Da ich mir nun vor diesem Unmaß im Positiven und Negativen, mancher Verdienste in beider Hinsicht bewußt, schon wie das reine Nullerl vorkam, ergriff ich gern eine sich bietende Gelegenheit, mich, wenn auch nur indirekt, der Instanz zu empfehlen, der nunmehr alle Prüfung deutschen Sprachwerts anvertraut ist. Mit dem Berliner Rundfunk verbindet mich nichts mehr, nämlich zwei Kontrakte : Offenbachs »Reise in den Mond « zu inszenieren und Goethes »Pandora « vorzutragen. Wegen einer gewissen Unsicherheit, die sich in der deutschen Rechtspflege bemerkbar machen soll, indem als Rechtsgrundsatz noch besteht, daß das Interesse der Nation ihn aufhebt, würde es schwer sein, gegen den auch in völkerrechtlichen Fällen wirksamen Einwand aufzukommen, daß ein Vertrag ein Fetzen Papier sei ; doch im Allgemeinen dürfte ja nunmehr eine Reise nach Berlin utopischer sein als die in den Mond , und selbst Pandora nicht entrückter der Sehnsucht als die Möglichkeit, sie heute in Deutschland vorzutragen. Da sich die offizielle Rechtsauffassung, nach Gesichtspunkten, die von hohen Richtern in juridischen Fachzeitschriften festgelegt wurden, der Tendenz zuneigt, Messerstechern und Bombenwerfern das nationale Motiv nicht nur als Grund der Strafausschließung oder Abolition anzurechnen , sondern auch der Einsetzung in staatliche Würden nebst lebenslänglicher Verköstigung im Prytaneum, so könnte die Geltendmachung eines kulturbolschewistischen Rechtsanspruchs auf besondere Schwierigkeiten stoßen. Ich stelle mir vor, daß man in einem Zivilprozeß mit seinen Ansprüchen auf den Strafrechtsweg verwiesen und gleich vom Gerichtsdiener verhauen wird. Umso überraschender war mir darum der Entschluß des Kölner Rundfunks, sich mit mir einzulassen ; sympathisch schon durch den Umstand, daß der Ort doch die Geburtsstätte Offenbachs und der Wolter ist, zweier bühnenbeherrschender Genies, deren jüdische Abkunft — sicher im Fall des großen französischen Musikers, vielleicht auch in dem der großen deutschen Tragödin — dort bekannt sein dürfte. Die Einladung des Kölner Rundfunks bezog sich auf seinen bemerkenswerten Wunsch, die kurz vorher erschienenen Sonette eines Engländers, nachgedichtet von einem Juden , in einer Vortragsreihe »Die Welt im Buch «, welche jetzt etwas eingeengt ist, besprechen zu lassen. Sie traf just in den Tagen ein, da die Berliner Studentenschaft jenen Kampf gegen den undeutschen Geist bahnbrechend eröffnet hatte, der auf eine klare Unterscheidung deutschen Geistesguts von solchem hebräischen Ursprungs abzielte . Dazu nun kam mir, der zwar den Zufall für den wahren Diktator des Weltgeschehens hält, aber von einem Glauben an Zusammenhänge nicht abzubringen ist — dazu kam mir also in den Sinn, daß die Nachdichtung der Shakespeareschen Sonette, die zum erstenmal in deutscher Sprache erfolgt, eigentlich auch das letzte Werk in dieser ist, indem sie doch in den Tagen des Reichstagsbrands in eine aufgewühlte Welt trat und als die Ordnung hereinbrach, in einem schon völlig nazifizierten Buchhändler-Börsenblatt angezeigt erschien , gleichsam als letzter und wohl unzeitgemäßester Ertrag einer Geistesarbeit, für die es keine Verwendung mehr gab. Da also das Buch ohnedies dem Brand des Reichstags zum Opfer fiel, mußte es nicht mehr auf den Scheiterhaufen kommen, der zugegebenermaßen von nationaler Seite angezündet wurde. Vielleicht hätte es jedoch gar nicht der Ablenkung durch die Ereignisse bedurft, damit die deutschen Buchhändler und die deutschen Literaturzeitschriften, Kunden und Leser, kein Interesse für ein Werk ihrer Sprache zeigten, noch weniger als die literarischen Kreise Österreichs, welche enttäuscht waren, weil statt der ‚Fackel‘ Sonette erschienen, und welche sich durch die Aufklärung, die ich ihnen durch einen Buchhändler erteilte : daß bei Shakespeare schon alles Aktuelle wie auch meine Stellungnahme vorkomme, keineswegs irreführen ließen. Köln aber zeigte das Bestreben, den Sonetten eine Welt im Buch zu eröffnen. Das ließ ich, der selbst schon nach einem Lebenszeichen von mir verlangte, mir nicht zweimal sagen und trug zur Diskussion wenigstens dieses Scherflein bei : 21. April 1933 An den Westdeutschen Rundfunk, G. m. b. H. Köln Auf Ihr freundliches Ersuchen, Ihnen zwei Exemplare unseres Verlagswerkes : Karl Kraus, »Shakespeares Sonette« zur Besprechung in Ihrer Vortragsreihe »Die Welt im Buch« zur Verfügung zu stellen, möchten wir mit unserem besten Dank zunächst antworten, daß wir Freiexemplare zu Rezensionszwecken grundsätzlich nicht ausliefern. Abgesehen davon jedoch würden wir uns im gegebenen Falle für verpflichtet halten, Sie vor einem Mißgriff zu bewahren, der Sie in Widerspruch zu den in Deutschland geltenden Richtlinien der kulturkritischen Betrachtung bringen könnte. Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß die Nachdichtung der Shakespeareschen Sonette von Karl Kraus zwar in deutscher Sprache erschienen ist, aber ohne den erforderlichen Hinweis, daß es sich eigentlich um eine Übersetzung aus dem Hebräischen handelt, und Sie müßten wohl, wenn Sie eine unmittelbare Übertragung ins Deutsche vorziehen sollten, mit der von Stefan George vorlieb nehmen, falls Sie es überhaupt für angebracht halten, den englischen Originalautor in Ihrer Vortragsreihe zu berücksichtigen. Mit vorzüglicher Hochachtung
der Verlag der ‚Fackel‘