18
Entwicklung nicht zu Ende war und mit der erschaf-
fenen Form auch das Beispiel zu geistiger und
moralischer Anwendung verloren ging. Größer als
das Behagen, ein Übel entfernt zu wissen, das noch
Macht hatte gegen die Polemik, ist der Wunsch, es
erhalten zu sehen, und nur der Flachsinn kann
glauben, daß der Satiriker nicht ehrlich trauert, wenn
ihm ein Mann der Öffentlichkeit auf der Höhe ge-
meinsamer Schaffenskraft entrückt wird. Denn ein
anderes ist die publizistische Aktion, die eine krimi-
nalistische zu ersetzen und darum mit Erfolg abzu-
schließen hat, etwa daß einer hinaus aus Wien
kommt — ein anderes die satirische Beweisführung,
daß er der größte im ganzen Land sei. (Wiewohl
es eine Übertreibung war und wir heute froh
wären, beide Kerle zu haben.) Und nun gar
die Möglichkeit, das Niveau der Zeit an einem
faulen Theaterzauber, dem sie erliegt, stets aufs
neue darzutun ! Die Entmachtung der Faktoren »von
Reinhardt bis Kerr« mag als Resultat erfreulich sein ;
aber ganz abgesehen davon, daß ich es von der
schmutzigen Stupidität, die es bewirkt hat, nicht ge-
schenkt nehme, wird sich schon herausstellen, daß
mein Verlustherber war als der, den die Kulturwelt
erleidet. Allein ich sage mir, was Staatsmänner nach
einem Rückschlag zu äußern pflegen : Ich bin Optimist.
Ich denke mir, daß mancher heimfinden wird, der
jetzt dem Interviewer versichern muß, daß er nicht
geflohen, sondern mit der Eisenbahn gekommen sei ;
ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, daß
eine zusammenfassende Rückschau auf das, was ich in
Berlin zwischen Theater, Presse und Justiz erlebt und
schonverzeichnet habe, der Nachwelt unverloren, auch
der Mitwelt zugänglich werden könnte, ja ich glaube,
fenen Form auch das Beispiel zu geistiger und
moralischer Anwendung verloren ging. Größer als
das Behagen, ein Übel entfernt zu wissen, das noch
Macht hatte gegen die Polemik, ist der Wunsch, es
erhalten zu sehen, und nur der Flachsinn kann
glauben, daß der Satiriker nicht ehrlich trauert, wenn
ihm ein Mann der Öffentlichkeit auf der Höhe ge-
meinsamer Schaffenskraft entrückt wird. Denn ein
anderes ist die publizistische Aktion, die eine krimi-
nalistische zu ersetzen und darum mit Erfolg abzu-
schließen hat, etwa daß einer hinaus aus Wien
kommt — ein anderes die satirische Beweisführung,
daß er der größte im ganzen Land sei. (Wiewohl
es eine Übertreibung war und wir heute froh
wären, beide Kerle zu haben.) Und nun gar
die Möglichkeit, das Niveau der Zeit an einem
faulen Theaterzauber, dem sie erliegt, stets aufs
neue darzutun ! Die Entmachtung der Faktoren »von
Reinhardt bis Kerr« mag als Resultat erfreulich sein ;
aber ganz abgesehen davon, daß ich es von der
schmutzigen Stupidität, die es bewirkt hat, nicht ge-
schenkt nehme, wird sich schon herausstellen, daß
mein Verlust
erleidet. Allein ich sage mir, was Staatsmänner nach
einem Rückschlag zu äußern pflegen : Ich bin Optimist.
Ich denke mir, daß mancher heimfinden wird, der
jetzt dem Interviewer versichern muß, daß er nicht
geflohen, sondern mit der Eisenbahn gekommen sei ;
ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, daß
eine zusammenfassende Rückschau auf das, was ich in
Berlin zwischen Theater, Presse und Justiz erlebt und
schon
der Mitwelt zugänglich werden könnte, ja ich glaube,
| beendet
| größer
| aufge
Jerusalemer Konvolut, fol. [18] recto
Pagination oben rechts: "18". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 21. 04. 1933 (zitierter Text)