Doch Benn ist sogleich wieder in prähistorischer Ferne, denn die Argumente der Gegner klingen ihm »wie aus einem anderen Erdzeitalter«, womit sie ihm aber eigentlich näher gerückt wären. Was nun die soziale Gegenwart anlangt, zu der er zurückfindet, so hat er sich sagen lassen, und kann es darum bestätigen⁠ ⁠: daß es dem deutschen Arbeiter heute besser geht als zuvor. Benn kann es nicht oft genug wiederholen und wiewohl er nicht ausdrücklich von der Ernährung spricht, versichert er, die Arbeiter hätten jetzt ein sich bewegendes Lebensgefühl. Das ist zwar ein Feuilletonbegriff, durch den das Fett nicht billiger wird, aber er bittet die Gegner, fest überzeugt zu sein, daß die Eroberung weiterschreitet, denn die deutsche Volksgemeinschaft sei etwas, was ich zu allerletzt vermutet hätte, nämlich kein leerer Wahn. Ja, er versteigt sich zu der Beteuerung, dieses Jahr 1933 habe einen Teil der Menschenrechte neu proklamiert was insofern glaubhaft ist, als ja dieser Teil die Vernichtung des andern Teils erlaubte. Er führt noch die Gegner in dem Punkte ab, wo sie an sein »radikales Sprachgefühl« appelliert haben, was ich noch wirksamer mit dem Hinweis auf den Satz besorgen könnte, mit dem er es tut. Dann wendet er ein von Herrschaften abgelegtes Pathos, das aber heute selbst der alte Attinghausen verschmähen würde, an sein Volk, das sich hier seinen Weg bahne⁠ ⁠: Wer wäre ich, mich auszuschließen, weiß ich denn etwas Besseres — nein⁠ ⁠! Ich kann das nicht nachempfinden, so vertraut ich mit der Sprache seines Volkes bin. Er jedoch »dankt« sie seinem Volk, aus dem die Ahnen stammen, zu dem die Kinder zurückkehren⁠ ⁠; er wolle es nach Maßgabe seiner Kräfte leiten und wenn’s ihm nicht gelänge, es bliebe sein Volk⁠ ⁠: Volk ist viel⁠ ⁠! Denn es gebe Augenblicke, wo dies ganze gequälte Leben versinkt, und nichts ist da als⁠ ⁠: Volk. Ganz schön, nur der Ergänzung entbehrend, daß es auch noch andere Völker gibt und daß wenn sie sich alle für auserwählt halten wollten, die Apokalypse ein Kinderspiel wäre gegen das dicke Ende, das als das letzte nachkommt. Aber was macht sich Benn schon aus Europa⁠ ⁠! Einen Hohn⁠ ⁠: Dies Europa⁠ ⁠! Das hat wohl Werte, — wo es nicht bestechen und schießen kann, da steht es wohl recht kläglich da⁠ ⁠! Darum eben muß jeder Deutsche schießen lernen. Benn vergleicht noch Hitler mit Napoleon und zieht jenen vor, da man ihn von seiner Bewegung nicht unterscheiden könne, während dieser bloß ein individuelles Genie war. Er läßt sich in eine Charakterologie der großen Männer ein, welche »die abnorme Leichtigkeit in allem, namentlich auch den organischen Funktionen« gemeinsam haben. Dann beruft er sich darauf, daß die »Grundlagen seiner Darstellung« dieselben seien wie bei Fichte, Burckhardt und Nietzsche, nicht ohne auch an Hegel anzuknüpfen, vor allem aber an die eigene »fanatische Reinheit« zu erinnern, an die auch die Flüchtlinge appelliert haben. Wie lange er mit ihr, wie insbesondere mit der intellektuellen Zurüstung, als Kämpfer für die Sache durchhalten wird, weckt Spannung. Doch nicht ohne Interesse läßt sich auch das Blatt, in dem er auf den Plan tritt, wenden, und da gesellt sich der irrationalen Zuversicht und dem Einblick ins Quartär die redaktionelle Mahnung⁠ ⁠: Man soll in der Politik auch die Dinge des täglichen Lebens, die das Volk unmittelbar berühren, nicht unterschätzen. Gewiß soll man nicht, aber wir haben doch gehört, daß sich das Lebensgefühl des deutschen Arbeiters bewegt und daß es ihm heute besser geht als zuvor⁠ ⁠? Haben wir, jedennoch⁠ ⁠: Während der letzten Wochen ist im Zusammenhang mit der Margarineverordnung eine starke Preissteigerung für alle Fette zu verzeichnen gewesen. Der Butterpreis stieg von einem Tiefstand von 84 Mark auf 120 Mark für den Zentner. Beispiele der »Auswirkung« für den Konsumenten folgen. An einzelnen Plätzen, namentlich in Süddeutschland sind die Preise noch stärker gestiegen⁠ ⁠; in München haben etwa 200 Händler den Weg nach Dachau in das Konzentrationslager antreten müssen, und zwar, weil man ihnen Preiswucher zum Vorwurf machte. Dieses »und zwar« steht lapidar da wie jenes in Kants »Zum ewigen Frieden«⁠ ⁠; aber die Methode erinnert mehr an den Herrscher bei Shakespeare, dem der Zorn hochschwillt und sein Narr die Abhilfe empfiehlt⁠ ⁠: Ruf ihm zu, Gevatter, wie die alberne Köchin den Aalen, als sie sie lebendig in die Pastete tat⁠ ⁠; sie schlug ihnen mit einem Stecken auf die Köpfe und rief⁠ ⁠: Hinunter, ihr Gesindel, hinunter⁠ ⁠! Ihr Bruder war’s, der aus lauter Güte für sein Pferd ihm das Heu mit Butter bestrich. Die könnte er aber jetzt nicht erschwingen, auch wenn schon sämtliche Händler in Dachau mit dem Stecken behandelt wären. Denn der Abbau der Butter- und Milchpreise wird sich kaum mit dem Erfolg erzielen lassen, mit dem bisher der Abbau der Konsumenten angebahnt wurde, ja sogar eine gewisse Verminderung der Arbeitslosigkeit, von der es offiziell heißt⁠ ⁠: Die Lösung des Arbeitslosenproblems, auf die heute alle Kräfte konzentriert werden müssen, ist für das Gelingen der deutschen Revolution letzten Endes ausschlaggebend. Auch sollen bereits nordische Fischer (die die salzgebeizten Arbeitshände ineinanderlegten, um ihrem Gott zu danken, der dem Reich in seiner Not einen Herzog sandte) über einen Tagesverdienst von 20 Pfennig klagen. Die ‚Deutsche Allgemeine Zeitung‘ aber führt noch sonst ungemäße Erscheinungen der Volkswirtschaft an, die sie — schon am 25. Mai — zu der Einsicht bestimmen, es sei notwendig, daß die Maßregeln, die getroffen werden, nach der fachlichen und psychologischen Seite hin durchschlagen. Und nicht bloß nach derjenigen, die die starke Seite der Bewegung ist. Benns Grundlagen sind wieder mehr philosophischer und geologischer Natur. Mir aber würde seine Darstellung, die ja wie kein zweites Dokument Aufschluß gibt, vollauf genügt haben, wenn das Erlebnis nicht die wechselvolle Fülle von Formen und Fratzen in sich begriffe, deren Andeutung den notwendigen Versuch zum Unmöglichen vorstellt.