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selten war es im kleinen so schwer zu kämpfen wie heute ; nie-
mals war es im großen so sicher, zu siegen. Denn immer blaut dem Führerblick über dem Hagel,
der die Geführten trifft, ein wolkenloser Himmel ;
immer baut sich ihm über der Niederlage eine
Triumphpforte, unsichtbar den Personen, denen es
bloß erzählt wird. Die zu erwartende »Wendung der
Machtverhältnisse« kann früher eintreten▒ als — nun ?
als heute hüben und drüben mancher glaubt
doch diese religiöse Gewißheit,
die den obersten Grundsatz und Leitstern des sozialistischen Denkens
und Handelns in sich trägt erfordert Vorkehrungen für den Endsieg, welche
bereits getroffen sind : Aber möge uns in einer vielleicht gar nicht fernen Zukunft
niemand mehr mit der zuckersüßen Versicherung kommen, er sei
»eigentlich« immer schon Sozialdemokrat gewesen ! Ein solcher wird so totsicher abgewiesen werden wie
jene, die nicht »die Treue gehalten« haben und
gegen die es eigentlich geht, weil sie in der augen-
blicklichen Lage der Dinge bei der »Österreichischen
Front« mehr logischen Anhalt finden als bei der
Sozialdemokratie. Warum sollte nicht auch sie sich
auf eine schwarze Liste stützen, wie sie die National-
sozialisten in den freien Wettbewerb der Meinungen
und den geistigen Kampf der Überzeugungen einge-
führt haben ?Also auf
das gute Gedächtnis, das wir — jeder muß es wissen ! —
gegenüber jedem einzelnen Übermütigen oder Zaghaften
von heute bewahren . . . Ich nehme es zur Kenntnis, sehe meinerseits der
Entwicklung entgegen, möchte aber nicht zu den
Zaghaften gerechnet werden. Was die vielleicht gar
nicht ferne Zukunft betrifft, bin ich so übermütig, zu
glauben, daß sich, wenn es ohne und gegen das
Zutun der österreichischen Sozialdemokratie gelingt,
das Schicksal der Bruderpartei von ihr abzuwenden,
mals war es im großen so sicher, zu siegen. Denn immer blaut dem Führerblick über dem Hagel,
der die Geführten trifft, ein wolkenloser Himmel ;
immer baut sich ihm über der Niederlage eine
Triumphpforte, unsichtbar den P
bloß erzählt wird. Die zu erwartende »Wendung der
Machtverhältnisse« kann früher eintreten
und Handelns in sich trägt erfordert Vorkehrungen für den Endsieg, welche
bereits getroffen sind : Aber möge uns in einer vielleicht gar nicht fernen Zukunft
niemand mehr mit der zuckersüßen Versicherung kommen, er sei
»eigentlich« immer schon Sozialdemokrat gewesen ! Ein solcher wird so totsicher abgewiesen werden wie
jene, die nicht »die Treue gehalten« haben und
gegen die es eigentlich geht, weil sie in der augen-
blicklichen Lage der Dinge bei der »Österreichischen
Front« mehr logischen Anhalt finden als bei der
Sozialdemokratie. Warum sollte nicht auch sie sich
auf eine schwarze Liste stützen, wie sie die National-
sozialisten in den freien Wettbewerb der Meinungen
und den geistigen Kampf der Überzeugungen einge-
führt haben ?
gegenüber jedem einzelnen Übermütigen oder Zaghaften
von heute bewahren . . . Ich nehme es zur Kenntnis, sehe meinerseits der
Entwicklung entgegen, möchte aber nicht zu den
Zaghaften gerechnet werden. Was die vielleicht gar
nicht ferne Zukunft betrifft, bin ich so übermütig, zu
glauben, daß sich, wenn es ohne und gegen das
Zutun der österreichischen Sozialdemokratie gelingt,
das Schicksal der Bruderpartei von ihr abzuwenden,
| rofa
|₰
| Nämlich
Jerusalemer Konvolut, fol. [223] recto
Pagination oben rechts: "214". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 04. 06. 1933 (zitierter Text)