Daß so mancher Einlaß fand, selbst Ausländer, die doch von Natur verdächtig sind, hat seinen guten Grund⁠ ⁠: Nicht jeder russische Schriftsteller ist Kulturbolschewist. Dostojewski und Tolstoi gehören nicht auf den Index (ohne Dostojewski kein Moeller van den Bruck⁠ ⁠!) Der Mann hat also seine Meriten. Der Kommentar zur Schwarzen Liste jedoch, der vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung »anerkannt und für die staatlichen Buchberatungsstellen auf dem Lande verbindlich erklärt worden ist«, stellt sogar ausdrücklich fest, daß »nicht jeder jüdische Schriftsteller ein Asphaltliterat« ist. Man würde nun — und jetzt erbitte ich Spannung — unmöglich erraten, welcher Semit, auserwählt, als der einzige aus der Sündflut gerettet zum Vorschein kommt. Bin Gorion⁠ ⁠! Ein Name, den noch wenige Teilhaber der Mitwelt vernommen haben. Die Arche Noah hat ihre Notbesatzung verloren, aber einer steckt den Kopf heraus und ruft hinüber zum Ufer der erstaunten Nachwelt⁠ ⁠: »Bin gerettet⁠ ⁠! Bin Gorion⁠ ⁠!« »Wer sind Sie⁠ ⁠?« fragt man, da man den Vorgang nicht gleich versteht. Doch »Bin« ist ein Vorname, und der amtliche Kommentar, der da wirklich nötig ist, erklärt, daß die Kritik, die Bin Gorion, Zionist, »stets an den literarischen Assimilationsjuden geübt hat, das jüdisch-völkische Prinzip vertritt«. Da man auch den Zunamen zum erstenmal hört und etwas nicht Seiendes, wirklich noch nicht Dagewesenes nunmehr existent wird, bin ich genötigt, stolz zu bekennen, daß zu den literarischen Assimilationsjuden, an denen Bin stets Kritik geübt hat, vor allem ich gehöre, hoffend, daß ein Bröserl Beachtung nun auch für mich abfallen wird. Endlich muß ich nun auf die »Polemik« hinweisen, die er mir widerfahren ließ, die Gänsefüßchen sträuben sich, aber die Hühner des Morgenlandes, soweit sie von ihr Kenntnis erhielten, verdanken ihr ein fröhliches Viertelstündchen. Die des Dritten Reiches, die keinen Humor haben, bleiben todernst. Es ist ein Essay, den ich — jetzt hilft kein Leugnen mehr — zwar nicht in meiner Bibliographie angeführt habe, weil ich eigenem wie fremdem Ehrgeiz widerstrebe⁠ ⁠; den ich auch sonst nicht gewürdigt hätte, weil ich Versuche, sich auseinanderzusetzen, grundsätzlich gewähren lasse⁠ ⁠; der aber in einer Vorlesung aus »Eigenen Schriften« ein Kabinettstück wäre, wenn ich mich hinreißen ließe. Geschähe es, so ertönte wohl der verhallende Ruf des abgehenden Höflings Alvarez aus dem »Blaubart«⁠ ⁠: »Bin verloren⁠ ⁠ Doch nun ist ein Arrivée erfolgt, das aus der Literaturgeschichte nicht mehr wegzudenken sein wird, ausgerechnet bei Goering ist Gorion angekommen, und wenngleich die Gefahr besteht, daß man einst Benn mit Bin verwechselt, so ist es doch erfreulich, daß für so etwas die großartigste Realisation des Weltgeists überhaupt Raum hatte. Die Kulturgeschichte wird ihren Anteil verlangen. Denn die Vorstellung, daß die namhaftesten Glaubensgenossen verfehmt und verbrannt, tausende, die ein nützliches und ehrenhaftes Gewerbe betrieben haben, mißhandelt, ruiniert oder umgebracht sind, dieser eine aber, dessen Beziehungen zur deutschen Sprache nur den Sinn einer Repressalie haben können, ausgerechnet Bin Gorion als Standarte im Kampf gegen den undeutschen Geist vorangetragen wird — solcher Vorstellung sich hinzugeben, grenzt schon an Greuelpropaganda⁠ ⁠! Wie dieser Fernhintreffer, dieser Terno, den das Dritte Reich gemacht hat, beschaffen ist⁠ ⁠; wie dieser Ausnahmsfall aussieht, von dem ich totschweigender Totgeschwiegener nicht geträumt hätte, ihm noch einmal und an solcher Weltwende zu begegnen — wie er denkt und schreibt, das zu erfahren muß jetzt jeder nachholen, der bisher ahnungslos war und der die Strapaze nicht fürchtet, sich aus einer deutschen Schrift das Alphabet zusammenzustellen. Bin Gorion⁠ ⁠! Es bleibt nur die Vermutung, daß die nationalen Studenten ihn für den einzigen Autor halten, der nicht mehr aus dem Hebräischen übersetzt werden muß.