48
Wenn sie wüßten, was zu erleben schon früh unser
Schicksal wurde, daß ein politischer Führer keineswegs
naturnotwendiger Weise amusischen Charakters sein
muß, sondern sehr wohl mit der Härte einer heroischen Über-
zeugung und der Unerbittlichkeit des Befehls Aufgeschlossenheit
für alle künstlerischen Verklärungen des Daseins
haben kann — sie würden, dessen waren wir von jeher gewiß,
zur Heerschar derjenigen stoßen, die wie wir »aller Differenziertheit des Intellekts entsagen lernten«,
um ihn »schlechthin zu lieben«. Wenn sie wüßten — dieser Gedanke bemächtigte sich
unser mit fast quälender Gewalt. Man kann sich denken, was die vom ‚Völkischen
Beobachter‘ gelitten haben ; es grenzt an Dachau.
Aber : Sie sollen es wissen, sie müssen es wissen ! Zu diesem Behufe werden »die künstlerisch--
schöpferischen Persönlichkeiten der Theater- und
Filmwelt« an den Kaiserhof, der ein Hotel ist,
berufen :Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
Drang aus dem Abgrund ich herauf,
Und fordre laut, zu neuem Leben,
Mir fröhliche Bewohner auf
und es ergibt sich, ganz im Concordiastil, da man
die Staatskunst mit der Muse plaudern sah, ein
zwangloser, aber reger Gedankenaustausch. Mancher,
dem ich Talent beigebracht habe, ist dabei und
sonnt sich. Man sieht, wie Willy Fritsch beim
Händedruck am Ziel ist, wie die Paudler (deren
Gleichschaltung mich gleichfalls kalt läßt) ins
Dritte Reich eingeht, man hört wie die Liane Haid
ausruft : »Großartig hab’n S’ das g’macht, Herr
Hitler, nur so weiter, toi toi toi !« Und immer
lachend Goebbels unter den Lamien▒
Wie sie dem Satyrvolk behagen ;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.
Und nun :
durchzuckt uns nicht mehr jenes schmerzliche :
Wenn sie wüßten, sondern beglückt uns die Gewiß-
heit : Jetzt wissen sie ! Von da ist im Musischen nur noch ein Schritt zu der
Feststellung der sogenannten »Dötz«, das Publikum
Schicksal wurde, daß ein politischer Führer keineswegs
naturnotwendiger Weise amusischen Charakters sein
muß, sondern sehr wohl mit der Härte einer heroischen Über-
zeugung und der Unerbittlichkeit des Befehls Aufgeschlossenheit
für alle künstlerischen Verklärungen des Daseins
haben kann — sie würden, dessen waren wir von jeher gewiß,
zur Heerschar derjenigen stoßen, die wie wir »aller Differenziertheit des Intellekts entsagen lernten«,
um ihn »schlechthin zu lieben«. Wenn sie wüßten — dieser Gedanke bemächtigte sich
unser mit fast quälender Gewalt. Man kann sich denken, was die vom ‚Völkischen
Beobachter‘ gelitten haben ; es grenzt an Dachau.
Aber : Sie sollen es wissen, sie müssen es wissen ! Zu diesem Behufe werden »die künstlerisch--
schöpferischen Persönlichkeiten der Theater- und
Filmwelt« an den Kaiserhof, der ein Hotel ist,
berufen :
die Staatskunst mit der Muse plaudern sah, ein
zwangloser, aber reger Gedankenaustausch. Mancher,
dem ich Talent beigebracht habe, ist dabei und
sonnt sich. Man sieht, wie Willy Fritsch beim
Händedruck am Ziel ist, wie die Paudler (deren
Gleichschaltung mich gleichfalls kalt läßt) ins
Dritte Reich eingeht, man hört wie die Liane Haid
ausruft : »Großartig hab’n S’ das g’macht, Herr
Hitler, nur so weiter, toi toi toi !« Und immer
lachend Goebbels unter den Lamien
Wenn sie wüßten, sondern beglückt uns die Gewiß-
heit : Jetzt wissen sie ! Von da ist im Musischen nur noch ein Schritt zu der
Feststellung der sogenannten »Dötz«, das Publikum
| :
Jerusalemer Konvolut, fol. [48] recto
Pagination oben rechts: "48". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
- Buntstift, rot
- Bleistift
- #undefined
- Markierung für den Druck der Fackel Nr. 890: vertikale Linie Rechts
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 26. 05. 1933 (zitierter Text)