Nicht zu machen, solange der Zauber fortwirkt, der im Wechsel beruht. Keine der tausend Aufklärungen der tausend Handlungen, die den tausend Versprechungen zu widerstreiten schienen, ließ diesen geistigen Wesenszug vermissen von einem gewissen Etwas, das immer auch ein anderes ist, fließend und flimmernd, gleitende Relativität am laufenden Zungenband, umso reizvoller, als sie doch das Absolute bejaht, ja aufs Ganze geht, das sogar das Totale ist. Ein auf Sachverhalte Dringendes und auf keinen Festzulegendes einer schwankenden Gestalt, die sich besonders jenen wieder naht, die sie in der lokaleren und unblutigen Diktatur Bekessys präformiert fanden. Ganz in dieses Ressort einer mehrfachen Buchhaltung und der Usance, dem Verstand Tonfallstricke zu legen, gehören doch vor allem die kulturpolitischen Verbiegungen dessen, was sonst ungrad wäre. In der Fähigkeit, Unsinn, zu dem Vernunft ward, wieder als diese erscheinen zu lassen, Blamage in Effekt umzuwechseln, kurz darin, was man früher Blödmachen nannte, ist das nationalsozialistische Kommuniqué vorbildlich. Man denke etwa an den Bescheid, den auf die Absage Toscaninis jener »Kampfbund« erteilt hat, der die Kultur auf Gedeih und Verderb in Angriff nahm⁠ ⁠: . . Der Kampfbund für deutsche Kultur, der sich von jeher Schutz und Förderung des deutschen Kulturgutes in Bayreuth in jeder Form angelegen sein ließ, stellt fest, daß keine seiner kompetenten Stellen jemals sich gegen eine künstlerische Betätigung Arturo Toscaninis aussprach und daß insbesondere der preussische Landesleiter Reichstagsabgeordneter Hinkel Dieses »von jeher« erklärt sich denkrichtig aus dem Umstand, daß in drei Monaten so viel gelogen wurde wie vorher in drei Jahrhunderten. Aber auch das Ganze ist plausibel und kein Deutschbewußter zweifelt mehr, daß alles in Ordnung geht und sogar dem Fremdblütigen freie Bahn eröffnet wurde, während der zur Logik Inklinierende, der nicht erfährt, daß Toscanini abgelehnt hat, weil andern die künstlerische Betätigung verwehrt ist, sich den Sachverhalt etwa so rekonstruieren muß⁠ ⁠: jener hat sich beworben und streut nun aus, er sei abgelehnt worden⁠ ⁠; oder⁠ ⁠: er wurde eingeladen und fürchtet unfreundlich empfangen zu werden. Denn darauf würde niemand kommen, daß da einem, der aus Abscheu vor dem Geber die Gabe verschmäht hat, die Antwort zuteil wird, man habe sie ihm doch geben wollen, worüber beklagt er sich also⁠ ⁠? Der Empfänger eines Fußtritts stellt reinen Gewissens fest, daß er keinen ausgeteilt hat. Er verschluckt die Prämisse, um irgend etwas folgen zu lassen, was hinter ihr liegt — das bekannte Kleingeld, das für die verfolgende Unschuld in allen Lagen herauskommt. Es ist die Aufnordung der Petite, an der aber nicht so sehr Baldur als Loki beteiligt sein dürfte, der ihn letzten Endes zu Falle gebracht hat. Daß die Gabe, die Toscanini empfangen sollte, im höchsten Maße der Gewinn des Gebers wäre — indem doch Bayreuth ohne ihn so »bankrott von oben bis unten« ist wie heute Deutschland nach dem Ausspruch eines bayrischen Staatsministers —, wird dort, wo man den Fußtritt zwar spürt, aber nicht zugibt, gar nicht berührt. Die sympathische »Dötz«, die freilich schon über den Verlust Walters als den eines »groißen« Dirigenten hinweggekommen war, fand den Trost⁠ ⁠: . . . Das deutsche Volk wird aus eigener Kulturkraft deutsche Dirigenten hervorbringen, die das Andenken Toscaninis vergessen machen werden. Eine eugenische Hoffnung, bis zu deren Erfüllung Bayreuth zugesperrt haben dürfte. Prompt ist einstweilen nur Herr Richard Strauß auf diese Welt gekommen. Doch wenn er oder Herr Furtwängler den rechten Arm emporhebt, so merkt man nicht gleich, daß sie dirigieren wollen. Aber die »Dötz« weiß, daß im Dritten Reich auch diese Dinge ihr beschleunigtes Tempo haben, und fährt fort⁠ ⁠: Die deutsche Kulturpolitik wird rasch dafür Sorge tragen, daß die Unterdrückung deutscher Dirigentenbegabungen durch die jüdische Presse und ihre Kreise wettgemacht werde, und es wird sicherlich ehestens dazu kommen, daß die deutsche Musik über genügend viele ganz große Dirigentennamen verfügt, um alle Aufgaben, die die neue aufstrebende deutsche Kunst stellt, erfüllen zu können. Nun, da dürfte eher noch die Befreiung von den Schweißfüßen gelingen, in deren Tradition so lange das Bodenständige verankert war. Was hat die »Dötz« nicht alles getan, um dem zähen Festhalten an diesem Aberglauben entgegenzutreten, und manches, was uns heute auffällt, könnte ja darin seine Erklärung finden. Noch in der Stunde der Erhebung, am Tage der Reichstagswahl, mußte sie einen Sektierer beruhigen⁠ ⁠: Schweißfüße. Das können Sie bei uns unmöglich gelesen haben, daß das Vertreiben von Schweißfüßen andere Krankheiten macht, denn solchen Unsinn schreiben wir nicht. Und daß Sie durch das Vertreiben Ihrer Schweißfüße eine multiple Sklerose bekommen haben, ist unmöglich. Es war ihr letztes Wort. Sie mag heute bedauern, daß eine so klare Einsicht in die Realität bloß auf den einen, wenngleich wesentlichen Belang beschränkt geblieben ist.