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hat sich die schöpferische Demokratie zu bewähren.
Oder : Wir haben ihn geführt . . . Wir haben ihn geführt . . . Wir müssen
ihn weiterführen . . . den Kampf, na was denn sonst ? Erinnert ihr euch
noch — ihr Herrn —, wie wir uns nach prin-
zipiellster Verwahrung dagegen, daß man unsere
Todfeinde aus dem Landtag befördern wolle (wo
wir so oft Schulter an Schulter mit ihnen gekämpft
haben), wie wir uns endlich mit dem Gesetzesbruch
einverstanden erklärten, vorausgesetzt, daß er ge-
setzmäßig beschlossen würde ? . . es fällt uns gar nicht ein, irgendetwas zu unter-
nehmen, was den Nationalsozialisten die Wege in ihrem
Kampf ebnen könnte. Diese nannten es eine »Neutralitätserklärung«, welcher
aber die legale Offensive folgte, die wir dann eine
»wahre Tat« nannten. Nach ihrem Vollbringen hielten
wir den Klerikofaszisten vor : So muß man es machen !
Und erhoben ein Siegesgeschrei, daß die kapitolini-
schen Gänse verstummten, jedoch die Hühner laut
wurden. In fetten Lettern und unter dem Titel : Freiheit ! Als der Präsident das Gesetz für angenommen erklärte, rief
Püchler mit Stentorstimme in den Saal : »Es lebe die
demokratische Republik !« Schneidmadl rief : »Nieder
mit der braunen Pest !« Die sozialdemokratischen Ab-
geordneten erhoben sich von den Sitzen und brachen
mit geballten Fäusten in stürmische Freiheitsrufe
aus. Einige Minuten stand der Landtag im Zeichen
der wuchtigen Kundgebung der Sozialdemokraten
gegen den Faschismus. Welches Schauspiel von einer Metapher ! Aber da
sie nun schon fast auf der Barrikade standen, ergriff
unser Bürgermeister eine Gelegenheit, um auszubrechen : In unserem Wien lebt wieder auf die alte Tradition der Konrad
Vorlauf, der Bürgermeister, die sich nicht gebeugt
haben, aller Gewalt zum Trotz, es leben wieder auf die Ideen des
Jahres 1848, da Wien standhielt gegen die vereinigte Reaktion.
Oder : Wir haben ihn geführt . . . Wir haben ihn geführt . . . Wir müssen
ihn weiterführen . . . den Kampf, na was denn sonst
noch — ihr Herrn —, wie wir uns nach prin-
zipiellster Verwahrung dagegen, daß man unsere
Todfeinde aus dem Landtag befördern wolle (wo
wir so oft Schulter an Schulter mit ihnen gekämpft
haben), wie wir uns endlich mit dem Gesetzesbruch
einverstanden erklärten, vorausgesetzt, daß er ge-
setzmäßig beschlossen würde ? . . es fällt uns gar nicht ein, irgendetwas zu unter-
nehmen, was den Nationalsozialisten die Wege in ihrem
Kampf ebnen könnte. Diese nannten es eine »Neutralitätserklärung«, welcher
aber die legale Offensive folgte, die wir dann eine
»wahre Tat« nannten. Nach ihrem Vollbringen hielten
wir den Klerikofaszisten vor : So muß man es machen !
Und erhoben ein Siegesgeschrei, daß die kapitolini-
schen Gänse verstummten, jedoch die Hühner laut
wurden. In fetten Lettern und unter dem Titel : Freiheit ! Als der Präsident das Gesetz für angenommen erklärte, rief
Püchler mit Stentorstimme in den Saal : »Es lebe die
demokratische Republik !« Schneidmadl rief : »Nieder
mit der braunen Pest !« Die sozialdemokratischen Ab-
geordneten erhoben sich von den Sitzen und brachen
mit geballten Fäusten in stürmische Freiheitsrufe
aus. Einige Minuten stand der Landtag im Zeichen
der wuchtigen Kundgebung der Sozialdemokraten
gegen den Faschismus. Welches Schauspiel von einer Metapher ! Aber da
sie nun schon fast auf der Barrikade standen, ergriff
unser Bürgermeister eine Gelegenheit, um auszubrechen : In unserem Wien lebt wieder auf die alte Tradition der Konrad
Vorlauf, der Bürgermeister, die sich nicht gebeugt
haben, aller Gewalt zum Trotz, es leben wieder auf die Ideen des
Jahres 1848, da Wien standhielt gegen die vereinigte Reaktion.
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Jerusalemer Konvolut, fol. [233] recto
Pagination oben rechts: "223". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
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Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 27. 06. 1933 (zitierter Text)