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unter die aber »gewiß Juden fallen«. Wir »müssen uns
kritisch fragen«, wie der Diebold Kulturkritik treibt
und zur rechten Zeit anbringt. Denn er weiß, daß
Offenbach bei denDeutschstämmigen so unbeliebt
ist wie ich beim Diebold, und gewohnt, ihn zu
treffen, wenn er mich meint, treibt er gewissermaßen
zwei Fliegen für den erhofften Schlag zusammen.
Umso sicherer, wenn er mich noch ausdrücklich
nennt, um dem Verdacht des»Kulturbolschewismus«
alles zu geben, was gebraucht wird. Nie wäre es
ihm natürlich in den Sinn gekommen, Offenbach
zu hassen, wenn er mich nicht haßte, aber jetzt
läßt sich einmal auch aussprechen, was sonst nur
zwischen den Zeilen Raumfand, und erinnern, wer
eigentlich an der Verbreitung eines Übels schuld
ist, das dem Diebold sonst eher stagelgrün aufläge.
Der Umweg freilich, den er zum guten Ziele nimmt,
ist langwierig. Da werden zunächst alle überstan-
denen Leiden aufgezählt, die die völkische Seele
ertragen mußte bis zur »gewaltigen politischen Um-
walzung«, die »notwendiger Weise auch das Kultur-
bewußtsein wandelt«. Diebold gibt ein Bild der Ver-
lotterung, die bis zum erreichten Heil »in den
Gesellschaftsformen« eingerissen war, nicht etwa in
den Umgangsformen (die in Gesellschaft nie hyste-
risch ausarten sollten), sondern in den sittlichen
Belangen. Der Bankrotteur übelster Sorte sei gedul-
det worden, einen »bürgerlichen Tod« — Diebold
übersetzt gleich, damit die Nazi nicht irregehen :
»Mort civil« — den gab es überhaupt nicht ; keine
Schuld mehr konnte zur Ächtung führen. Lauter
goldene Worte über Verhältnisse, die zwar nicht
direkt auf Offenbach zurückzuführen sind, aber einem
Mann wie Diebold über die Hutschnur gehen mußten. Auch im Verhalten des Publikums zur Presse wurde die Gleichgül-
tigkeit zu völliger Würdelosigkeit.
kritisch fragen«, wie der Diebold Kulturkritik treibt
und zur rechten Zeit anbringt. Denn er weiß, daß
Offenbach bei den
ist wie ich beim Diebold, und gewohnt, ihn zu
treffen, wenn er mich meint, treibt er gewissermaßen
zwei Fliegen für den erhofften Schlag zusammen.
Umso sicherer, wenn er mich noch ausdrücklich
nennt, um dem Verdacht des
alles zu geben, was gebraucht wird. Nie wäre es
ihm natürlich in den Sinn gekommen, Offenbach
zu hassen, wenn er mich nicht haßte, aber jetzt
läßt sich einmal auch aussprechen, was sonst nur
zwischen den Zeilen Raum
eigentlich an der Verbreitung eines Übels schuld
ist, das dem Diebold sonst eher stagelgrün aufläge.
Der Umweg freilich, den er zum guten Ziele nimmt,
ist langwierig. Da werden zunächst alle überstan-
denen Leiden aufgezählt, die die völkische Seele
ertragen mußte bis zur »gewaltigen politischen Um-
w
bewußtsein wandelt«. Diebold gibt ein Bild der Ver-
lotterung, die bis zum erreichten Heil »in den
Gesellschaftsformen« eingerissen war, nicht etwa in
den Umgangsformen (die in Gesellschaft nie hyste-
risch ausarten sollten), sondern in den sittlichen
Belangen. Der Bankrotteur übelster Sorte sei gedul-
det worden, einen »bürgerlichen Tod« — Diebold
übersetzt gleich, damit die Nazi nicht irregehen :
»Mort civil« — den gab es überhaupt nicht ; keine
Schuld mehr konnte zur Ächtung führen. Lauter
goldene Worte über Verhältnisse, die zwar nicht
direkt auf Offenbach zurückzuführen sind, aber einem
Mann wie Diebold über die Hutschnur gehen mußten. Auch im Verhalten des Publikums zur Presse wurde die Gleichgül-
tigkeit zu völliger Würdelosigkeit.
| Völkischen
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|₰ «
| hatte,
Jerusalemer Konvolut, fol. [29] recto
Pagination oben rechts: "29". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 04. 1933 (zitierter Text)