Welche Lage wäre denn schwieriger als die, in der sich den Zeitumständen gegenüber das Gehirn befindet, und wären sie auch nicht durch landschaftliche Weiterungen verwickelt ? Wenn es sich aber vollends um eines handelt, das sich durch eine Angabe von den letzten Tagen der Menschheit — im besten Glauben — terminmäßig festgelegt hat ! Immer noch rezeptiver als produktiv, empfängt es mit dem Ungeheuren die Überraschung der Wiederkehr, die Gefahr der Steigerung, vergebens immer wieder auf die shakespearesche Formel gestützt, die Schmerz und Trost so schön verbindet :Gott, wer darf sagen : schlimmer kanns nicht werden ?S’ist schlimmer nun, als je.Und kann noch schlimmer gehn ; ’s ist nicht das Schlimmste,Solang’ man sagen kann : dies ist das Schlimmste. Und doch macht solches Denken die Wehrlosigkeit mit wie nur eines, das nicht einmal diese auszudrücken vermöchte ; es erlebt mit dem Verhängnis der Dinge das ihres Wachstums, den Wettlauf der Satire mit dem Stoff, der in triumphaler Ahnungslosigkeit die Form vollendet und ausspielt, deren Nachbildung nicht mehr möglich ist, deren Abbildung nicht mehr geglaubt wird, deren Undenkbarkeit zum Fehler des Bildners wird. Solcher Fluch der Empfänglichkeit versagt ein Erlahmen, gewährt der Vollkraft, täglich hundert Reizungen zu erliegen, und verlängert doch nicht den Tag, der den Syllabus sprachlicher, moralischer und sozialer Missetaten verlangte. Imstande sein, am Auswurf der Welt ihr Übel zu erfassen, von der unscheinbarsten Oberfläche jeweils das letzte Ende tätiger und leidender Menschheit — solches Vermögen erlebt sich als Opfer, solche Fülle als Mangel, solches Gemüt neidet dem Schlichten die Erlösung, deren er nicht bedurft hat. Abhängig von allem Nichts, gebannt von jedem Tropfen der Sündflut — wie sollte es sich den Wunsch verdenken, einmal wie die zu sein, die das Sichtbare nicht sehen, das Unmögliche für unwirklich nehmen, oder doch wie solche, denen gegeben ist, nicht zu sagen, was sie leiden ! Wäre ihm denn die Notwehr verwehrt, der Hypertrophie dessen, was es schon geschaut und gezeichnet hat : des wortumlogenen Greuels, der Entehrung der Wahrheit im Heiligenschein der entehrten Sprache, der Prostituierung von Leben und Tod an den Zweck, der täglichen Todsünde wider Geist und Natur, Schranken der Aufnahmsmöglichkeit, Grenzen des Gestaltungswillens zu errichten ? Ich habe durch mein ganzes Nichtwirken hindurch mich der Presse, der ich doch allen Beweis gegen ein von ihr korrumpiertes Dasein entnahm, als der enthaltsamste Leser bedient, in Scheu vor jedem Anlaß, ein Leben, genährt im Schoße der impia mater, zu anatomieren — und bewahre hunderttausend Dokumente ihrer mittelbaren oder unmittelbaren Schuld, Nachzügler, so bildfähig für alle Mißgestalt der Zeit wie die zur Glosse gereiften. Wenn’s mir aber gelang, noch den Alpdruck von Tat und Bericht dieser letzten Gegenwart durchzustehen, dieser letzt-endlichen Gleichschaltung von Untergang und Aufbruch, des blutlebendigsten Erfolges der Redensart, der jemals weltgeschichtlich wurde — wie wäre ich dem Stoffe gewachsen ? Wenn er die Gestaltungslust nicht lähmte, sondern beflügelte — wie vermöchte sie die Formenfülle dieser dritten Walpurgisnacht zu meistern ? Daß der Tod, dem Schlagwort entbunden, die erste und letzte Wirklichkeit ist, die das politische Leben gewährt — wie würde dies Erlebnis schöpferisch ? Das Staunen vor der Neuerung, die mit der Elementarkraft einer Gehirnpest Grundbegriffe vernichtet, als wären schon die Bakterienbomben des entwickelten Luftkriegs im Schwange — könnte es den Sprachlosen ermuntern, der da gewahrt, wie die Welt aussieht, die sich beim Wort genommen hat ? Rings nichts als Stupor, Gebanntsein von dem betörenden Zauber der Idee, keine zu haben. Von der Stoßkraft, die den geraden Weg nahm von keinem Ausgang zu keinem Ziel. Von der Eingebung eines Vierjahrtausendplans, daß das menschliche Paradies gleich hinter der Hölle des Nebenmenschen anfängt und alles Leid dunkler Ordnung, mit Begriffen wie Transfer und Rediskont, sein Ende hat in einem illuminierten Chaos ; in dem chiliastischen Traum entfesselter Millennarier : Gleichzeitigkeit von Elektrotechnik und Mythos, Atomzertrümmerung und Scheiterhaufen, von allem, was es schon und nicht mehr gibt ! Rings nichts als Staunen vor dem Wunder einer Staatswirklichkeit, die bis zum Paragraphen aus dem Rausch geboren ward, für die Volkswirtschaft versorgt mit dem Judenboykott und darüber hinaus mit den Weisungen der Norne Verdhandi, welche das Seiende regelt. Ich frage mich, wie solche Erhebung nicht deprimieren sollte, was an geistiger Entschlußkraft in einem Gemüt noch vorhanden und von den Strapazen der Kriegs- und Nachkriegsjahre nicht verbraucht war. Beim Weltuntergang will ich privatisieren.