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Diebold meint da aber nicht etwa die Arschleckerei
an maßgebenden Theaterkritikern, nicht den Respekt,
den sie auch dann noch genossen, wenn sie als
Annoncenhumoristen ertappt waren, sondern er meint
bloß die erpresserische Revolverjournalistik, deren
Blätter »ganz öffentlich am Kiosk oder im Café
gekauft werden durften, ohne daß die Käufer mehr
zu erröten brauchten«. Aber gab es da keine Abwehr ?
Doch : Das Gefühl für kulturelle Würde war wohl bei Einzelnen vor-
handen. Nicht bei allen, denen es eben an einem »gesell-
schaftlichen Abkommen« (Diebold verdeutlicht :
»Kon-vention«) gefehlt habe, das ihnen die Weisheit
aus dem »Tasso« gesichert hätte : »Erlaubt ist, was
sich ziemt. « Die leidenschaftlichen Anstrengungen Einzel-
ner vermochten nur wenig gegen die Zersplitterung der sittlichen
Auffassungen.Bis hierher würde man glauben, Diebold wolle,
wenngleich ohne Nennung, dem Wirken der ‚Fackel‘
gerecht werden. Aber es stellt sich heraus, daß er
sich selbst als den meint, der Leidenschaft für die
Bejahung der Werte aufgewandt hat, während er
mich im Gegenteil als den nennt, der die Schuld
an dem Werk der Zersplitterung trägt, an der Aus-
breitung der Revolverpresse, an der Duldung der
Bankrotteure, an der Verhinderung des Mort civil.
Denn unmittelbar anschließendkommt es :
Oppositionsliteraten wie Karl Kraus und Tucholsky, die immer
nur ein »Nein« gegen andere und nie ein zukunftsträch-
tiges »Ja« aussprachen ; Kulturzerstörer wie der undeutliche Drama-
tiker Brecht konnten weiteste Kreise der Gebildeten
verwirren. Und ich dachte, daß meine Faszination nicht über
den »Anhang«, den Umkreis eines »Blättchens«
reiche ! Aber ich und der Tucholsky — ich nie ohne
ihn, bloß auf dem Scheiterhaufen er ohne mich — :
an maßgebenden Theaterkritikern, nicht den Respekt,
den sie auch dann noch genossen, wenn sie als
Annoncenhumoristen ertappt waren, sondern er meint
bloß die erpresserische Revolverjournalistik, deren
Blätter »ganz öffentlich am Kiosk oder im Café
gekauft werden durften, ohne daß die Käufer mehr
zu erröten brauchten«. Aber gab es da keine Abwehr ?
Doch : Das Gefühl für kulturelle Würde war wohl bei Einzelnen vor-
handen. Nicht bei allen, denen es eben an einem »gesell-
schaftlichen Abkommen« (Diebold verdeut
»Kon-vention«) gefehlt habe, das ihnen die Weisheit
aus dem »Tasso« gesichert hätte : »Erlaubt ist, was
sich ziemt. « Die leidenschaftlichen Anstrengungen Einzel-
ner vermochten nur wenig gegen die Zersplitterung der sittlichen
Auffassungen.Bis hierher würde man glauben, Diebold wolle,
wenngleich ohne Nennung, dem Wirken der ‚Fackel‘
gerecht werden. Aber es stellt sich heraus, daß er
sich selbst als den meint, der Leidenschaft für die
Bejahung der Werte aufgewandt hat, während er
mich im Gegenteil als den nennt, der die Schuld
an dem Werk der Zersplitterung trägt, an der Aus-
breitung der Revolverpresse, an der Duldung der
Bankrotteure, an der Verhinderung des Mort civil.
Denn unmittelbar anschließend
nur ein »Nein« gegen andere und nie ein zukunftsträch-
tiges »Ja« aussprachen ; Kulturzerstörer wie der undeutliche Drama-
tiker Brecht konnten weiteste Kreise der Gebildeten
verwirren. Und ich dachte, daß meine Faszination nicht über
den »Anhang«, den Umkreis eines »Blättchens«
reiche ! Aber ich und der Tucholsky — ich nie ohne
ihn, bloß auf dem Scheiterhaufen er ohne mich — :
| scht :
| heißt
Jerusalemer Konvolut, fol. [30] recto
Pagination oben rechts: "30". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
- Bleistift
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 04. 1933 (zitierter Text)