Doch so beklagenswert ihr Verfall um deren willen sein mag, die sich führen lassen, so ist doch wieder ihre Ohnmacht, Notwendiges ernstlich zu gefährden, ein Treffer. Denn was sie selbst einzig und unfehlbar trifft, ist die Wirkung, daß man ihr das, was sie treffen möchte, nicht glaubt. Es geht der Sozialdemokratie wie dem schlechten Schauspieler, den der große Kollege in der Weinstube Lutter & Wegner über die Ursache seiner Mißerfolge aufzuklären suchte⁠ ⁠; sie liege darin, daß er zwar ganz gut spreche, daß man jedoch »es ihm nicht glaubt«⁠ ⁠: »Machen Sie mal einen Versuch, und bestellen Sie einen Schoppen — der Kellner hört Sie an, er geht, aber er kommt nicht mit dem Schoppen⁠ ⁠; er bringt ihn Ihnen nicht — er glaubt’s Ihnen nicht⁠ ⁠ Wie sollte man es gar jenen glauben, daß sie Barrikaden wünschen, wenn sie sie auch noch so laut verlangen⁠ ⁠? Die Sprache ist antiquiert, die Sache ohne Beziehung zu ihr und darum nicht vorhanden. Sicherlich, der Nationalsozialismus ist von keinem andern oder doch einem ähnlich antiquierten geistigen Rhythmus fett geworden, wie der Sozialismus mager. Aber er hatte nicht nur die Phrase, sondern er wollte auch den Inhalt⁠ ⁠; er hat die Romantik und darum die bessere Organisation. Hier ist Wahn, dort nur die Leere⁠ ⁠; und sie wollen aus ihr Realstes schöpfen. Hoffnungslos, wenn die andern den gesprochenen Satz auch noch dem Leser bieten⁠ ⁠: Letzten Endes lodert ja doch wieder die helle, lodernde Flamme empor. Aber sie lodert leider. Wahn schuf Wahnschaffnes, Verderben und Tod, aber er schuf, er schaffte es, er ward Wirklichkeit⁠ ⁠; während diese ewigen Hübener und Drübener — kein Leitartikel ohne die Leier —, diese Einerseitse und Anderseitse Papier brennen lassen, wenn sie flammende Aufrufe schreiben, und sooft sie zündende Reden halten, als Feuerwehr bereit stehn, und als eine, mit der die SA. schon gar nicht zu verwechseln ist. Und eine Gewölbwache, wie sie vorbildlicher nicht gedacht werden könnte, hat noch, wenn die armen deutschen Genossen im Reichstag die Vaterlandshymne singen mußten, den Mut zu der Feststellung⁠ ⁠: Der internationale Kapitalismus wankt in seinen Grundfesten. Da aber das Christentum die andere Wange hinhielt und Rußland die Hoffnung auf ein Diskordat noch grimmiger enttäuschte — indem doch Politik jenseits der Menschheit wirkt und internationale Greuel die andern decken —⁠ ⁠: so gibt es nur eine Macht deren Feindschaft dauern wird, bis die hakenkreuzlerische Tyrannei niedergerungen sein wird. Diese Macht ist die Sozialdemokratie. Denn bis jene sich niederringt — und sie allein vermag es doch⁠ ⁠! —, wird es zwar Blut geben, aber auch Papier, damit solcher Humor die böse Zeit vertreibe. Wenn man sich dieses Naturereignis einer Ekrasierung, dieses vom Teufel bewirkte Afflavit et dissipati sunt der großen Bruder-Partei vergegenwärtigt — da ist wohl nicht auszudenken, was alles und immer noch sich mit dem Schleim der Sprache verzieren läßt. Und trostlos, wie viel an Hoffnungen und Enttäuschungen schon umgelogen wurde und vor der letzten Realität noch umgelogen wird durch ein Zurechtlegen der »Entwicklung«, durch eine Touristik für Wellenberg und Wellental, durch einen Intellektualbehelf, der den Könnern doch selbst endlich zu dumm werden müßte, bevor sie die andern mit so etwas dumm machen. Nie noch sind Begriffe wie »Kampf« und »Macht« so zur Schreibtischarbeit degradiert worden, so zum Mißbrauch von Drucklettern entartet wie bei einer Führerklasse, die, wenn sie proletarische Geduld damit zu höhnen fürchtet, ihr zur Abwechslung von Isegorie, Isonomie und Isotimie erzählt, Begriffen, die dazu erschaffen sind, den »freien Wettbewerb der Meinungen«, den »geistigen Kampf der Überzeugungen« zu führen, damit alle und auch die Hakenkreuzler um die Wette »werben« können⁠ ⁠; denn nichts wäre doch dringender, als der Gewalt mit »Demokratie« zu begegnen, auf daß sie sich ihrer bediene, um sie besser kaputt zu machen. Das geht so zwischen unhaltbaren Rütlischwüren und Taktik für Pleite, die ewige Doktorfrage⁠ ⁠: was fängt man mit dem angebrochenen Abend der Partei an. Ein Gekläre und Gedeute, das immer einsetzt, sooft die povere Leidenschaft verpufft ist, und das eine intellektuelle Schicht, die sich durch Spaltung fortpflanzt, zur internationalen Landplage gemacht hat. Gott schuf sie in seinem Zorn zu Politikern der Arbeitersache — sie aber blicken weiter⁠ ⁠! Wegen Unfähigkeit, das Nächstliegende zu erfassen, wird vorausgedacht, und das jeweilige Debakel ist selbstverständlich nur ein Abschnitt eines ungeheuren revolutionären Prozesses⁠ ⁠: Und darum⁠ ⁠: wenn wir zurück müssen zu Formen des Kampfes, die einem Rückschlag der Entwicklung entsprechen, und gleichzeitig vorwärts müssen zu Mitteln des Kampfes, wie sie die neue Zeit verlangt — so verbindet dies alles zu einer Einheit die aus der Vergangenheit kommende, die Gegenwart erfüllende, in die Zukunft weisende Größe des Kampfes selbst. Vorstellbar an diesem Schmus und Stuß ist weder dem proletarischen Leser etwas, dem nur die Umschreibung der Niederlage klar wird, noch dem Verfasser, der zu näherer Auskunft verhalten werden müßte, wie er sich den »Kampf«, wie er sich dessen »Formen« und dessen »Mittel«, und insbesondere, wie er sich diesen Unterschied denkt. Ferner, wie er sich die »Entwicklung« denkt, deren Strapaze immerhin vorstellbar wird als die einer Parteibeamtin, der man die Verantwortung aufwälzt. Und vorstellbar vor allem die Tragödie einer Partei, deren Geschichte auf die Treppenwitze solcher Wortführer angewiesen bleibt, die heute schon Pollakwitze sind. Greifbar aber nichts als die Sprache einer Entmachtung, der kein Wort zu groß ist für eine ausgeschwitzte Formel, um Pech den armen Opfern zu erklären, die zum Schaden noch die Deutung haben. Die Entwicklung, die den Ruin herbeigeführt hat und nicht etwa von den Ruinierern herbeigeführt wurde — immer ist sie es, die der Tugend Fallstricke legt. Ich möchte der schönen Helena durch einen Vergleich mit der österreichischen Sozialdemokratie nicht nahetreten, aber gegen die »Hand des Verhängnisses«, welche die häufigen Niederlagen jener verschuldet hat, ist die, auf die sich die politische Unschuld beruft, schon eine Pratzen⁠ ⁠! Doch unsere Gefallene ist wahrlich Helena und Großaugur in einer Person. Denn einst wird kommen der Tag, wo das Verhängnis zusperren kann und die Entwicklung ausgespielt hat. Wie man alles klarzustellen vermag, weiß man auch dies genau⁠ ⁠: selten war es im kleinen so schwer zu kämpfen wie heute⁠ ⁠; niemals war es im großen so sicher, zu siegen. Denn immer blaut dem Führerblick über dem Hagel, der die Geführten trifft, ein wolkenloser Himmel⁠ ⁠; immer baut sich ihm über der Niederlage eine Triumphpforte, unsichtbar den Profanen, denen es bloß erzählt wird. Die zu erwartende »Wendung der Machtverhältnisse« kann früher eintreten als — nun⁠ ⁠? als heute hüben und drüben mancher glaubt doch diese religiöse Gewißheit, die den obersten Grundsatz und Leitstern des sozialistischen Denkens und Handelns in sich trägt erfordert Vorkehrungen für den Endsieg, welche bereits getroffen sind⁠ ⁠: Aber möge uns in einer vielleicht gar nicht fernen Zukunft niemand mehr mit der zuckersüßen Versicherung kommen, er sei »eigentlich« immer schon Sozialdemokrat gewesen⁠ ⁠! Ein solcher wird so totsicher abgewiesen werden wie jene, die nicht »die Treue gehalten« haben und gegen die es eigentlich geht, weil sie in der augenblicklichen Lage der Dinge bei der »Österreichischen Front« mehr logischen Anhalt finden als bei der Sozialdemokratie. Warum sollte nicht auch sie sich auf eine schwarze Liste stützen, wie sie die Nationalsozialisten in den freien Wettbewerb der Meinungen und den geistigen Kampf der Überzeugungen eingeführt haben⁠ ⁠? Nämlich auf das gute Gedächtnis, das wir — jeder muß es wissen⁠ ⁠! — gegenüber jedem einzelnen Übermütigen oder Zaghaften von heute bewahren . . . Ich nehme es zur Kenntnis, sehe meinerseits der Entwicklung entgegen, möchte aber nicht zu den Zaghaften gerechnet werden. Was die vielleicht gar nicht ferne Zukunft betrifft, bin ich so übermütig, zu glauben, daß sich, wenn es ohne und gegen das Zutun der österreichischen Sozialdemokratie gelingt, das Schicksal der Bruderpartei von ihr abzuwenden, ihre Diminuierung in völlig zivilen Bahnen bewegen wird und daß sie sich, da ihr die Gleichschaltung erspart bleibt, mit der Ausschaltung begnügen dürfte. Natürlich bliebe dann doch auch die Hoffnung, daß es der Arbeiterschaft gelingen wird, Führer, die sich so lange schon bewährt haben, ins verdiente Ausgedinge zu geleiten.