Was Benn betrifft, den ich in einer noch älteren Periode des Deutschtums zurückließ, wo es noch nicht einmal die Bärenhäute gab, auf welchen jetzt die Flüchtlinge herumliegen, und wo einem noch nichts von Philosophen aufgebunden wurde, so wird es ihm schließlich selbst zu dumm und er sagt : Aber verlassen wir die Philosophie und gehen wir zur Politik über . . . Doch da kommt auch nichts Vernünftiges heraus, wiewohl er ausdrücklich entschlossen ist, sich von der Vision ab- und den Tatsachen der Erfahrung zuzuwenden . Auch hier übertreibt er, indem er zwar eingesteht, daß die innere und äußere Lage des Staates schwer sei, jedoch meint daß es Iliaden und Aeneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen. Das mag sein, fraglich ist aber, ob sie entstehen werden. Und nun, angesichts aller Schwierigkeiten der Lage, gewinnt Benn einen Herzenston, indem er den Vaterlandslosen vorhält, daß sie dem in jene geratenen Staat vor dem ganzen Ausland Krieg wünschen, um ihn zu vernichten, Zusammenbruch, Untergang. Und doch : Es ist die Nation, deren Staatsangehörigkeit Sie besitzen, deren Sprache Sie sprechen, deren Schulen Sie besuchten . . . deren Industrie Ihre Bücher druckte, deren Theater Ihre Stücke spielte . . . und die Ihnen auch jetzt nicht viel getan hätte, wenn Sie hier geblieben wären. Höchstens Verletzungen leichteren Grades, nicht der Rede wert, und auf die Sicherheit hin, die Benn nachträglich bietet, und in die die Staatsangehörigkeit sie leider nicht gewiegt hat, wären sie ja vielleicht geblieben. Wenn sichs aber vom sichern Port, worin sich einer befindet, gemächlich raten läßt , so ist es zweifellos noch feiger, ihn dem andern zu widerraten. Benn scheint der Anschauung zu sein, daß die Flüchtlinge aus purem Übermut dem Berliner Wohlleben den Hunger in Paris vorgezogen haben. Man muß nicht gerade die des Herrn Goebbels teilen, daß das Emigrantendasein »schimpflich« sei . Ehrenvoller als der Tanz nach seiner Pfeife, ist es gewiß nicht beglückend für solche, die im taktvollen Mitleid noch die Aversion gegen ihre Heimat zu spüren bekommen. Denn leider verhält es sich so, daß das Ausland sie nicht bloß als die Opfer einer politischen Unterdrückung, sondern vielfach auch als die Vertreter einer ethnischen Besonderheit ansieht, und man kann sich immerhin vorstellen, daß es manchen unter ihnen gelingen mag, das Vorurteil gegen diese zu befestigen, indem sie schon durch ihr Auftreten die Propaganda besorgen, die den Interessen Deutschlands zuwiderläuft und von ihm verpönt wird. Es dürfte ja glaubhaft sein, daß sich Berliner Literaten auch in Paris übernehmen und dem Edelmut der Gastgeber die Bezeichnung »les greuel« abnötigen. Man erfährt zum Beispiel von Vergleichen mit »unserer Wohnbaukultur«, bei denen die des Gastgebers »schlecht abschneidet« , und für die Wirkung auf die Außenwelt wäre es unter allen Umständen günstiger, niemals solche Lebensverhältnisse zu schaffen, die eine Auswanderung zur Folge haben, da es doch gerade genügt, daß sie durch die etwaige Einreise informiert wird. Mag sich aber die Folgen der Flucht das Inland selbst zuzuschreiben haben — daß sie individuell begründet war, steht außer Frage. Das Argument der Bücher, deren Herstellung die deutsche Industrie besorgt hat, ist insofern nicht ganz glücklich, als sie ja auf den Index kamen oder geradezu verbrannt wurden, worin die Urheber zwar einen gewissen Ansporn zur Dankbarkeit wegen der Reklame, aber doch keinen zum Patriotismus fühlen müssen. Die deutsche Industrie aber hätte sich nicht so sehr über den Undank der Emigranten zu beschweren als über ein Vorgehen der Patrioten, durch das ihre Erzeugnisse zerstört und ihre Verdienstmöglichkeiten beeinträchtigt wurden. Was die Identität der Sprache anlangt, so könnte Benn insofern Recht haben, als die Flüchtlinge nicht anders schreiben als die Zurückgebliebenen oder sagen wir Daheimgebliebenen sprechen, indem ja die deutsche Schriftsprache mit der deutschen Umgangssprache die geringe Beziehung zur Sprache gemeinsam hat. Ich glaube, daß ich viel besser in der Lage wäre, eben aus dieser Erscheinung das Wesen des deutschen Umsturzes zu erklären, als Benn mit geognostischen, ja geomystischen Schmonzes und mit dem Versuch, äußerst körperhaften Dingen metaphysisch beizukommen.