Vielleicht würde ein Literat, der sich der Sprache immerhin bis zum Ornament genähert hat, es sogar verstehen und schließlich glauben, daß in der journalistischen und rednerischen Bekundung des neuen Denkens bisher auch nicht ein deutsches Wortgebilde sichtbar oder hörbar geworden ist, nicht eines, das den deutschen Inhalt nicht Lügen strafte. Die Sprache verdankt freilich dem Umsturz, der wohl schon im Grundwort »Nazi« sich als Realisation des Weltgeistes andeutet, manche neuen Worte, und solche, die man eben vor dem Aufbruch des neuen Wesens unmöglich hätte bilden oder denken können. Damit sind nicht etwa aparte Formen gemeint, wie man sie auch in der Judenpresse antrifft, die prinzipiell jedes Wort falsch biegt und schwer beugt, das ihr nur unter die Hände kommt⁠ ⁠; nicht der falsche Dativ, der durchweg als der einzige Kasus anerkannt ist, als jener belli, des Kriegsfußes, auf dem alle deutsche Publizistik mit der deutschen Sprache lebt⁠ ⁠; nicht die Unfähigkeit, den primitivsten gedanklichen Inhalt logisch zu stilisieren und die planste Konstruktion durchzuhalten⁠ ⁠; nicht anderseits die Konsequenz, mit der sich alles Großdeutsche die Einmischung des Auslandes »verbietet«. Nicht einmal der Umstand, daß die nationalsozialistische Presse Deutschlands die Mahnung erläßt⁠ ⁠: Deutscher, lese nur arische Zeitungen⁠ ⁠! oder die der nationalen Postkarte empfiehlt⁠ ⁠: Vergeß nicht, daß du ein Deutscher bist⁠ ⁠! Also die Erinnerung an ein Ideal, dem sie schulbeispielhaft und ohne Beispiel der Schule entgegenwirkt. Nicht das Scherflein, mit dem sich das österreichische Bruderblatt anschloß⁠ ⁠: Liest euch die Weisungen genauer durch⁠ ⁠! Oder das Bekenntnis, das vielleicht den Kern des politischen Pudels berührt⁠ ⁠: Du weißt, wie weiberfeindlich ich war. Ich vermeidete sogar jedes Wort, das weiblichen Geschlechtes war. Daß sich wegen solcher Zurückhaltung, die leider nicht weit genug geht, die deutschbewußte Journalistik von den prominentesten Analphabeten der andern verhöhnen lassen muß, ist gewiß beschämend, aber derlei wird als zum täglichen Hand- und Mundwerk gehörig nicht gut vermeidet werden können, wiewohl einer der Feuersprüche bei der Bücherverbrennung doch gelautet hat⁠ ⁠: Gegen Verhunzung der deutschen Sprache⁠ ⁠! Für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes⁠ ⁠!|| Leicht gesagt, schwerer geschrieben. Ich habe den Verdacht, daß eine Prüfung auf Sprachgefühl und grammatikalisches Wissen der Leute, die durch die Forderungen »Deutschland erwache⁠ ⁠!« und »Juda verrecke⁠ ⁠!« groß geworden sind, schon bei der Frage nach eben deren Konstruktion auf Schwierigkeiten stößt (oder stoßt, wie sie grundsätzlich schreiben). Sie wissen bestimmt nicht, daß da ein Komma hineingehört, weil die jeweils genannte Nation, die doch angebrüllt werden soll, sonst nicht die zweite, sondern nur die dritte Person ist und die verlangte Tätigkeit, erwachen oder verrecken, nicht die Befehlsform, sondern bloß die Wunschform annimmt, die ja namentlich im Fall Juda nicht angebracht wäre. Wenn zum Beispiel das sinnverwandte »Verderben, gehe deinen Gang⁠ ⁠!« (Schiller) ohne Komma dasteht, so könnte es besagen, daß nicht das Verderben angerufen wird, sondern etwa ein Führer, dessen Gang es folgen möge. Das Rufzeichen sichert noch nicht den Befehl, sondern könnte eine Verstärkung des Wunsches sein. Freilich muß man im Zitat den Fehler übernehmen, der insofern nicht uneben ist, als so starke Forderungen durch Sorgfalt des Ausdrucks abgeschwächt würden. || Schließlich standen die Cäsaren immer über der Grammatik, und besser autarkisch nicht deutsch können, als Fremdwörter zu gebrauchen, von denen man nie wissen kann, was sie bedeuten. Gerade ihr Ersatz hat zu einer Bereicherung des deutschen Sprachschatzes geführt, um die uns die Nationen beneiden. Sie verdankt sich aber auch den erweiterten Bedürfnissen des Handelsverkehrs, und diese Entwicklung rechtfertigt — letzten Endes — die treuherzige Übernahme jüdischer Bräuche, die Bewahrung einer Inflation der Schiebersprache, der das Schrifttum der Republiken Raum gewährt hat und die heute das erwachte Urseelentum in allen Varianten »hundertprozentig« beglaubigt, so daß es »in Ordnung geht«. Das Besondere ist aber die Fähigkeit, in eben diesem Geiste schöpferisch fortzusetzen und zu arteigener Neubildung zu gelangen, welche die Sprache dem Bedürfnis einer tiefen Unehrlichkeit anpaßt und dem Hang zur Scheinheiligung, zur Verschleierung schmählicher Sachverhalte gerecht wird. Kaum eines dieser Kommuniqués, das nicht Zuwachs in derlei Hinsicht brächte, wenn Gewalttätigkeit sich in Normen kleidet und etwa der Einbruch in eine Wohnstätte als »Überholung« bezeichnet wird. Oder wenn Mißlingen die Promptheit des Erfolgs darstellt und von einem Prokrustes der Dinge und der Worte ein Kampfbund »auseinandergegliedert« wird. (Auch ich bin dazu genötigt, wenn täglich neue Greuel an Wort und Tat einzubetten sind, wie soeben die »Fachschaft«, der »Reichsfachschaftsleiter«, die »Reichskulturkammer«, der »Gaukulturwart« und der »Werberat«. Nun, ich sage mir⁠ ⁠: Bist du beschränkt, daß neues Wort dich stört⁠ ⁠?Willst du nur hören, was du schon gehört⁠ ⁠?Dich störe nichts, wie es auch weiter klinge,Schon längst gewohnt der wunderbarsten Dinge.)Und gibt es nicht auch so vieles, das »getarnt« ist und wenn es nicht der Verbergung treudeutschen Wesens diente, von eben dessen Bekennern auf einen Tarnopoler Ursprung Und haben wir nicht dieses überraschende, ja niederschmetternde »schlagartig«, womit sowohl das Einsetzen wie der Abbruch eines Boykotts bezeichnet werden kann, je nachdem⁠ ⁠? Und vor allem natürlich diese noch trostlosere »Gleichschaltung«, die nicht einmal die Aussicht bietet, daß uns das »Prominente« abhanden kommt. Wohl hat Goebbels, der gründliche Kenner journalistischer Mundart, in einem Erlaß verboten, über Regierungsfeste in Ausdrücken zu berichten, »die in einer vergangenen Zeit angebracht waren«, also etwa von den »Spitzen der Gesellschaft« zu sprechen, durch welche sich die soeben Emporgelangten getroffen fühlen könnten. (Hauptsächlich Goering, der sie eben darum immer wieder gebraucht.) Doch die Gleichschaltung, die sich auf die Reportersprache erstreckt, wird für so etwas, das doch einst deliciae generis humani war, kaum Ersatz gewähren. Sie bedeutet für alle Belange des Daseins einen imponierenden Eingriff in die Natur, die das Ungleiche sich gern gesellen läßt, eine schöpferische Vollmacht wie nur jene, die dem Weltkrieg das »Menschenmaterial« zugewiesen hat. Aber ihr Verfahren, das mit diesem noch weit kürzern Prozeß macht, greift schon auf die Syntax über und auf jegliche Stilistik der Gedanken, aus deren Inhalt sich solches Gewaltwesen zusammensetzt. Vor allem natürlich auf die Nomenklatur, die dem Drang, Zeit zu sparen und Raum zu gewinnen, angepaßt wird. Jene Bereicherung durch Abkürzung, die uns ein Sprachgekröse wie Hapag und Wipag, Afeb und Gesiba, Kadewe und Gekawe wie all die Zauberformeln beschert hat, nun Osaf und Gausaf angetreten sind⁠ ⁠; man weiß schon nicht, was ominöser ist⁠ ⁠: wenn die Gestapo oder die Uschla eingreift, die NSBO aufbegehrt oder der DHV sich unterwirft⁠ ⁠; und das Mene Thekel Upharsin, welches jenes letzte Ende verkündet, ist ein Film der Metufa. Seitdem es aber SA und SS gibt, bleibt wenigstens uns hier nichts übrig als ein SOS bis nach USA. Das sind Formen der Ausschaltung einer Sprache, die, solange sie sich nicht vollends auf Zeichendeutung reduziert, hinreichend Spielraum für Gleichschaltung gewährt. Es ist zuweilen aber so, als ob deutscher Wille noch den Anspruch erhöbe, für den deutschen Sinn annexionistisch den Sprachraum zu erweitern, die Grenzen des Sprachdenkens zu verrücken. Man kann sich vorstellen, daß dieser Wortimperialismus Formen widerstrebt, die ihm etwas von der Fügsamkeit und Umgänglichkeit der ihm verhaßten »âme latine« zu enthalten scheinen, welche ja seit dem Krieg durch eine rigorose »Eindeutschung« bestraft wurde. Der Monsieur als Titel ist eo ipso auf den Herrn herabgesetzt und in rauher Zeit wurden Gelegenheiten, die auch den Kundgebungen einer âme latrine vorbehalten sind, für »Männer« und »Frauen« bestimmt. (Daß ich hier wie auch sonst die Vorstellung von Nietzsches »Männlein und Weiblein«, die nicht minder deutsch ist, ablehne, ist meine persönliche Doch wo sie sich öffentlich versammeln, hat man immer entsprechend den »Mesdames et Messieurs« die Ansprache an »Meine Damen und Herren« gepflogen. Diesem »mein« liegt das gelinde Gefühl einer Beziehung zugrunde, keineswegs die Absicht der Besitzergreifung. Sie hat sich erst im Deutschen Reichstag vollzogen, als wir schlagartig die nicht durchdenkbare Formel empfingen⁠ ⁠: Meine Männer und Frauen⁠ ⁠! Da insbesondere meine Frauen, wenigstens im Abendland, sich als Vielheit schwerlich der normaleren Besitzvorstellung anpassen, so kann nur die einer Gefolgschaft von Mannen und Männinnen Platz greifen, wie sie dem Begriff des Führertums ja tatsächlich entspricht. Nennen wir es Expansionsdrang oder Gewalttätigkeit — sprachliches Neuland ist erobert.