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mit der Verwandlung nackter, auch weiblicher Körper
in blutige Fleischklumpen, mit Prozeduren, die nicht
selten unter fröhlichen Marschgesängen der Tätigen
vor sich gehen, unter Sprechchören der Betroffenen
oder unter dem Zwang Blutsverwandter, zu assistieren
oder aufeinander loszuschlagen, kurzum mit Dingen,
für die nicht die Tatenwelt der Königsdramen und
keine Revolution ein Vorbild hatte — es muß doch
schwer sein, mit so etwas einen Gedanken zu ver-
knüpfen oder ihn gar bei Schriftgelehrten als eine
förmliche Anweisung für so etwas aufzufinden. Denn
wenn sich schon die Feder sträubt, diese Dinge ab-
zuschildern, wie es das Andenken all der Märtyrer
erfordern würde und auch das Gedenken jener, die
bloß Todesangst zu bestehen hatten und den bestiali-
schen Hohn der vorgehaltenen Waffe (»Jud, fürchst
dich ?«), das Hinrichtungsspiel mit dem Versprechen
für morgen — wenn schon die Beschreibung un-
möglich ist, so kann man sich doch völlig nicht vor-
stellen, daß sich eine Feder auftreiben ließe, die mit
ethischer Verantwortung an dem Lebensrecht der
Menschheit solche Mittel zur Purganz eines Volks-
körpers befürwortet hätte. Gewiß, um nicht an der
Kosmosreinheit des Menschen zu verzweifeln und
zum Schutz vor eigenem Wahnsinn möchte man sich
an einen Sinn klammern, der den Begebenheiten inne-
wohnt. Aber die Neigung, ihn von der Philosophie
zu beziehen, ließe sich doch selbst nur aus der
Erkenntnis pathologischen Zusammenhangs be-
greifen. Denn daß die Blutberauschung einer erweckten
Betriebswelt natürlicherem oder heroischerem Drange
als dem des pervertierten Geschlechtswesens ent-
stammen sollte ; daß die Bluthochzeit und ihre Paarung
mit Schmutz, daß der hinter allem Ideenbehang nackte
Aufbruch zu wirtschaftlicher Sättigung in anderen Ur-
instinkten wurzeln könnte als in denen der Macht-
gier und Sklavenlust, der Habgier und des Neides ;
in blutige Fleischklumpen, mit Prozeduren, die nicht
selten unter fröhlichen Marschgesängen der Tätigen
vor sich gehen, unter Sprechchören der Betroffenen
oder unter dem Zwang Blutsverwandter, zu assistieren
oder aufeinander loszuschlagen, kurzum mit Dingen,
für die nicht die Tatenwelt der Königsdramen und
keine Revolution ein Vorbild hatte — es muß doch
schw
knüpfen oder ihn gar bei Schriftgelehrten als eine
förmliche Anweisung für so etwas aufzufinden. Denn
wenn sich schon die Feder sträubt, diese Dinge ab-
zuschildern, wie es das Andenken all der Märtyrer
erfordern würde und auch das Gedenken jener, die
bloß Todesangst zu bestehen hatten und den bestiali-
schen Hohn der vorgehaltenen Waffe (»Jud, fürchst
dich ?«)
für morgen — wenn schon die Beschreibung un-
möglich ist, so kann man sich doch völlig nicht vor-
stellen, daß sich eine Feder auftreiben ließe, die mit
ethischer Verantwortung an dem Lebensrecht der
Menschheit solche Mittel zur Purganz eines Volks-
körpers befürwortet hätte. Gewiß, um nicht an der
Kosmosreinheit des Menschen zu verzweifeln und
zum Schutz vor eigenem Wahnsinn möchte man sich
an einen Sinn klammern, der den Begebenheiten inne-
wohnt. Aber die Neigung, ihn von der Philosophie
zu beziehen, ließe sich doch selbst nur aus der
Erkenntnis pathologischen Zusammenhangs be-
greifen. Denn daß die Blutberauschung einer erweckten
Betriebswelt natürlicherem oder heroischerem Drange
als dem des pervertierten Geschlechtswesens ent-
stammen sollte ; daß die Bluthochzeit und ihre Paarung
mit Schmutz, daß der hinter allem Ideenbehang nackte
Aufbruch zu wirtschaftlicher Sättigung in anderen Ur-
instinkten wurzeln könnte als in denen der Macht-
gier und Sklavenlust, der Habgier und des Neides ;
| ierig
| :
Jerusalemer Konvolut, fol. [51] recto
Pagination oben rechts: "51". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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