Doch könnte freilich er sich wieder auf Platen berufen, der ja ein noch besserer Dichter und Deutscher war und nicht bloß nachgedichtet, sondern gedichtet hat, was zwar nicht den Juden gilt, aber sich gleichfalls auf Rußland bezieht⁠ ⁠:Mag zu Staub uns auch zerschmetternJener Sklaven Legion,Unter morscher Särge BretternKeimt die neue Blume schon⁠ ⁠!Wenn das letzte Schwert zerbrochen,Laßt zu Grab uns freudig gehn,Aber einst aus unsern KnochenWird ein Rächer auferstehn⁠ ⁠! Wie gut hier das »exoriare ex ossibus ultor« zum deutschen Reim wurde⁠ ⁠! Doch mehr als das⁠ ⁠:O, kommt im Verein,Ihr Männer, o kommt⁠ ⁠!Vernehmt, was alleinDen Geächteten frommt⁠ ⁠!Zieht aus von dem LandDer Geburt, zieht ausUnd schleudert den BrandIn das eigene Haus⁠ ⁠! Also ganz die Gesinnung, die Benn so tadelnswert findet. Und so sprechen die Flüchtlinge⁠ ⁠:Aus den Hütten, die der Schnee bestiebte,Sammelt euch um dieses Feu’r, Geliebte,Laßt in freien Worten Trost uns suchen,Unsern Würger im Gesang verfluchen.— — — — — — — — — — — — —Kranz des Ruhms, von Vätern einst erworben,Bist du wirklich völlig abgestorben⁠ ⁠?Baum der Freiheit, den wir einst begossen,Wirst du nie mehr aus der Erde sprossen⁠ ⁠?Waren nicht auch wir ein Volk, wie eines,Sind wir würdig schon des Leichensteines⁠ ⁠?Darf der Unhold uns zu Grabe senden,Unsre Habe wie ein Dieb entwenden⁠ ⁠?— — — — — — — — — — — — —Schuldbewußt verdammt der ÜberwinderSelbst die junge Wißbegier der Kinder⁠ ⁠;Daß sie nicht im Ehedem sich spiegeln,Läßt er selbst der Bücher Schatz versiegeln.— — — — — — — — — — — — —Doch zum Himmel steigen unsre Klagen,Fern hinab durch alle Zeit sie tragenWerden Dichter einst, durch alle Lande⁠ ⁠:Ewig währt o Wütrich, deine Schande.Trüge nicht des Menschen Seele Waffen,Hätte Gott die Welt umsonst geschaffen,Und der Erdball, über den wir schleichen,Wär’ ein Spiel für dich und deines Gleichen⁠ ⁠!Doch es wird’s der Sohn, der Enkel büßen,Was wir ächzen unter deinen Füßen⁠ ⁠:Kommen wird ein Leu mit goldner Mähne,Der zerbricht dem Krokodil die Zähne⁠ ⁠! Und dies⁠ ⁠:Wie Mancher wähnt den Feind zersplittert,Indes die Nemesis umwittertDes Siegers Zelt.Triumphe sind wie Niederlagen⁠ ⁠:Wenn ihre Frucht besteht in Klagen,Im grenzenlosen Haß der Welt. Und dies⁠ ⁠:Bricht dir nicht entzwei die Schulter,Nicht entzwei die mürbe Schulter⁠ ⁠?Ganz Europa’s Haß belastetDeine Schulter, Autokrator⁠ ⁠! Und das⁠ ⁠:Den Gott zu spielen,War Der im Stand,Der, vor so VielenGeehrt und prächtig,So viel vermochte⁠ ⁠;Doch unterjochteEr jedes Recht⁠ ⁠:Er war allmächtigUnd war so schlecht⁠ ⁠!Er baute TempelDem Teufel selbst⁠ ⁠:Nun soll den StempelEr auch empfangen,Der große Quäler⁠ ⁠:Es sei’n die MälerIhm aufgebrannt⁠ ⁠;Er hat’s begangen,Er ist erkannt.— — — — — — — —Von Schmach und GräuelEntwirrt sich ihmEin langer Knäuel.Doch kein VerbrecherIst ihm vergleichbar,Dem unerweichbarDer Busen schwoll.Geuß ihm den Becher,Megära, voll⁠ ⁠! Daß es deutsche Sprache ist, die solche Empfindungen tragen kann, wird selbst Benn nicht leugnen, wiewohl hier die Sache Polens gegen Rußland geführt wird. Aber an Kraft verwandt ist ihr der Text, den ein französisches Blatt als die Widmung wiedergab, mit der ein amerikanischer Offizier Lilien auf ein von Fremden vielbesuchtes Grab in London gelegt hatte⁠ ⁠: Si le soldat inconnu anglais pouvait parler au poilu américain, il lui dirait qu’il préfère cette simple fleur à la couronne d’un dictateur assassin qui souille ce mémorial. Der deutsche Dichter jedoch fühlte zu Zeiten, daß Schweigen die noch stärkere Antwort ist, wenn es den Eigenen galt⁠ ⁠:Zusammen pack’ ich meine Habe,Und was im Busen mir gedieh⁠ ⁠;Denn länger nicht mehr frommt die Gabe,Die mir ein milder Gott verlieh.— — — — — — — — — — — —Im Dunkel muß der Geist sich bergenDamit’s die Blöden nicht verstehn,Dann mag er mitten durch die SchergenWie ein erhabnes Wesen gehn.Der mörderische Censor lümmeltMit meinem Buch auf seinen Knien,Und meine Lieder sind verstümmelt,Zerrissen meine Harmonien.So muß ich denn gezwungen schweigen.Und so verläßt mich jener Wahn⁠ ⁠:Mich fürder einem Volk zu zeigen,Das wandelt eine solche Bahn.Doch gib, o Dichter, dich zufrieden,Es büßt die Welt nur wenig ein,Du weißt es längst, man kann hieniedenNichts Schlechtres, als ein Deutscher, sein. Sein Vaterland hat ihm trotz der Rasse jenen Heine vorgezogen, der ihn mit der Schmach belud, daß er ihm eine heute normhafte Arteigenheit nachsagte, aus der sich vielleicht das schwüle Ineinander von Mystik und Manneszucht erklärt. Platen bescheidet sich in einem seiner edlen Sonette, daß »man Bessere bekröne« (unter die er freilich jenen nicht gezählt hat), ihn aber ziehen lassen möge⁠ ⁠:Ja, daß man mir mein Vaterland verpöne⁠ ⁠! Und er fragt⁠ ⁠:Was habt ihr denn an eurem Rhein und Ister,Um neben dem Hellenenvolk zu thronen⁠ ⁠?Journale, Zeitungsblätter, Recensionen,Tabak und Bier und Polizeiminister⁠ ⁠?Die nie ihr kanntet jene zwei Geschwister,Freiheit und Kunst, die dort in schönern ZonenAufs Haupt sich setzten der Vollendung Kronen,Ihr haltet euch für Griechen, ihr Philister⁠ ⁠? Kulturstand derer, die »gestümpert nach vielen Seiten haben«⁠ ⁠:In einem Ozean von AlbernheitenErscheinen ein’ge geniale Schwimmer. Er weiß wie Goethe um die Entfernung, die die deutsche Sprache von der Sprache der Deutschen trennt, das Volk der Dichter von eben diesen. Er kann es mit der Sprache sagen, als deren Patriot, der nicht Kompatriot ist⁠ ⁠:Wo mir zerrissen sind die letzten Bande,Wo Haß und Undank edle Liebe lohnen,Wie bin ich satt von meinem Vaterlande⁠ ⁠! Er kennt die Gegend, wie Hölderlin mit seinem Fluch⁠ ⁠: »Barbaren von altersher, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden«⁠ ⁠:Dies Land der Mühe, dieses Land des herbenEntsagens werd’ ich ohne Seufzer missen,Wo man bedrängt von tausend HindernissenSich müde quält und dennoch muß verderben.— — — — — — — — — — — — — — —Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte.Weit klüger ist’s, dem Vaterland entsagen,Als unter einem kindischen GeschlechteDas Joch des blinden Pöbelhasses tragen. Hundert Jahre später bilden deutsche Professoren Spalier, wenn der Bücher Schatz versiegelt wird, und folgen dem Kommando zum Fest des Volks der Knechte⁠ ⁠: Universität
Johann Wolfgang Goethe,

Frankfurt.
Frankfurt, den Mai 1933 Das Studentenfreikorps lädt die Gesamtheit des Professorenkollegiums zu der Verbrennung der marxistischen und korruptionistischen Schriften ein, die Mittwoch abend, den 10. Mai auf dem Römerberg stattfinden wird. Die Studenten würden es im Hinblick auf die große symbolische Bedeutung dieser Zeremonie begrüßen, die Gesamtheit der Professorenschaft dort zu sehen. Ich lade daher die Kollegen ein, zahlreich daran teilzunehmen. Abmarsch⁠ ⁠: von der Universität auf den Römerberg Mittwoch abend um 20 Uhr, mit Musik. Die Korporationen werden in Uniformen daran teilnehmen, ebenso die SA-Bataillone. Der Rektor⁠ ⁠: Krieck.
Wie sagt doch Nietzsche⁠ ⁠? »Ein Zeitalter der Barbarei beginnt, die Wissenschaften werden ihm dienen⁠ ⁠!« Und »die Wendung zum Undeutschen« sei »immer das Kennzeichen der Tüchtigen unseres Volkes gewesen«. Schon Platen war dahin entschlossen⁠ ⁠; und er sprach wie Hölderlin »für alle, die in diesem Lande sind und leiden, wie ich dort gelitten«. Sein Abmarsch vollzog sich so⁠ ⁠:Ihr, denen Bosheit angefrischt den Kleister,Um Unverstand mit Ungeschmack zu kitten,Bei denen bloß der Pöbel wohlgelitten,Der täglich toller wird und täglich dreister⁠ ⁠: wenn »einst der Unfug dieser Lügengeister jedwedes Maß phantastisch überschritten«, zu spät würden sie ihn, dessen Seele sich abgewendet, zurückbitten⁠ ⁠:»Nie wird er mehr die Alpen übersteigen,Und sein Geschäft ist unter uns vollendet⁠ ⁠Ja, meine ganze Rache sei das Schweigen⁠ ⁠! Man kann aber nicht annehmen, daß er heute schweigend in der Akademie ausgeharrt hätte⁠ ⁠!