Daß man in Österreich den leiblichen Vertreter solcher Sendung unerwünscht findet, entspringt einem Entschluß, der Unterstützung und nicht Hemmung verdient durch solche, die ihm (letzten Endes ) die Rettung eines politischen Pensionistendaseins, im eigentlichsten Sinne, verdanken werden ; die es wissen, aber Pharisäer genug sind, um anders zu bekennen und die Wirksamkeit gegen ein Übel zu stören, zu dessen Abwehr sie sich zu schwach wissen. Das muß — gemäß der Gradheit des begrüßten Schrittes einer Begrüßung — klipp und klar gestellt sein, und koste es auch Mut gegen eine verlogene Grundsätzlichkeit, der er fehlt. Denn hätte sie ihn, so hätte sie den »Gegebenheiten«, die sie öfter heranzieht, damit Versagen taktisch werde, längst durch Erkenntnis und Bekenntnis Rechnung getragen : daß der Manko an Macht durch den Überfluß an Phrasen kommt ; daß die Kriegszeit für Manöver nicht geeignet ist ; und daß man sich zum erstenmal einer politischen Wirklichkeit gegenüberbefindet, jener, die eine Politik, die vom Tun redet, beim Wort, beim Mord genommen hat. Viel von dem, was war, ist nicht geblieben. Aber es bliebe ein Wert zu sichern : die Einsicht, daß nun einmal, weil die Gelegenheit 1918 verpfuscht ist ; weil die Sozialdemokratie den Frieden verloren hat und eben darum die Niederlage verantworten muß ; weil man zum Sündenbock wurde durch eigene Schuld ; weil der letzte Begriff von Freiheit verklungener und vertaner ist als holde Musik, und alle Quantität zu schwach, ihn wiederzugewinnen ; weil »Kampf« zur Phrase wurde, mit der uns diese ewigen Doktores des Parteiübels anöden — die Einsicht : daß in solchem Fall die Anweisung, mit »Trutz« spazieren zu gehn , Schmierenregie einer Volksbühne ist, die bessere Zeiten gesehn hat, und daß man mit dem Problem, ob die drei Pfeile nach außen und oben oder nach innen und unten zu tragen sind , keinen Hund vom Ofen lockt ! Wenn der Reichstag gebrannt hat und alle, die ihn nicht angezündet haben, bereits in Schutzhaft geschunden werden, macht selbst ein Protest mit der Unterschrift Es lebe die Freiheit ! Das Büro der Zweiten Internationale welches das Dritte Reich nicht verhindern, aber herbeiführen konnte, so wenig Eindruck wie das feierliche Gelöbnis des Bürovorstands , auf den »Anschluß« endlich, obschon mit Vorbehalt des Traumes von »Großdeutschland«, zu verzichten — so glaubhaft auch, einzig unter allem glaubhaft, die Beruhigung wirken mag : Wir bleiben die Alten ! Auch trifft in dem populär gehaltenen Gespräch zwischen dem trutzigen Karl und dem mit Recht miesmachenden Franz (der Kanaille) dieser den Nagel auf den Kopf, wenn er beginnt : Gut schau’n wir aus. Jener jedoch, mit der Drohung : Heut is es wieder ein wirklicher Kampf und dabei kommt’s auf jeden einzelnen an . . . Wenn man uns angreift, wehren wir uns . . . Einschüchtern lassen wir uns nicht ! scheint eher an die noch volkstümlichere Entschlossenheit des Schneiders Zwirn zu gemahnen : »Schuster, wann i anfang, wann i anfang — i fang aber net an ! « Durchaus ehrenwert, denn als Pazifist und Demokrat mag er und soll er Gewaltmethoden verpönen. Aber in Versammlungen »Disziplin« verlangen für eine Entscheidung, die uns Gottseidank erspart bleibt, indem wir uns doch längst gewöhnt haben, sie »ohne uns über uns « treffen zu lassen ; so tun als ob, jetzt erst recht und trotz alledem, wiewohl dessenungeachtet, weil nichtsdestoweniger und wenn schon ; bis zum letzten Hauch von Mann und Führer zur Redensart stehn, deren Inhalt oder einziger Sinn doch nur das Blut sein kann, das wir mit Recht nicht sehen können — das weckt auf die Dauer, diese endlose Dauer, die Vorstellung einer politischen Jammergestalt, die mit allem phraseologischen und taktischen Aufwand doch nicht der lebendigen Entschlußkraft des einen Sätzchens fähig wäre, das die politische Sachlichkeit, die psychologische Sicherheit und die formale Präcision hatte, einen Bann zu brechen. Einer, der dem kulturellen Ziel beider Gegenwelten fern, aber dem sozialen Sinn dessen, was gewollt und nicht gekonnt wurde, näher steht als dem Inhalt mancher Notverordnung, darf nicht leugnen und nicht verleugnen : das Kaliber solcher Parteigröße reicht trotz Wut und Spott nicht an das Maß dieses Dollfuß , den eben die leibhaftige Antithese zu der Fähigkeit, den deutschen Koloß in die Tasche zu stecken, vor Europa beglaubigt. Gewiß, das Wundermotiv der Walpurgisnacht :Ein leuchtend Zwerglein ! Niemals noch gesehn ! droht in Speichelleckerei auszuarten, und berufsmäßige Gegnerschaft mag ihm bloß die Deutung abgewinnen (die sich dort findet, wo sich im Taumel über Abgründe jegliche Weisheit und Warnung findet) :Homunculus ist es, von Proteus verführt ;Es sind die Symptome des herrischen Sehnens . . . — keineswegs besteht Gefahr, daß die stärkste Energie, die sich seit Menschengedenken in Österreich aufgerafft hat, erliegen könnte, wenn jener Proteus es mit der Gemütlichkeit versucht. Es war nur ein unerwünschtes Zwischenspiel, als das christlichsoziale Organ — zwischen dem Ende des Zentrums und der totsicheren Aussicht auf das eigene — jener unappetitlichen Lockung aufsaß ; als es von dem »andern Ton «, dem schamlosen Lob der Briganten für die Polizei, benommen schien und für den schon die Palme bereit hatte, der aus dem österreichischen Nationalsozialismus einen Faktor österreichischer Politik formen hilft . . . Die Führer der österreichischen Regierung und ihre Freunde würden die letzten sein, die ihre Unterstützung versagen. Aber die ersten, die im Konzentrationslager säßen. Es war natürlich Wasser auf die Papiermühle jener, die nicht müde werden, die Leistung des Mannes zu verkleinern , der trotz zu häufigem Gedenken des »Bruders« nicht daran denkt, für dessen Anbrüderung den Gewinn europäischer Position preiszugeben, und gegen feindliche Komplimente so widerstandsfähig bleibt wie gegen brüderliche Bomben. Doch die andere Kraftprobe ersparte ihm schon der nächste Tag, als dank dem Prinzip autoritärer Unverantwortlichkeit und totaler Zerrissenheit der Proteus des andern Tons wieder der andere war, das offizielle Friedensanbot als nicht offiziell widerrufen wurde und durch die offiziellere Sendung ersetzt, in der die Briganten der Polizei Mißbrauch der Gesetze vorwarfen.Nötigt sie herabzusteigen !Sie verbergen in den ZweigenIhre garstigen Habichtskrallen, Euch verderblich anzufallen,Wenn ihr euer Ohr verleiht. Immer von neuem es zu versagen, dem entfesselten Koller, der einem Lande das heilloseste aller Abenteuer aufdrängt, vor täglichen Attacken gewachsen zu sein, das erfordert Umsicht, Ausdauer und Tapferkeit, wie sie kaum der Vertreter eines größeren Österreich aufgeboten hätte. Wer solche Eigenschaften bewährt, dem sollten sie anerkannt sein trotz allem Drang, politische Gegensätzlichkeit zu bekunden, und trotz allem Hang, eine Kultursatire zu üben, die der Respekt vor der Tat zurückschlägt. Ich sehe ja auch nicht gern, wie sich ihr Vollbringer unter den Klängen der Bundeshymne von unserem Penklub-Ehrenpräsidenten geleiten läßt (weil doch mindestens dieser dabei ans Gotterhalte denkt). Seiner Erklärung wieder, es gebe nichts in der Vergangenheit noch in der Gegenwart Österreichs, dessen sich der Österreicher zu schämen hätte , kann ich mindestens für den Zeitraum von Vergangenheit, den ich mitgemacht habe, nicht zustimmen. Das läßt sich freilich bloß nach individuellem Empfinden beurteilen, welches, für das angebrochene Säkulum, für den Ausgang der Monarchie, für Kriegszeit und Republik niemals einer Regung von Scham sich zu entwinden vermochte über den Verrat kulturellen, menschlichen und landschaftlichen Wertbestands an eine Maffia politischer und journalistischer Freibeuter, wie sie keine Gemeinschaft je hervorgebracht und geduldet hat ; und welches, soweit es überhaupt dazu neigt, dem Staat Beziehungen zum Menschentum einzuräumen, zum erstenmal sich jenem zugewendet fühlt. Es ist nicht leicht, dergleichen zu bekennen, es fällt schwer, die Werkstatt seiner Eindrucksbildung zu öffnen, und doch gelingt es einem Satiriker, der seiner Funktion sich hinreichend sicher weiß, um nicht nur alles zu bemerken, was sich am Novum österreichischer Tatkraft breit macht, sondern um auch die Witze, die der sozialdemokratischen Journalistik dazu einfallen, als sein geistiges Eigentum zu erkennen. Scherz beiseite ! Denn er hat dem Anstand zu weichen, wenn nicht dem Respekt vor Bemühungen, mit denen sichtbar, unter konstanter Todesdrohung, der Sache aller gedient wird. Meine Polemik ist umfassender ; und beschränkt sich, trotz Normen und Formen, derzeit auf ein Treiben, das ihrer und damit der Selbsterhaltung spottet. Daß ich gegen Dollfuß keiner satirischen Anwandlung fähig bin — während mir zu Hitler im Zuge der Betrachtung vielleicht doch etwas eingefallen ist — ; daß ich trotz den »Letzten Tagen der Menschheit « einen Spott verschmähe, den ich jüngeren Talenten vermacht habe, damit sie ihn bei Lebensgefahr gegen den Retter verwenden : solches mag sie noch verlocken, ihn gegen mich zu kehren. Dann dürften sie ihre Wunder erleben, wie ich ihn zu reklamieren vermag ! Ich überschätze Herrn Dollfuß außerhalb dessen, was er im Hauptpunkt sichtbar leistet, keineswegs ; aber er unterschätzt sich, wenn er Vergleiche heutiger vaterländischer Notwendigkeit mit der von 1914 zieht . Damals hätte das Vaterland besser getan, nicht aufzustehen, sondern in Lethargie zu verharren ; in den »heiligen Verteidigungskrieg«, den ihm die Fibel nachrühmt, zieht es erst zwanzig Jahre später. Was ihm heute, was seiner Arbeiterschaft droht, wissen ihre Wortführer so gut wie ich, nur haben sie nicht einmal den geringen Mut, es zuzugeben. Wohl sagen sie, daß ihnen »Ehrlichkeit gegenüber den Massen als eine der wichtigsten Aufgaben« gilt , aber sie unterlassen es, sie zu leisten. Daß ich die Erkämpfung der vitalen Grundlage einer »Freiheit« — selbst mit ihrem Opfer — für nützlicher halte als die Spiegelfechterei derer, die sie verplempert haben, ist bei einem Publizisten vielleicht nicht so erstaunlich, der sein Leben lang nichts anderes getan hat, als Sachverhalte nicht zu verleugnen, und vor allem gegen solche, die es taten und deren Metier ist, es zu tun. Daß ich mich insbesondere — denn Sachverhalte der Tageswelt ändern sich leider und zeitigen »Widersprüche«, während die Dummheit prinzipiell ist und ausgesorgt hat — daß ich mich zu Österreich bekenne, wenngleich noch immer ohne den leisesten Verdacht einer Ambition, daß Österreich sich auch zu mir bekennt : es brauchte gar nicht erst mit einem Wirken verknüpft zu werden, dessen Reduzierung auf die »Negation« einen der ödesten Gemeinplätze dieser öffentlichen Meinung bildet. In Wahrheit hat es niemals bloß durch Zerstörung zerstörender Mächte, sondern auch »positiv« — konservierender und tätiger als alles Offizielle — jenen Geisteswerten gedient, deren Anschluß an ein scheinbar sprachverbundenes Barbarentum dem wahren Teufelswunsch entspricht ; und es bleibt mit solcher Feststellung seiner selbst sowohl der Möglichkeit entrückt, den Erinnerungsbesitz für eine nicht vorhandene sozialistische Kunst hinzugeben, wie sich den Kulturbelangen österreichischer Gegenwart zuzuneigen, die ich nach wie vor in Verdacht habe, daß sie beim christlich-germanischen Schönheitsideal hinauswollen. Um das Geistesleben ist es mir nicht zu tun — das besorge ich schon selbst ! Aber es geht darum, daß die Basis des Lebens gesichert wird, welche mir durch eine Beeinträchtigung der Preßfreiheit keineswegs alteriert erscheint. Nicht einmal durch die Reduzierung der Titel, den Griff an den Lebensnerv der Meinungstyrannis, die Bändigung der Gehirnparasiten ; durch ein kulturbewußtes Wagnis, zu dem mehr Mut gegen die Presse gehört als der von Gleichschaltern, die, den Ausdruck eigenen Willens erpressend, der Kritik entzogen bleiben — Tat und Wohltat, für die jede Seite der ‚Fackel‘ Vorwort und Dank enthält ; und deren Wirkung im erstickten Marktschrei wie im knirschenden Verdruß der Händler vernehmbar wird. Jetzt müßte nur noch die Reduzierung des Textes folgen, und alles wäre in Ordnung ; wäre sie vordem und überall auf der Welt erfolgt, diese hätte keinen Krieg zu bereuen und keinen Hitler zu fürchten. Ich teile die fortschrittliche Meinung, daß derlei bisher weder im liberalen noch im absolutistischen Österreich möglich war : die Entschlossenheit, die ohne demokratisches Bedenken das Gesetz der Trägheit bricht und gegenüber dem Verhängnis zeigt, daß halt doch etwas zu machen ist. Ich betrete mit dieser Wahrnehmung beiweitem nicht das Feld der Politik, sondern im Gegenteil das der Logik. Die bereiteste Abwehr gegen die Restauration einer Geistigkeit der Lorbeerreiser, der stärkste Widerstand gegen ein System, das die Arbeiterschaft für die Sünde ihrer falschen Befreier büßen lassen wollte, hat vor der Anerkennung des Einmaleins, das ihr das Leben rettet, zu verzichten. Was diese meine Haltung betrifft, so wird sie, weil ich bei der Sozialdemokratie untendurch bin, vielleicht aus dem Wunsch erklärlich, bei den Christlichsozialen obenauf zu sein ; sicher aber aus dem Erlebnis, daß zum erstenmal die Kongruenz des Einzelinteresses, welches auf Bewahrung der Daseins- und Wirkensmöglichkeit abzielt, mit dem Staatswillen erkennbar wird, und daß eine Regierung, die ihn vollzieht, sich nützlich macht — während eine Partei, die ihn mit doktrinärem Mumpitz aufhält, sich unnütz macht, wie man dort zu sagen pflegt, wohin ihre Sehnsucht so lange tendiert hat.