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dessen, was eigentlich von Goebbels erstrebt ist, der
ja doch hundert Jahre nach Goethe in die deutsche
Kultur trat, so hat sie dem Diebold, der ihr an-
haftet, erlaubt, sich programmatischer auszusprechen.
Wenn er sich aber beeilte, der neuen Macht seine
Tüchtigkeit darzureichen, so geschah es nicht so
sehr zu dem geringfügigen Zweck seiner Selbster-
haltung, als in der sittlicheren Absicht, ihre Aufmerk-
samkeit auf einen ihm unbequemen Autor zu lenken,
dessen erhofftes Schweigen ihm das Gefühl der
eigenen Sicherheit noch erhöhen mochte. Er glaubte|
nun freilich, daß er es durch einen Fingerzeig fest-
legen könnte, aber er unternahm diesen bloß mit
dem Erfolg, es zu unterbrechen. Daß man im neuen
Staat entschlossen ist, »dem überhandnehmenden
Denunziantentum entgegenzutreten« wie allen sonsti-
gen Einzelaktionen, die man fördert, davon hatte
Diebold nichts zu befürchten, als er sich mit dem
Artikel einstellte, dessen Titel eine Frage war, die
einen gewissen Zweifel zu bekunden schien : Und die Kultur ? Anstatt aber als der Kulturmensch, den er doch
immerhin mit der Fähigkeit des ehemaligen Burg-
theaterkomparsen darstellt, die Frage glatt zu ver-
neinen, kam er dem Umschwung mit Erwartungen
entgegen, deren leise Skepsis höchstens den Schmerz
hervortreten läßt, daß Reinhardt geopfert wurde, dieses theatralische Genie, das die deutschen Klassiker in vorbildlicher
Weise im Sinne der Dichtung für Generationen neugestaltet hat. Da diese somit doch versorgt wären, kann sich
Diebold den positiveren Vorzügen der nationalen
Kulturreform hingeben, und da gelangen wir gleich
in medias res dessen, was er eigentlich auf dem
Herzen hat :
ja doch hundert Jahre nach Goethe in die deutsche
Kultur trat, so hat sie dem Diebold, der ihr an-
haftet, erlaubt, sich programmatischer auszusprechen.
Wenn er sich aber beeilte, der neuen Macht seine
Tüchtigkeit darzureichen, so geschah es nicht so
sehr zu dem geringfügigen Zweck seiner Selbster-
haltung, als in der sittlicheren Absicht, ihre Aufmerk-
samkeit auf einen ihm unbequemen Autor zu lenken,
dessen erhofftes Schweigen ihm das Gefühl der
eigenen Sicherheit noch erhöhen mochte. Er glaubte|
legen könnte, aber er unternahm diesen bloß mit
dem Erfolg, es zu unterbrechen. Daß man im neuen
Staat entschlossen ist, »dem überhandnehmenden
Denunziantentum entgegenzutreten« wie allen sonsti-
gen Einzelaktionen, die man fördert, davon hatte
Diebold nichts zu befürchten, als er sich mit dem
Artikel einstellte, dessen Titel eine Frage war, die
einen gewissen Zweifel zu bekunden schien : Und die Kultur ? Anstatt aber als der Kulturmensch, den er doch
immerhin mit der Fähigkeit des ehemaligen Burg-
theaterkomparsen darstellt, die Frage glatt zu ver-
neinen, kam er dem Umschwung mit Erwartungen
entgegen, deren leise Skepsis höchstens den Schmerz
hervortreten läßt, daß Reinhardt geopfert wurde, dieses theatralische Genie, das die deutschen Klassiker in vorbildlicher
Weise im Sinne der Dichtung für Generationen neugestaltet hat. Da diese somit doch versorgt wären, kann sich
Diebold den positiveren Vorzügen der nationalen
Kulturreform hingeben, und da gelangen wir gleich
in medias res dessen, was er eigentlich auf dem
Herzen hat :
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|₰
Jerusalemer Konvolut, fol. [26] recto
Pagination oben rechts: "26". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 04. 1933 (zitierter Text)