| ard
| m
| e
219
und wurde Justizminister von Braunschweig ; wenn
sie nichts gelesen haben als die erschütternde
Schilderung der Tat von Köpenick und die Be-
schreibung eines Leichenzugs : Kein Wort hatte in den Zeitungen gestanden. Wer dem andern sagte,
daß heute die Ermordeten begraben werden, mußte mit Zuchthaus
wegen Verbreitung von Greuelmärchen rechnen. Wer kam, wußte, daß
ihm Verhaftung drohte. Aber sie waren gekommen. Arbeitslose nach
stundenweite▒ Marsch, Junge, graubärtige Männer, Frauen mit grauen-
haft versteinertem Gesicht. Manche gingen mühsam mit Stöcken, die
müden Glieder, noch geschwollen von den Schlägen der Bestien, wollten
sie kaum tragen. Aber sie kamen ; und wenn sie nur das Bild behielten : die den Sarg trugen, waren selbst alle noch verbunden und zerschlagen — wer in ihrem Lager versagte sich da den Wunsch :
Alles, nur nicht Hitler ! ? Ihre eigene Zeitung : die anders
politisiert als meldet und die den Notschrei ver-
höhnt, zu dem sie herausfordert. Die neben solchen
Bildern der Hölle den Mut hat, von den »bösen
Nazi« zu scherzen, welchemithin das kleinere Übel sind,
das von den andern überschätzt wird. Aber solches
könnte sie doch (für sich, kaum für andere) nur dann
sittlich verantworten, wenn sie glaubhaft machen
könnte, daß vom Sieg des Retters mindestens die
gleiche Vernichtung droht, und wenn sie heroisch
entschlossen wäre, ihr zuvorzukommen undgleich
die durch den Außenfeind zu wählen. Freilich,
umsie zu beschleunigen, läßt sie nichts unversucht,
indem ja die unselige Vorstellung, man wolle »den
Teufel durch Beelzebub austreiben«, jenem die de-
mokratische Mauer macht. Es ist eine fixe Gedanken-
losigkeit, wie nurjenes Wittern der Morgenluft. Was
immer Hitler mit unserer Demokratie vorhabe, sie
muß unversehrt bleiben, damit er sie leichter ver-
sehrt. Wir bleiben dabei, daß
nur Leute, denen jede demokratische Erkenntnis und Gesinnung fehlt
sich dem Gedanken hingeben könnten, gegen die
Gewalt mit Auflösung ihrer Organisation vorgehen
zu wollen :
sie nichts gelesen haben als die erschütternde
Schilderung der Tat von Köpenick und die Be-
schreibung eines Leichenzugs : Kein Wort hatte in den Zeitungen gestanden. Wer dem andern sagte,
daß heute die Ermordeten begraben werden, mußte mit Zuchthaus
wegen Verbreitung von Greuelmärchen rechnen. Wer kam, wußte, daß
ihm Verhaftung drohte. Aber sie waren gekommen. Arbeitslose nach
stundenweite
haft versteinertem Gesicht. Manche gingen mühsam mit Stöcken, die
müden Glieder, noch geschwollen von den Schlägen der Bestien, wollten
sie kaum tragen. Aber sie kamen ; und wenn sie nur das Bild behielten : die den Sarg trugen, waren selbst alle noch verbunden und zerschlagen — wer in ihrem Lager versagte sich da den Wunsch :
Alles, nur nicht Hitler ! ? Ihre eigene Zeitung
politisiert als meldet und die den Notschrei ver-
höhnt, zu dem sie herausfordert. Die neben solchen
Bildern der Hölle den Mut hat, von den »bösen
Nazi« zu scherzen, welche
das von den andern überschätzt wird. Aber solches
könnte sie doch (für sich, kaum für andere) nur dann
sittlich verantworten, wenn sie glaubhaft machen
könnte, daß vom Sieg des Retters mindestens die
gleiche Vernichtung droht, und wenn sie heroisch
entschlossen wäre, ihr zuvorzukommen und
die durch den Außenfeind zu wählen. Freilich,
um
indem ja die unselige Vorstellung, man wolle »den
Teufel durch Beelzebub austreiben«, jenem die de-
mokratische Mauer macht. Es ist eine fixe Gedanken-
losigkeit, wie nur
immer Hitler mit unserer Demokratie vorhabe, sie
muß unversehrt bleiben, damit er sie leichter ver-
sehr
Gewalt mit Auflösung ihrer Organisation vorgehen
zu wollen :
| ! D
| also höchstens
| auf der Stelle
| es zu verspielen,
| ▒▒▒lassen sie leider
| das bekannte
Jerusalemer Konvolut, fol. [228] recto
Pagination oben rechts: "219". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 15. 07. 1933 (zitierter Text)