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»Großdeutschland«, zu verzichten — so glaubhaft
auch, einzig unter allem glaubhaft, die Beruhigung
wirken mag : Wir bleiben die Alten ! Auch trifft in dem populär gehaltenen Gespräch
zwischen dem trutzigen Karl und dem mit Recht
miesmachenden Franz (der Kanaille) dieser den
Nagel auf den Kopf, wenn er beginnt : Gut schau’n wir aus. Jener jedoch| mit der Drohung : Heut is es wieder ein wirklicher Kampf und dabei kommt’s
auf jeden einzelnen an . . . Wenn man uns angreift, wehren wir
uns . . . Einschüchtern lassen wir uns nicht ! scheint eher an die noch volkstümlichere Entschlossen-
heit des Schneiders Zwirn zu gemahnen : »Schuster,
wann i anfang, wann i anfang — i fang aber net an !«
Durchaus ehrenwert, denn als Pazifist und Demokrat
mag er und soll er Gewaltmethodenperhorreszieren.
Aber in Versammlungen »Disziplin« verlangen für
eine Entscheidung, die uns Gottseidank erspart bleibt,
indem wir uns doch längst gewöhnt haben, sie »ohne
uns über uns« treffen zu lassen ; so tun als ob, jetzt
erst recht und trotz alledem, wiewohltrotzdem, weil
nichtsdestoweniger und wenn schon ; bis zum letzten
Hauch von Mann und Führer zur Redensart stehn,
deren Inhalt oder einziger Sinn doch nur das Blut
sein kann, das wir mit Recht nicht sehen können —
das weckt auf die Dauer, diese endlose Dauer, die
Vorstellung einer politischen Jammergestalt, die mit
allem phraseologischen und taktischen Aufwand doch
nicht der lebendigen Entschlußkraft des einen Sätz-
chens fähig wäre, das die politische Sachlichkeit,
die psychologische Sicherheit und die formale Prä-
cision hatte, einen Bann zu brechen.Von einem,
der dem kulturellen Ziel beider Gegenwelten fern,
aber dem sozialen Sinn dessen, was gewollt und
nicht gekonnt wurde, näher steht als dem Inhalt man-
cher Notverordnung,ist nicht zu leugnen und | nichtdarf
auch, einzig unter allem glaubhaft, die Beruhigung
wirken mag : Wir bleiben die Alten ! Auch trifft in dem populär gehaltenen Gespräch
zwischen dem trutzigen Karl und dem mit Recht
miesmachenden Franz (der Kanaille) dieser den
Nagel auf den Kopf, wenn er beginnt : Gut schau’n wir aus. Jener jedoch| mit der Drohung : Heut is es wieder ein wirklicher Kampf und dabei kommt’s
auf jeden einzelnen an . . . Wenn man uns angreift, wehren wir
uns . . . Einschüchtern lassen wir uns nicht ! scheint eher an die noch volkstümlichere Entschlossen-
heit des Schneiders Zwirn zu gemahnen : »Schuster,
wann i anfang, wann i anfang — i fang aber net an !«
Durchaus ehrenwert, denn als Pazifist und Demokrat
mag er und soll er Gewaltmethoden
Aber in Versammlungen »Disziplin« verlangen für
eine Entscheidung, die uns Gottseidank erspart bleibt,
indem wir uns doch längst gewöhnt haben, sie »ohne
uns über uns« treffen zu lassen ; so tun als ob, jetzt
erst recht und trotz alledem, wiewohl
nichtsdestoweniger und wenn schon ; bis zum letzten
Hauch von Mann und Führer zur Redensart stehn,
deren Inhalt oder einziger Sinn doch nur das Blut
sein kann, das wir mit Recht nicht sehen können —
das weckt auf die Dauer, diese endlose Dauer, die
Vorstellung einer politischen Jammergestalt, die mit
allem phraseologischen und taktischen Aufwand doch
nicht der lebendigen Entschlußkraft des einen Sätz-
chens fähig wäre, das die politische Sachlichkeit,
die psychologische Sicherheit und die formale Prä-
cision hatte, einen Bann zu brechen.
der dem kulturellen Ziel beider Gegenwelten fern,
aber dem sozialen Sinn dessen, was gewollt und
nicht gekonnt wurde, näher steht als dem Inhalt man-
cher Notverordnung,
| ,
| verpönen.
| dessenungeachtet
| E
|₰
| ▒i▒
Jerusalemer Konvolut, fol. [213] recto
Pagination oben rechts: "204". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 07. 1933. (zitierter Text)