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wie kann man das nur, vom Talentunterschied ab-
gesehn, in der Wirkung vergleichen ? Wir zwei,
wirklich gepaart, haben hier offenbar die Rolle jener
»ungefälligen Dämonen« inne, die unserm Diebold,
dieser Ja-sagenden Elpore, »kreischen immerfort da-
zwischen schadenfroh ein hartes Nein«. Was Brecht
anlangt — dem ich gleichfalls beim positiven Ge-
nius geschadet habe, und der natürlich ein besserer
deutscher Dichter ist als Johst und sogar als
die Lieblinge, deren Anlagen Diebold dem Schutze
der Nation empfiehlt —, so tritt seine »Undeutlich-
keit« klar hervor : In »Mahagonny« wußte kein Zuhörer genau, ob man
seinen Whisky bezahlen soll oder ob es »ethischer« sei,
ihn nicht zu zahlen. Dieses Problem scheint den Diebold durch die
ganze Zeit der Kulturverwirrung mehr beschäftigt
zu haben als das gleichfalls dort vorkommende Ge-
dicht von Kranich und Wolke. Dann gesellt er mir
leider noch den Bernard Shaw, den ich ja der bür-
gerlichen Gesittung als vieillard terrible nachempfinde,
und resümiert : Das Unsichere, Relative, Mehrdeutige wurde interessant in Kunst und
Leben. Dieser Richtung, der ich, mit Tucholsky, ganz hin-
gegeben schien, ist ferner das Überwuchern der
»Magazine amerikanischer Art« zuzuschreiben, die
ich immer mehr die literarischen Zeitschriften ver-
drängen ließ. Ja gewiß : man ging auch in die »Missa solemnis« und feierte
Goethe-Jahr und Wagner-Jahr. Aber natürlich nur so »zwischen zwei Kinos«.
Diebolds Wirken, zukunftsträchtig, blieb ohne Wirkung : unsere Jerimiaden — über eine Gesellschaft, die sich zwischen
kultureller Großtuerei in Goethejahren und einem würdelosen
Krisengewimmer bewegte — sie wurden belächelt — Anarchie
der kleinsten Persönlichkeiten zerstörte die Autorität
der wahrhaft Großen.
gesehn, in der Wirkung vergleichen ? Wir zwei,
wirklich gepaart, haben hier offenbar die Rolle jener
»ungefälligen Dämonen« inne, die unserm Diebold,
dieser Ja-sagenden Elpore, »kreischen immerfort da-
zwischen schadenfroh ein hartes Nein«. Was Brecht
anlangt — dem ich gleichfalls beim positiven Ge-
nius geschadet habe, und der natürlich ein besserer
deutscher Dichter ist als Johst und sogar als
die Lieblinge, deren Anlagen Diebold dem Schutze
der Nation empfiehlt —, so tritt seine »Undeutlich-
keit« klar hervor : In »Mahagonny« wußte kein Zuhörer genau, ob man
seinen Whisky bezahlen soll oder ob es »ethischer« sei,
ihn nicht zu zahlen. Dieses Problem scheint den Diebold durch die
ganze Zeit der Kulturverwirrung mehr beschäftigt
zu haben als das gleichfalls dort vorkommende Ge-
dicht von Kranich und Wolke. Dann gesellt er mir
leider noch den Bernard Shaw, den ich ja der bür-
gerlichen Gesittung als vieillard terrible nachempfinde,
und resümiert : Das Unsichere, Relative, Mehrdeutige wurde interessant in Kunst und
Leben. Dieser Richtung, der ich, mit Tucholsky, ganz hin-
gegeben schien, ist ferner das Überwuchern der
»Magazine amerikanischer Art« zuzuschreiben, die
ich immer mehr die literarischen Zeitschriften ver-
drängen ließ. Ja gewiß : man ging auch in die »Missa solemnis« und feierte
Goethe-Jahr und Wagner-Jahr. Aber natürlich nur so »zwischen zwei Kinos«.
Diebolds Wirken, zukunftsträchtig, blieb ohne Wirkung : unsere Jer
kultureller Großtuerei in Goethejahren und einem würdelosen
Krisengewimmer bewegte — sie wurden belächelt — Anarchie
der kleinsten Persönlichkeiten zerstörte die Autorität
der wahrhaft Großen.
| e
Jerusalemer Konvolut, fol. [31] recto
Pagination oben rechts: "31". (Tinte, schwarz (Karl Kraus))
Textträger
Standort, Signatur:
Grundschicht, Material: Fahnenabzug, Höhe 210 mm, Breite 142 mm
Zustand
Bibliotheksstempel der National Library of Israel, Jerusalem, recto, unten rechts.
Weitere Textschichten
- Tinte, schwarz (Karl Kraus)
Datierung (terminus post quem)
Grundschicht: 16. 04. 1933 (zitierter Text)