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Rettung der nationalen Geistesehre rechtfertigt. Er
muß es erschwindeln. Denn niemand in Deutschland
hat, nicht einmal ich habe eine Agitation für Offen-
bach zugleich mit lächelnder Ablehnung Wagners
betätigt, wiewohl ich bereit bin, Herrn Diebold zu
garantieren, daß eine Generation, die einen Wahn
zu überleben vermöchte, dem witzigen Porzellan-
figürchen, das der größte Musikdramatiker aller Zei-
ten, ja der Schöpfer einer Bühnenwelt war, mehr
verdanken wird als dem Giganten, dem sechs Stunden
lauschen zu können die Kulturheuchler und nun auch
die nationalen Parvenüs behaupten. (Und wiewohl
ich, nicht gern auf Nietzsche mich stützend, der
Meinung bin, daß selbst die französischen Texte, die
Herr Diebold verachtet — losgelöst wenig bedeutend,
viel vermöge der Unlösbarkeit —, daß sie mehr
organisches Leben und Fluß enthalten als alles
Wigelaweia und Hojotoho, worin vielleicht ein Tiefstes
geborgen ist, das sich leider der Sprache, der Musik,
dem Gesamtkunstwerk versagt, doch gewiß jenes
Deutscheste, dem Wagners Meisterprosa in Natur
und Tendenz entgegenstrebt.) Wenngleich es aber für
mich ausgemacht ist, daß der deutsche Rundfunk in
in zwanzig völkischen Jahrgängen der Nation nicht
das Entzücken ersetzen wird, das er ihr in zweien
durch den Offenbach-Zyklus gewährt hat — eine schönere und wirksamere kulturelle Demonstration hat der deutsche
Funk nicht zu bieten schrieb eine nationale Feder —, so werdedennoch
selbst dieser Punkt nebensächlich vor der allgemeinen
Kulturfrage. Nämlich ob der Diebold nicht die Kon-
junktur des Schreckens benützen will, um sich an
dem zu rächen, den er als den Träger einer miß-
liebigen Kunstpropaganda meint und den er gar
nicht erst nennen muß, um ihn als Objekt einer
»schweren Anschuldigung« kenntlich zu machen,
muß es erschwindeln. Denn niemand in Deutschland
hat, nicht einmal ich habe eine Agitation für Offen-
bach zugleich mit lächelnder Ablehnung Wagners
betätigt, wiewohl ich bereit bin, Herrn Diebold zu
garantieren, daß eine Generation, die einen Wahn
zu überleben vermöchte, dem witzigen Porzellan-
figürchen, das der größte Musikdramatiker aller Zei-
ten, ja der Schöpfer einer Bühnenwelt war, mehr
verdanken wird als dem Giganten, dem sechs Stunden
lauschen zu können die Kulturheuchler und nun auch
die nationalen Parvenüs behaupten. (Und wiewohl
ich, nicht gern auf Nietzsche mich stützend, der
Meinung bin, daß selbst die französischen Texte, die
Herr Diebold verachtet — losgelöst wenig bedeutend,
viel vermöge der Unlösbarkeit —, daß sie mehr
organisches Leben und Fluß enthalten als alles
Wigelaweia und Hojotoho, worin vielleicht ein Tiefstes
geborgen ist, das sich leider der Sprache, der Musik,
dem Gesamtkunstwerk versagt, doch gewiß jenes
Deutscheste, dem Wagners Meisterprosa in Natur
und Tendenz entgegenstrebt.) Wenngleich es aber für
mich ausgemacht ist, daß der deutsche Rundfunk in
das Entzücken ersetzen wird, das er ihr in zweien
durch den Offenbach-Zyklus gewährt hat — eine schönere und wirksamere kulturelle Demonstration hat der deutsche
Funk nicht zu bieten schrieb eine nationale Feder —, so werde
selbst dieser Punkt nebensächlich vor der allgemeinen
Kulturfrage. Nämlich ob der Diebold nicht die Kon-
junktur des Schreckens benützen will, um sich an
dem zu rächen, den er als den Träger einer miß-
liebigen Kunstpropaganda meint und den er gar
nicht erst nennen muß, um ihn als Objekt einer
»schweren Anschuldigung« kenntlich zu machen,
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Jerusalemer Konvolut, fol. [28] recto
Pagination oben rechts: "28". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 04. 1933 (zitierter Text)