft SA.-Leute ein. Sie benahmen sich äußerst gefahrdrohend und der Sohn des Besitzers lief, während sein Vater im Laden festgehalten wurde, um Polizeischutz. Er rief der Schupostreife zu, in seinen Laden seien Kommunisten eingedrungen. Vor den SA.-Leuten wiederholte er, er halte sie für verkleidete Kommunisten und Provokateure, da sich, wie aus den amtlichen Berichten hervorgehe, die SA. gesittet und gesetzmäßig benehme. Nach längeren Verhandlungen blieb der Schupo schließlich nichts übrig, als die SA.-Leute aufs Polizeirevier zu bringen. Nie gab es bessere Geistesgegenwart. Hätten alle den Einfall gehabt, darauf zu bestehen, daß Lüge Wahrheit sei, die deutsche Welt sähe anders aus und den Gläubigen des Irrationalsozialismus würde nicht die niederschmetternde Enthüllung, daß ihre Wahrheit Lüge war. Und erspart bliebe uns der Erdendreh, der sich von gestern auf heute vollzieht⁠ ⁠: von der Verklärung des Schlachtentodes zu der Ansicht, daß »jeder Krieg Wahnsinn« sei⁠ ⁠; von dem total unblutigen Verlauf einer Revolution, von dem Protest gegen das »falsche Gerede von Barbarei«, zu der authentischen Lesart⁠ ⁠:Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt,Geht’s uns noch Mal so gut. Es hat sich zwar als Trugschluß herausgestellt, ist aber als Marschlied mit ausgesprochener Coué-Wirkung erhalten geblieben und dürfte die Quintessenz dessen darstellen, was, als »SA-Geist« berufen, teils als Charisma, teils als Lebensgefahr gedeutet, teils von Wehrlosen, teils von Machthabern gescheut wird und Religionsphilosophen wie Benn und Binding interessiert, aber nicht fesselt. Daß die, die es singen, noch mit der Prämisse flunkern sollten, wenn schon der Schluß nicht eintrat⁠ ⁠; daß es nur eine harmlose gefährliche Drohung wäre, indem es uns zwar nicht noch mal so gut, aber den Juden nicht schlimmer geht⁠ ⁠; ja unsere Notlage geradezu ein Beweis, daß das mit dem Messer nur Aufschneiderei ist — für solche Lügner, die so wolffbüromäßig eine Parole erklären sollten, kann man die Betrogenen denn doch nicht halten und den einzigen Punkt des nationalsozialistischen Programms, der ehrlich und konsequent verwirklicht wurde, nicht auch noch in Zweifel ziehen. Die Betrüger freilich möchten gerade ihn vor der Welt verleugnen, der sie »Krokodilstränen« (die in Hitler-Versammlungen wirklich gesehen wurden) um »das hundertfach verdiente Verbrecherschicksal einer kleinen Minderheit« vorwerfen, der Welt, die sich aber aufheiterte, als sie — am 6. August — zugleich die Versicherung empfing⁠ ⁠: Bei der nationalsozialistischen Revolution sind noch keine 20 Menschen ums Leben gekommen. Wenn das wahr ist, wäre die Parole Lüge und die wirtschaftliche Not Deutschlands erklärt. Da ich aber allein von einer Familie weiß, die mit fünf Mitgliedern, also mindestens dem vierten Teil, zu diesem Gesamtverlust beigetragen hat und noch etwa zehn Einzelfälle kenne, so würde sich — ohne Vermutung weiterer Möglichkeiten und vorausgesetzt, daß die offiziellen Angaben (Wolff und »Conti«) Greuellügen waren wie daß keines der tausend Todesfakten, die via London etc. gemeldet wurden, wahr ist, ja daß nicht einmal das Blutbad von Köpenick stattgefunden hat, das als solches schon die Zahl erreicht — so würde sich mein Wissen annähernd mit einer Tatsächlichkeit decken, die eine Nation umfaßt. Schwerer als ich hat es Amerika mit der Kontrolle der Angabe, die es vom Führer empfangen hat und die bloß die Sicherheit autoritativer Bürgschaft bietet. Leicht dagegen könnte es die Verläßlichkeit einer anderen gegenständlichen Versicherung prüfen, die keine Tatsache betrifft, sondern ein Versprechen. Der Führer, an dem nunmehr auch ein katholischer Geistlicher die göttliche Sendung erkannt hat und dem man zwar den Irrtum einer Angabe — falsche Information durch untergeordnete Organe —, aber doch keine unwahre Zusage imputieren könnte, hat sich schon einmal den Amerikanern gegenüber bereit erklärt, reisewilligen Volksverderbern die Tausendmarktaxe draufzuzahlen⁠ ⁠; diese haben jedoch, offenbar am oder im Vaterland hängend, keinen Gebrauch gemacht. Nun hat er, abermals in einem Interview, an die völlig einleuchtende Formulierung, daß die Haltung der Außenwelt gegenüber Deutschland diesem so unverständlich sei, »wie es Deutschlands Wiedergeburt der Außenwelt zu sein scheint«, die erweiterte und offenbar bindende Erklärung geknüpft⁠ ⁠: ich sage noch einmal, wir zahlen Fracht und Spesen und geben ein kleines Bankkonto dazu, wenn ihr sie haben wollt⁠ ⁠! Das Problem der Emigration macht den Staaten über alles hinaus zu schaffen, was Menschlichkeit vor der erwürgten Existenz von hunderttausend leiblich Geretteten zu leisten vermag. Werden sie es verschmähen, die Großmut des Würgers beim Wort zu nehmen⁠ ⁠? Sie könnten es mit gutem Gewissen tun, da das kleine Bankkonto in vielen Fällen von einem zurückbleibenden größeren abgezogen würde. Man darf nicht zugeben, daß von der konkreten und feierlichen Zusage, ein Entkommen statt zu hindern noch zu fördern, nichts als die Ausflucht dessen bleibt, der sie gemacht hat, und daß Hoffnung nur der Hohn des Unglücks war. Die Außenwelt mag Deutschland verstehn oder nicht verstehn — sie darf es nicht dulden, noch in ihrem eigenen Rayon belogen zu werden. Was nicht durch Wolff gesprochen wurde, hat wahr zu sein⁠ ⁠! Heraus mit Fracht, Spesen und kleinem Bankkonto⁠ ⁠! Juden raus⁠ ⁠! Metapher wurde Wirklichkeit — umgekehrt wird nicht gefahren⁠ ⁠! Die Welt nimmt beim Wort, wenn es ihr direkt gesagt war. Freilich, unser Bundesleiter Proksch, der ohne Bankkonto entkam, hat den Kernspruch geprägt⁠ ⁠: Worte, durch die Tat auf ihren Gehalt geprüft, erweisen sich nicht immer als der Ausdruck der Wahrheit. Und mit dem Gehalt geht oft noch die Pension verloren. Doch warum macht man nicht wenigstens beim Herrn Ley die Probe, der zwar ein Mann der Tat ist, aber in Genf auf den Anwurf, daß »zehntausende deutscher Arbeiter in Gefängnissen und Konzentrationslagern schmachten« zu erwidern wußte, er lehne es ab, »auf ein so niedriges Niveau herabzusteigen«, jedoch insofern in die Materie einging, als er sagte⁠ ⁠: Man kennt Deutschland nicht. Ich lade darum gern die ganze Gruppe auf meine Kosten nach Deutschland ein, um sich die Konzentrationslager anzusehen und sich ein Bild von Deutschland zu machen. Warum geht man auf so etwas nicht ein, natürlich unter der Bedingung, daß die Inspektion ohne Ansage erfolgt⁠ ⁠? Gewiß, auch Gauleiter sind Würdenträger, die zur Tagesordnung schreiten, und angesichts der Chance, die jener Marschgesang eröffnet, können sie indigniert sein, wenn sich der Gegner »zu der Behauptung verstieg, daß in deutschen Gefängnissen Blut fließe«. Doch Worte sind nicht wie Taten abzuleugnen, bei denen der Partner nicht dabei war⁠ ⁠; der Rede, die es versuchen wollte, kann das Zitat antworten. So wäre die Ausflucht der Unblutigen vielleicht durch dieses zu hemmen⁠ ⁠: Unsere Bewegung hat Tod, Blut, Wunden und Tränen gebracht. Laßt sie nicht im Kitsch verkommen. Wie das siebente Gebot gegen diesen lautet. Aber nein, es ist nicht das Geständnis nationaler Mörder, sondern bloß das Bekenntnis nationaler Märtyrer, daß sie nicht deutsch können⁠ ⁠; denn sie meinen wohl nicht das Blut, das die Bewegung »gebracht«, sondern das sie gekostet hat. Wie immer dem sei, sie rühmen sich auch dessen, was sie leugnen, und auch Schießen ist ein Gebot.