Doch was bedeutet die verdorbene Gehirnmaschine, die anders funktioniert als sie sollte, gegen das blendende und betäubende Naturwunder der Lüge, das sich im stündlichen Formenwechsel offenbart und gleichwohl nimmer enthüllt, und wenn es sich selbst in Abrede stellte⁠ ⁠! Auch sonst ist es ja der Zeit gegeben, daß sie ihren Wirkern das Fundament erneuert, auf dem sie ohne Gedächtnis und ohne Scham täglich neu beginnen, spottend der Betrachtung, die sich selbst nicht mehr versteht, und nichts vermag, als ihnen den verlaßnen und vergeßnen Standpunkt nachzutragen. Wenn das, was man zu sagen hat, vor die Welt tritt, so ist es längst nicht wahr, denn jetzt sagen es schon die Lügner. Oder auch sie nicht mehr⁠ ⁠; erweisbar wäre nichts, nur daß dazwischen Menschen verblutet sind, und auch dies haftet nicht, da schon neue Machtverfügung neue Opfer fordert. Sisyphusarbeit ein Spiel gegen die Mühsal, die Zeit aus dem Tag zu zeichnen. Doch selbst sie wäre zu tragen, hätte nicht der Zufall, der das Getriebe erhält, Einbruch diesem Irrationalen gewährt⁠ ⁠; und mit dem Überstoff, der den Verstand schon im Hinschaun verwirrt, hat es wahrlich sein Kreuz und seinen Haken dazu. Denn labyrinthisch wäre schon dies Schlichte, das in unser Denken trat, wenn es nur zu sich hielte, und unendlich sein Gegenspiel zur Wirklichkeit und zu allen Beziehungen, worin man sie peinvoll erlebt hat. Es ist aber sein Wesen, nie das zu sein, was es scheint, und alle Antithese so in sich einzubeziehen, daß es sich verleugnend stärker wirkt als mit dem, was es verleugnet.Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,Verstehen sie vom Sein den Schein zu trennen,Und jeder schwört, das sei das Sein. Noch wenn sie sich selber hereinfallen, ihrer Wirkung sicher. Wissen wir denn, wissen sie selbst denn, womit sie uns plagen⁠ ⁠? Sie wissen es nicht⁠ ⁠; nicht, was sie sind, und nicht einmal, was sie verleugnen. »Wir dürfen daher nicht« ist der logische Schluß aus der Erkenntnis, daß wir gedurft haben und immer noch dürfen. »Es kommt jetzt nicht auf Programme und Ideen an«, durch die wir groß, durch deren Mißbrauch wir größer geworden sind, durch deren Verrat wir am größten werden. Die Ideen des Programmes verpflichten uns nicht, wie Narren zu handeln und alles umzustürzen. Als hätten sie je zu etwas anderm verpflichtet. Aber die Verhältnisse sind eben noch nicht reif, angepaßt und gemeistert zu werden, und »so einen Blödsinn«, daß wir unsere Ideen ausführen, wird man uns nicht zumuten. Das Programm hat so stark gewirkt, daß man es nicht mehr braucht⁠ ⁠; es läßt einen Glauben zurück, der der irdischen Güter entbehren kann, um letzten Endes Berge zu versetzen. Er sichert nicht die Macht, aber deren Bewußtsein, er verleiht den Mut, täglich von vorn anzufangen und einer Nation, der das ruere in servitium ein Akt der Wollust ist, Strafe und Last als Gnade zuzuteilen. Das spielt sich im Politischen so leicht wie im Sozialen ab. Als das Zentrum seinen Leiden erlag erfolgte die Auflösung im Einvernehmen mit dem Überwinder, und die Toten gelobten, sich in Treue »von niemand übertreffen zu lassen«. Damit die Juden hinauskönnen, »dürfen« sie Exportware abnehmen⁠ ⁠; und überall mischt die Mordslüge noch den freien Willen ein nebst der Gnade des Erpressers. Alles spendet. »Unzählige Beamte und Angestellte«, »unzählige Arbeiter« haben, da die Lebensmittel ohnehin unerschwinglich sind, nicht nur einen Teil ihres Gehaltes oder Lohnes »als freiwillige Spende zur Förderung der nationalen Arbeit« abgeführt, sondern darüber hinaus ihren Arbeitgeber ersucht, ihnen bis auf Widerruf von ihrem Gehalt oder Lohn einen bestimmten Hundertsatz einzubehalten . . Sonst widerführe es ihnen selbst. Und wie der Wahn normenhaft waltet und das Chaos täglich die Einrichtung besorgt — teils glaubt man dem Wunder, teils ist man davon überwältigt. »Wie konnte das geschehn⁠ ⁠?« Es konnte, weil eine Minorität sich der vorhandenen Waffen bemächtigt hat, um neue zu schaffen, und nun jeweils als Mehrheit den bezwungenen Gruppen und den wehrlosen Einzelnen gegenübersteht. Das Ende einer Panik, die auf die weitere Menschheit übergreift, wäre nur vom organischen Ablauf zu erwarten, indem schließlich auch die Widernatur den Naturgesetzen erliegt und die entfesselte Unersättlichkeit sich dahin wendet, wo ihr Ermächtigung wurde. In einer Gemeinschaft, die auf der Anmaßung des Amtscharakters durch jeden beruht, ihm Handlungen gewährend, gegen die er sonst Schutz bedeutet, bleibt dem Griff nach Gut und Blut noch die Rache an denen, die ihn bewilligt haben. Ihre Ahnung ist mit den Richtlinien gezeichnet, die wir täglich wie aus dem Angsttraum totaler Ohnmacht hervortreten sehen — als das Leitmotiv der Unberufenen, die »immer wieder in den Staatsapparat greifen«, der ohne sie nicht erschaffen wäre. Dieser tägliche Trommelschall der Parolen weckt die Angst der Hörer, aber betäubt auch die Angst der Trommler. Einst konnte vor Kommunisten gewarnt werden, Provokateuren, Feinden der nationalen Erhebung, Elementen, die in SA.-Uniform das tun, was deren rechtmäßige Träger tun⁠ ⁠; jetzt wären jene harmlos gegen die Gefahr der rechtmäßigen, die »andauernd durch unbefugte Eingriffe die Wirtschaft beunruhigen« und sogar schon »ihr Unwesen treiben«, Elemente genannt werden, Feinde der nationalen Erhebung, ja Kommunisten. Wenn sie’s früher taten, waren es die andern⁠ ⁠; jetzt sind sie es selbst, zwar von Provokateuren verführt, aber sie sind es. Diese Kobolde greifen in alle Zweige der Verwaltung, sie holen nach wie vor Warenhausbesitzer zur Folterung, sie dringen nachts in die Häuser, wenn sie Geld für Benzin brauchen, sie sammeln freiwillige Spenden, sie gründen private Rasseämter. Und sind mit Recht erstaunt, daß sie das alles nicht sollen⁠ ⁠; denn ihnen hat man doch nie einreden können, daß Begleiterscheinungen nicht das Wesen seien. Und je eindringlicher man sie aufklärt, umso weniger wollen sie verstehen. Kein Zweifel, die Organe, die dem Führerwillen von Natur untergeordnet sind, drohen sich dieser Bestimmung zu entziehen. »Wollen immer weiter«. Man hat lange geglaubt, sie durch Freigabe des Blutes zur Prüfung wie auch zur Vergießung ablenken zu können, nun mehren sich die Zeichen, daß ihnen der Wunder zu wenig sind. Teils sind es solche, die dem Programm entsagen, indem ihnen Eigennutz vor Gemeinnutz geht, wobei sie sich an das Vorbild der Führer halten, die dann bedauernd feststellen, es liege »nun einmal in der Natur des Menschen, daß der Interessent durch das Gewand des Idealisten hindurchschimmert«. Teils aber, und das sind die schlimmern, sind es Idealisten, die auf dem Schein bestehen, die Brechung der Zinsknechtschaft »und weiß Gott was alles« verlangen. Sie wollen mit der nationalen Erfüllung nicht vorlieb nehmen, sie begehren auch noch die sozialistische, die mit jener doch schon im Programm so schwer vereinbar war⁠ ⁠; ja manche finden, daß auch dem Nationalen bis auf sein »Nahziel«, den Judenpunkt, nicht entsprochen sei, solange nicht auch die Brechung des Versailler Vertrages geschieht, als ob nicht gerade dies bis zu einem gewissen Maß schon der Fall wäre. Solchen Mißvergnügten wird Schutzhaft, Auflösung ihrer Formationen zuteil, ja sogar die Feststellung durch das Wolffbüro, daß sie nicht erfolgt ist. Gleichwohl wirkt die Irrlehre, daß das Programm verraten sei, einen Zauber, mit dem sie fast schon an das Programm hinanreicht. Ihr zu begegnen erfordert eine Besonnenheit, die man bisher nicht nötig hatte. Wenn man zwar noch immer nicht weiß, was man will, so weiß man doch heute, was man nicht will und daß zumindest eine Verwirklichung des sozialistischen Ideals, dessen legitime Bekenner man geschlachtet hat, ein Nonsens wäre, der die so erlangte Machtposition erschüttern würde. Da aber Weigerung die abgewandte Gefahr des Bolschewismus herbeiführt, so ist guter Rat teurer als Butter.