Doch der Mörder bleibt ohne Ahnung der Tat wie ihrer Wirkung, und er hat eine Art, sie in den Bereich der Menschheit zurückzunehmen, die ihm wirklich deren Sympathien gewinnen müßte. Es geschah ja doch alles im guten Glauben, welcher darum auch von der Welt verlangt wird, die erfährt, wie ein Fall, hingestellt als eine der grausigsten Bluttaten nach einem Verzweiflungsausbruch des Ermordeten, sich in Wahrheit abgespielt hat⁠ ⁠: Dr. Ernst Eckstein, der als einer der ersten politischen Funktionäre in Schutzhaft genommen wurde — also geradezu ein Akt der Protektion — konnte sich nur schwer mit den Bedingungen der Haft abfinden . . . Man hatte ausgesprengt, diese Bedingungen wären Zwangsarbeit unter Kolbenstößen, Peitschenhieben ins Gesicht, Einnahme von Ricinus, Teilnahme an Sprechchören, und was dergleichen Mißverständnisse mehr sind. Gab es doch auch gelegentliche Rundfahrten durch die Stadt in einem niedrigen Rollwagen, angeblich unter dem Gejohle nationaler Kämpfer, während andere Zuschauer erschüttert weinten. Noch vor 14 Tagen war er bei Arbeiten für das Breslauer Konzentrationslager beschäftigt. Keineswegs »im«⁠ ⁠; eine Art Bürotätigkeit. Freilich nicht ohne körperliche Ertüchtigung, die der tatkräftige Heines, der selbst einst ein Beispiel gegeben hat, für seine Schutzbefohlenen vorsieht. Einer von diesen behauptet⁠ ⁠: Er mußte schwere Steine karren und wurde, wenn wir anderen Ruhe hatten, zum Reinigen der Latrine kommandiert. Während er in deren Inhalt herumwühlen mußte, wurde er Besuchern des Lagers gezeigt. Doch, wie das schon so kommt, trotz solcher Ablenkung überließ er sich kopfhängerischer Schwermut, zu der er offenbar neigte. In einem Anfall, nämlich von seelischer Depression verübte er in seiner Zelle einen Selbstmordversuch. Zuletzt verweigerte er die Aufnahme von Nahrung, so daß sie — man wollte ihn dem Leben und der Arbeit erhalten — ihm künstlich zugeführt werden mußte. Man tat das Erdenklichste. Ärzte wurden herbeigeholt. Sie führen sein Ableben in erster Linie auf die freiwillige Selbstaufgabe zurück die er leider wichtigeren Aufgaben, die seiner harrten, vorzog. Man hatte ihn, kombinierte die Greuelphantasie, von Breslau nach Oels gebracht (Sitz des Kronprinzen), wo ihm »in stundenlangem Prügeln Lungen und Nieren zerschlagen wurden«⁠ ⁠; er wimmerte die ganze Nacht⁠ ⁠; es hieß anscheinend sei er im Kopf nicht mehr ganz in Ordnung . . . . Man brachte ihn seiner unglücklichen Mutter . . Sie ließ ihn in die Irrenanstalt an der Einbaumstraße überführen⁠ ⁠; dort ist er dann bald gestorben. Die geringe Widerstandskraft der Inhaftierten gibt oft zu Klagen Anlaß. Kaum ist einer ein paar Stunden im Lager, heißt es bereits⁠ ⁠: Er mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Manche erweisen sich schon auf dem Transport dahin als »zur Inschutzhaftnahme nicht fähig«, und es muß der Weitertransport ins Krankenhaus erfolgen. Wiewohl die Fahrt im offenen Auto angetreten war, vorbei am Spalier einer frohbewegten Menge. Die Wahrnehmung, daß einer sich schon in diesem Stadium als »haftunfähig« herausstellt, erfolgt nicht ohne einen gewissen Vorwurf. In solchem Fall wird auf Grund von Aussagen der Begleitmannschaft der folgende amtliche Bericht (der Bochumer Polizei) ausgegeben⁠ ⁠: Sein Körper weist eine Anzahl Schlagwunden auf. Auch wurden teilweise Besinnungs- und Bewußtlosigkeit konstatiert. Zur Zeit besteht Lebensgefahr. Unter welchen Umständen die Verletzungen entstanden, war bisher nicht festzustellen, da noch Vernehmungsunfähigkeit vorliegt. Die Organe, die die Verhaftung vorgenommen hatten und den Mann nicht aus der Hand ließen, standen vor einem Rätsel⁠ ⁠; er kam nicht wieder zu sich, und der Fall ist unaufgeklärt geblieben. Die gewissenhafteste Ermittlung führt manchmal zu keinem Resultat. Wirtschaftsfaktoren müssen bekanntlich oft »wegen Verdachtes der Untreue«, einer höchst tadelnswerten Eigenschaft, in Schutzhaft genommen werden⁠ ⁠; einer zeigte sich noch beim Transport unzuverlässig, denn er brachte sich am Arm und an der Schläfe Verletzungen bei, die jedoch nicht lebensgefährlich sind. Was eben auch vorkommen kann. Besonders schwer hat man es mit den Politikern. Manche Abgeordnete, die sich bloß auf dem Weg in den Reichstag befinden, noch nicht einmal in die Schutzhaft, werden spitalsbedürftig. Immer wird solches mit einer gewissen Teilnahme festgestellt. Einen bulgarischen Arzt, der aus der Schutzhaft herauskam, aber Spuren der Bemühung aufwies, die man an ihn gewandt hatte — er war als Ausländer bloß durch drei Tage behandelt worden und überdies durfte seine Frau dabei sein — also man brachte ihn im Auto weg und die Begleitperson fragte teilnehmend⁠ ⁠: Hat man Sie geschlagen⁠ ⁠? Ach, wie peinlich⁠ ⁠! Zuweilen wird nicht ohne Bedauern festgestellt, der Gesundheitszustand lasse zu wünschen übrig. In vielen Fällen wird freilich Wehleidigkeit beobachtet. Ein polnischer Arbeiter zum Beispiel brüllte so laut, daß es über das ganze Lager hin gehört wurde, später erfuhr man die Ursache⁠ ⁠: . . er ist an Herzschwäche gestorben und war übrigens staatenlos. Die meisten sterben eines natürlichen Todes. Oft wird Erschöpfung konstatiert⁠ ⁠; zuweilen ein Schwächeanfall, in dessen Folge einer drei Stockwerke tief in den Hof des Dienstgebäudes hinabstürzt, und die Aufsichtsperson beklagt die Unvorsichtigkeit, einem offenstehenden Fenster nahezukommen. Nicht selten erfolgt auch ein Nervenzusammenbruch, namentlich bei Reisenden, an denen dann Selbstmord verübt wird. Was diese Todesart betrifft, so erscheint sie einfach unverständlich, wenn sie sich vor der Verhaftung vollzieht, für welchen Fall nur bemerkt werden kann⁠ ⁠: Über die Beweggründe zur Tat ist nichts bekannt. Bei Oberfohren vermutet man, er habe sich den Besitz einer Denkschrift über den Reichstagsbrand zu Herzen genommen. Wenn sich aber hartnäckig Gerüchte behaupten, daß der Tod von anderer Seite herbeigeführt wurde, so bleibt dort, wo tatsächlich das Grauen vor dieser Welt den Schritt herbeigeführt hat, die Feststellung nicht ohne Eindruck⁠ ⁠: Es liegt einwandfrei Selbstmord vor. Entsprechende Aufklärung fand auch einer der Zwischenfälle auf dem Münchner Gesellentag, wo ein Priester infolge der Erregung über einen Zusammenstoß auf der Straße einem Schlaganfall erlag. Einer unnatürlichen Deutung desselben — mit Bruch der Schädelbasis — widerspräche schon die Meldung⁠ ⁠: Die Polizeipräsidenten von Krefeld und von München-Gladbach haben die Abschaffung der Gummiknüppel angeordnet, mit der Begründung, daß diese Waffe eines Kulturvolkes unwürdig ist. Während das rückständige Österreich sich ihrer gegen Bombenwerfer noch bedient. Völlig rätselhaft und eher wieder auf Lebensüberdruß hinweisend erscheint den untersuchenden Behörden die Auffindung dreier aneinander geketteten und mit Steinen beschwerten Wasserleichen. Durch alle Fassungen, in denen solche Unfälle berichtet werden, klingt ein ehrliches Bedauern mit, daß manche Konstitution, namentlich der Intelligenzberufe, sich den Strapazen des Umsturzes nicht gewachsen gezeigt hat oder auch daß so viele Menschen heutzutage durch Sorgen, Aufregungen, Unmäßigkeit, die natürliche Dauer ihres Daseins abkürzen. Beklagenswert erscheint aber vor allem, daß der Sinn der Schutzhaft so häufig mißverstanden wird, indem sie zu Äußerungen des Unmuts und der Ungeduld führt, wiewohl sie doch lediglich dazu bestimmt ist, den Funktionär oder Privatmann vor Gewalttätigkeiten zu schützen, die ihn in der Freiheit treffen könnten⁠ ⁠: Politiker vor der erregten Volksmenge, Anwälte und Ärzte vor erbitterten Klienten und Patienten, Rundfunkintendanten vor unzufriedenen Hörern. Noch nie vielleicht hat es ein Zeitalter gegeben, wo ein so intensiver staatsbürgerlicher Schutz ausgeübt wurde, dessen wohltätige Absicht jedenfalls auf ein besseres Verständnis Anspruch hätte. Daß ein marxistisches Vorleben oder mosaische Geburt den Verdacht einer strafbaren Handlung in sich schließt, wird kein Einsichtiger leugnen. Zur Abwendung der Folgen tritt eben die Schutzhaft ein, welche aber erst nach Abschluß einer individuellen Überprüfung in der SA.-Kaserne bewilligt wird, deren Zweck laut polizeilicher Verordnung eindeutig bestimmt ist⁠ ⁠: Die Festgenommenen sollen zunächst einem nationalen Verband zugeführt werden. Der nationale Verband hat die Aufgabe, zur Unterstützung der politischen Polizei die Festgenommenen eingehend über ihre Straftat vorbereitend zu vernehmen. Dann erfolgt entweder die Ablieferung ins Spital oder, wenn sich die Haftfähigkeit herausstellt, in das Lager, wo die Behandlung des Falles im Rahmen der Gemeinschaft vollzogen wird. Man ersieht daraus, daß eine eingehende Vorbereitung angeordnet ist, und wie unbegründet demnach die Beschwerden sind, daß angebliche Übergriffe durch SA.-Organe ohne Genehmigung der maßgebenden Behörde vorkämen. Die Zuziehung (und in deren Folge Anlegung) des Verbandes geschieht zur Entlastung der politischen Polizei, die vollauf damit beschäftigt ist, falsche Pässe für Mörder, die nach Österreich reisen, auszustellen, die Einreisegebühr, deren Härte beklagt wird, in solchen berücksichtigungswerten Fällen aufzuheben und schließlich die Feststellung durchzuführen, daß es nicht wahr sei. Während sich diese Männer jenseits der Grenze den größten Gefahren aussetzen, läßt man den Schädlingen der nationalen Erhebung noch Schutz angedeihen, dessen Mißbrauch freilich die Erschießung auf der Flucht nach sich ziehen kann, welche in die Stirn erfolgt und den Unvorsichtigen vor Wiederholung des Versuches bewahrt. Den Vertretern der Presse, die sich von der mustergültigen Einrichtung der Anstalten überzeugen konnten, wurden zwar derartige, nur im äußersten Fall notwendige Maßnahmen nicht vorgeführt, wie sie auch nicht Gelegenheit bekamen, den sonstigen Übungen, die mehr interner Natur sind, beizuwohnen. Wohl aber durften sie nach einer Kostprobe aus der Gefangenhausküche noch Zeugen der Freilassung einiger Gefangener sein. Aber was hilft diese⁠ ⁠? Sie kommen ja doch wieder⁠ ⁠! Das Berliner Tageblatt kann noch knapp vor seinem Konkurs die aufsehenerregende Meldung bringen⁠ ⁠: Nicht wenige bereits wieder in Freiheit gesetzte junge Leute sind freiwillig wiedergekommen und haben um Weiterbeschäftigung gebeten . . . Sie pfeifen auf die Freiheit, seitdem sie die Zucht kennen und schätzen gelernt haben. Hatte man sich schon vorstellen können, daß so ein Lager seiner Anlage gemäß mehr der Konzentrierung als der Zerstreuung diene, so erfuhr man nunmehr auch, daß es mit den Institutionen des Gottesdienstes und des staatsbürgerlichen Unterrichts, wie der Hausordnung nach, einem Internat zu vergleichen ist. Offiziell war verlautbart worden, es seien »nach den bestehenden Vorschriften ausgesprochene Erziehungsanstalten«, und Aufgabe der Presse war es, dem pädagogischen Moment nachzugehn, denn vom innerpolitischen Gesichtspunkt ist vor allen Dingen die Frage wichtig, ob in diesen Lagern Erziehungsarbeit geleistet wird. Na und ob⁠ ⁠: Nach den bisherigen Erfahrungen kann die Frage uneingeschränkt bejaht werden bemerkt die Presse, die vielleicht sonst für sich selbst eine gewisse Einschränkung wahrzunehmen hätte. Darum wählt sie die schlichte Definition, das Konzentrationslager sei eine zeitweise Freiheitsbeschränkung mit erzieherischem Ziel.Vielfach kann man aber auch von einer seelischen Gesundung sprechen. Ja man muß geradezu. In Dachau hat man sogar die Wahrnehmung gemacht, daß die Kommunisten, die verbissen in das Lager kamen, nach einiger Zeit wieder Gefallen an guten und vaterländischen Liedern fanden. Besonderer Beliebtheit erfreut sich »Ich hatt’ einen Kameraden«. Kurzum, die vaterländischen Erinnerungen gewinnen die Oberhand falls diese nicht gerade anderweitig beschäftigt ist, und heute sind die Kommunisten ganz andere Menschen als zu der Zeit, da sie eingeliefert wurden. Während diejenigen, die frisch eingeliefert werden, mürrisch, verstockt und vergrämt sind. Natürlich ist nicht gemeint, daß sie bei der Einlieferung noch frisch sind und später verstockt werden, sondern umgekehrt. Nach einer Erziehungskur von einigen Wochen werden auch sie andere Menschen sein. Manchmal soll schon ein Tag genügen⁠ ⁠; darüber können sie freilich selbst nichts aussagen, erstens weil sie nicht dürfen, und dann auch, weil die psychische Verwandlung, die oft schlagartig erfolgt, nicht selten Bewußtlosigkeit oder doch Gedächtnistrübung zur Folge hat und das Staunen über das Ungewohnte auch Sprachstörungen nach sich ziehen kann. Es genügt aber die Aussage der Pressevertreter, es habe sich bei ihnen der Eindruck befestigt daß Deutschland auch auf diesem Gebiete nichts zu verbergen hat und daß sich die Gefangenen über nichts zu beklagen haben. Es geht alles wie am Schnürchen, zuweilen wie am Strick. Jeder Verrichtung ist ihre Zeit zugewiesen. Halb sechs Uhr Wecken, bis sechs Uhr Betten machen. Sie sind zwar unverkennbar aus Stroh, welches aber nicht weniger als einmal in der Woche erneuert wird. Sechs Uhr Antreten. Bis halb sieben Entgasung, Entlüftung. Die Hygiene läßt nichts zu wünschen übrig. Arbeitsdienst, Exerzieren, Zapfenstreich (neun Uhr) füllen den Tag aus⁠ ⁠; die Erziehungskur mit sonstigen Streichen erfolgt zwischendurch⁠ ⁠; der staatsbürgerliche Unterricht aus »Mein Kampf«. Hier herrscht noch Ordnung, draußen in der Freiheit gehts drunter und drüber, da ist jedermann Führer und Geführter zugleich und macht auf eigene Faust, was derselben einfällt. Dort steht der Mensch dem Irrationalen gegenüber, hier nur den Aufsichtspersonen. Hier will man Wankende »ertüchtigen, um sie wieder zu vollwertigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu machen«, dort herrscht deren Auswurf. Da somit Dachau, Dürgoy und Sonnenburg nicht bloß Internaten gleichkommen, sondern geradezu an Sanatorien hinanreichen, wenngleich mehr die mens sana angestrebt wird, so wurde angeordnet, für die Vorteile, die der Staat durch solche Einrichtungen dem Pflegling gewährt und deren Spesen sonst der Allgemeinheit zur Last fielen, eine entsprechende Gebühr festzusetzen. Stuttgart, 23. Juni. Von zuständiger Seite wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Schutzhäftlinge gesamtschuldnerisch für die Kosten der Schutzhaft haften. Das bedeutet die Haftung jedes einzelnen Schutzhäftlings für die gesamten Schutzhaftkosten. Wird sie in Anspruch genommen, so hat der Staat im Wege der Umlage ein Rückgriffsrecht gegen die anderen Schutzhäftlinge . . Zur Deckung der Schutzhaftkosten sind daher gegen eine Reihe vermögender Schutzhäftlinge in der Zwischenzeit Zahlungsbefehle in Höhe von rund 100.000 Reichsmark ergangen. Wenn der Wohlhabende, der auf die erste Klasse Anspruch hat, sich weigert, einen Scheck zu unterschreiben, so droht ihm die dritte Klasse, doch zumeist reicht ein Verhör aus, die Unterschrift des Schecks herbeizuführen⁠ ⁠; bei entsprechender Aufzahlung soll auch schon Austritt aus der Anstalt erfolgt sein, freilich ohne jede Gewähr für das weitere Fortkommen. Man sieht, wie nach dem Gesichtspunkt einer Sozialpolitik, die alle staatlichen Maßnahmen bestimmt, man auch in diesem Zweig der Verwaltung darauf bedacht ist, die Unbemittelten günstiger zu stellen, denen nach wie vor gratis oder doch zu mäßigen Bedingungen der Aufenthalt inklusive Verpflegung und Behandlung zuteil wird, auf Kosten der Reichen, die Sanatoriumspreise zahlen. Daß sie dem Gebotenen durchaus angemessen sind, davon haben sich die Vertreter der Presse überzeugen können. Beträge, die die Insassen beim Eintritt etwa noch bei sich haben, werden in »Lagergeld« umgewechselt, für das sie sich in der Kantine sogenannte »Kleinigkeiten« kaufen können, Nahrungssurrogate und dergleichen, und dessen Scheine nebst dem Emblem des Stacheldrahts die Unterschrift dreier Folterbankdirektoren tragen. Viel bemerkt wurde auch die Neuerung, daß ein ständiger Austausch der Insassen zwischen den Lagern erfolgt, womit man bemüht ist, den Klagen über Eintönigkeit des Milieus abzuhelfen, vor allem aber dem Personal eine gewisse Abwechslung zu verschaffen und mit ihr Gelegenheit, die Erfahrungen an der Individualität des Pfleglings zu bereichern. Eine Einrichtung, die freilich dem Laien, dem sich ja überhaupt leicht der Magen umdreht, als eine der raffiniertesten Ausgeburten der Henkerphantasie erscheinen könnte. Man hat gelesen, daß Goering, der sich des Viehes erbarmt, die Vivisektion an diesem verboten hat, denn »es habe nicht weiter geduldet werden können, daß das Tier einer leblosen Sache gleichgestellt werde«. Dawiderhandelnde kommen dorthin, wo das Verfahren ohne Narkose geübt wird und nicht so sehr zum Zweck wissenschaftlicher Erkenntnis als zur Zerstreuung der Sanitäter. Was da getrieben wird, erscheint oft sogar mit der Sphäre der Musik oder des Vortragswesens verknüpft. Der Henker lehnt am Türpfosten und singt »Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod«. Feuer an Fußsohlen bewirkt, daß »Horst Wessel« angestimmt wird. Neben den vaterländischen Gesängen werden Schlagermelodien geübt, Instrumente machen die Begleitung, und es gibt da eine Pièce, die »Zitherspielen« heißt oder auch »Grammophonspielen«, wobei der auf der Pritsche Liegende das Grammophon bildet. Natürlich geht es nicht immer so hoch her wie im Anfang, wo noch Graf Helldorf zuschauen kam, damals als im Braunen Haus von Annaberg gleich Zweihundert mit verbundenem Kopf habtacht standen und die Variante sangen⁠ ⁠:Wo hab’ ich denn die schönen blauen Augen her⁠ ⁠?Von der SA. Sie gibt noch mehr. Dagegen wird aus einem Lager berichtet, daß ein Österreicher, der in Hamburg als Schiffsoberheizer gearbeitet hatte, für den Anschlußgedanken auf die folgende Art gewonnen wurde⁠ ⁠: Jeden Morgen mußte er die Unratkübel der Zelle leeren und schwenken, hierauf mit einem jüdischen Kaufmann vortreten. Jedem der beiden wurde ein Streichholz zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand gegeben, die sie alsdann zum Hitler-Gruß zu erheben hatten. Durch eine halbe Stunde wurde nun mit dem Gruß die Lektion verbunden, »klar und deutlich skandierend« mit den folgenden Sprüchen abzuwechseln⁠ ⁠:Der Jude⁠ ⁠: »Ich — bin — ein — stin — ki — ger — Jude⁠ ⁠Der Österreicher⁠ ⁠: »Und — ich — will — ein — Deut — scher — werden⁠ ⁠ Bei jedem Nachlassen wurde vom Deutschen Garborinski mit dem Gummiknüppel, der dort noch im Schwange ist, eingegriffen. Nach einer sogenannten »Abreibung« mit diesem, von welcher ihm noch heute alle Vorderzähne wackeln, erreichte er durch Intervention des österreichischen Konsulats die Ausweisung. Er war mit 60 Mark und einigen Kleidern gekommen und ging mit dem Anzug, den er trug, und sogar noch 22. Man darf sich aber das Walten des SA.-Geistes keineswegs so vorstellen, daß er nur die schnurgerade Richtlinie des Dreschens einhält⁠ ⁠; vielmehr hat er Varianten der Behandlung, die eben durch ihre Unwahrscheinlichkeit die Greuelpropaganda entkräften. Wenn man zum Beispiel liest, daß Gefangene mit den Zähnen Gras rupfen müssen (bevor’s zur Metapher wird); daß das Scheusal von Breslau, der Mörder und Polizeipräsident Heines alte Männer peitschen und den früheren Oberpräsidenten von dessen Beamten anspucken läßt⁠ ⁠; daß er ihn zwingt, auf den Hosenboden das sozialistische Kampfzeichen zu nähen und ihn Besuchern vorzuzeigen — so ist man doch gewiß berechtigt, es nicht zu glauben. Und vollends, wenn der ‚Manchester Guardian‘ behauptet, eben jener lasse Häftlinge in einen Schweinestall führen, lasse sie »mit den Schweinen einen Händedruck wechseln und diese als Genossen ansprechen«, während die Wärter johlend im Kreise herumstehn. Ist es nicht begreiflich, daß die Neue Freie Presse derartige Meldungen nicht verbreitet und Liebeshändeln den Vorzug gibt⁠ ⁠? Immerhin hat Europa via London und Paris erfahren, daß viele Gefangene von Dürgoy, woselbst jene Lustbarkeiten stattfinden, gebrochene Rippen haben⁠ ⁠; und alle vierzehn Tage werden sie unter Eskorte nach Breslau geführt und durch die Straßen geschleift. Während des Marsches müssen sie singen . . . hohlwangig, mit erloschenen Augen wanken sie daher, ein Zug von verhungerten, verprügelten Jammergestalten, die nicht einmal von ihren Freunden erkannt werden, die sie erwarten, um einen Blick mit ihnen zu wechseln. Gestalten aus dem Land Gerhart Hauptmanns, der nicht mehr schweigt, sondern für Horst Wessel einen Prolog geschaffen hat. Welchen Gebrauch macht aber Europa von der Kenntnis⁠ ⁠? Und davon, daß »nichts in der Bewegung ohne mein Wissen und ohne meinen Willen geschieht«⁠ ⁠? Und von dem Statthalterwort⁠ ⁠: »Nichts darf geschehn, womit der oberste Führer nicht einverstanden sein kann«⁠ ⁠? Und fragt diesen Amerika, ob er den Qualentod der Anwälte Günter Joachim und Alfred Strauß, die Hinschlachtung des Ministerpräsidenten Stelling, des halbblinden Paul v. Essen und all der Blutzeugen von Köpenick, ob er insbesondere die Massakrierung des Mädchens unter den noch nicht zwanzig Fällen berücksichtigt hat⁠ ⁠; und ob er sich bei der Zählung der Schatten nicht verzählt. Und dringen ihm nicht nachts an sein Ohr Laute, »bald schrill, bald dumpf, wie Uhuhu, Uhuhu« — einstige Insassen, die als Trümmer von Geschöpfen Gottes herauskamen, sagen, daß sie noch heut aus dem Schlaf fahren, aufgerissen in die Erwartung, daß das Signal »Raus⁠ ⁠!« nun auch ihnen gilt. Es sind die Schmerzenslaute Geschlagener. Nicht zu verwechseln mit Tönen des Tags, mit Frühlingsrufen, die von einer besonderen Prozedur im Thüringischen herrühren. Dort befinden sich hohe Pappeln, auf die Ausgesuchte steigen müssen, um auf den Ästen bis zum Zapfenstreich sitzen zu bleiben. Dann erfolgt der Befehl, »Kuckuck⁠ ⁠!« zu rufen. Doch während dieser von Naturschwärmern ersonnenen Übung, die ein schußfertiger Revolver befeuert, steht ein sozialdemokratischer Redakteur auf einer Kiste und meldet von früh bis zum Abend mit lauter Stimme⁠ ⁠: »Ich jüdisches Journalistenschwein habe folgende Artikel geschrieben⁠ ⁠: . . .« und auf der Kiste daneben betet ein Freidenker das Vaterunser. Und wäre, nach Austilgung aller Spuren eines Gedenkens an Marx und Lassalle, die seelische Wandlung vollkommener darzubieten als durch den Vorgang von Dachau, wo Neugläubige damit beschäftigt wurden, ein Horst Wessel-Denkmal zu errichten⁠ ⁠? Gewiß, unglaubhaft ist dies alles der Welt, weil sie einer deutschen Zone, deren Entfesselung wohl die primitive Gewalttat vorstellbar macht, diese erfinderische Phantasie, diesen Reichtum an immer neuen Formen der Quälerei und Erniedrigung, diese Romantik der Menschenschändung so lange nicht zutraut — bis sie es erlebt und erduldet. Und könnte sie denn ihr Tagwerk verrichten, ihren Schlaf finden, wenn sie sich vergegenwärtigte, daß diese Dinge just in dem Augenblick der Vorstellung geschehen, immer weiter geschehen, daß Menschen liegen und nicht schlafen, bis sie geschlagen werden und die Schläge zählen müssen, und daß es in Pein und Erwartung der Pein, im Grausamen ohne Sinn und Aussicht, Möglichkeiten gibt, vor denen Tortur und Gefahr der Kriegszeit verblassen⁠ ⁠? Und wagt sie den Blick in ein Inferno, wo Erdulden jeglicher Art, Schmerz und Blut, die gräßliche Lust dieser Schinder erhitzt, die von Breughel und Hieronymus Bosch gruppiert sind, aus dem Mittelalter ausgebrochen, um dort Versäumtes nachzuholen. Sieht sie die Augen dieser Komparsen des Schreckens, deren geschlechtliche Jugend die rätselhafte Verbindung von Qual und Wonne erlebt und behält⁠ ⁠? Denn selbst hier, bis zur Orgie in Blut und Kot, hat Natur ihren Anteil, und ein Höllentor ist eröffnet, aus dem es keine Rückkehr gibt für den Genießer⁠ ⁠; und keine Rettung der Menschenwürde, die solchem Bedürfnis erlag . . . Was dagegen die Vertreter der deutschen Presse anlangt, so haben sie in Aussicht gestellt⁠ ⁠: über die gewonnenen Eindrücke freimütig und wahrheitsgemäß zu berichten.